Bosnien – Eine Reise (09): Sarajevo, zwei Moscheen

Von zwei Moscheen in Sarajevos Altstadt Baščaršija (zwei von ich weiß nicht wie vielen) möchte ich in diesem Beitrag etwas erzählen. Dabei stimmt das genaugenommen gar nicht. Es ist nur eine; und ein alter Friedhof vor den Türen einer anderen.
Die Ferhadija Moschee ist eine der kleineren Moscheen in Sarajevo, an gleichnamiger Straße gelegen. Und es stimmt schon, was im Reiseführer steht, dass man sie schnell übersieht, denn sie ist etwas zurückgelegen von der Straße, ein paar Bäume und ein Café versperren den unmittelbaren Blick auf sie. Ein paar Meter Abstand zur Flaniermeile genügen vollkommen, dass hier eine kaum erklärbare, merkwürdige wie wohltuende Ruhe herrscht. Ein Ort der Entschleunigung, sehr klein und sehr willkommen.

Ferhadija Moschee - eine der beiden Moscheen

Sie hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich, heute gehört sie zum Nationalen Kulturerbe und steht unter Denkmalschutz. Gern hätte ich sie von innen betrachtet, aber ich finde sie einmal verschlossen, ein anderes Mal stehen viele Schuhe vor der Tür. Das ist ein untrügliches Zeichen, dass sich in der Moschee Besucher befinden, womöglich zum Gebet. Da halte ich das Betreten und Herumschauen für nicht angemessen. Allerdings interessiert mich auch der Friedhof vor der Moschee .

Friedhof vor der Ferhadija Moschee - eine der beiden Moscheen

Hier finden sich nicht nur Gräber bedeutender bosnischer-muslimischer Familien, es gibt auch Gräber der Janitscharen, einst die Elitetruppe der osmanischen Armee sowie Gräber einiger der führenden Intellektuellen des Landes. Ein paar Namen finde ich im Netz, sie sagen mir alle nichts. Plötzlich merke ich, wie wenig ich vom geistigen wie künstlerischen Leben Bosnien-Herzegowinas weiß. Spontan fallen mir der Musiker Goran Bregović und der Schriftsteller Ivo Andric, der einst einen Nobelpreis erhielt, ein. Gelesen habe ich von Andric nie etwas.
Dann gäbe es noch den Filmemacher Emir Kusturica, der sich selbst aber nicht als Bosnier sondern als Serbe sieht und sich mit allerlei unguten Äußerungen zum Krieg und Völkermord dermaßen disqualifiziert hat, dass ich ihn allenfalls als Spinner, ein intellektueller Vollausfall. Der Schriftsteller Saša Stanišić hingegen ist eher einer, der zwischen den Welten wandert. Als er Jugendlicher war, floh seine Familie aus Višegrad nach Deutschland. Stanišić lebt in Hamburg, hat die deutsche Staatsbürgerschaft, publiziert auf deutsch Zählt er noch dazu? Seinen Roman Herkunft habe ich zu lesen angefangen, abgebrochen, es war mir zu anstrengend. Vielleicht sollte ich ihm jetzt eine zweite Chance geben. Als berühmten könnte man BosnierHasan Salihamidžic noch erwähnen, definitiv aber nicht als Intellektuellen bezeichnen, somit kaum eine Bereicherung geistigen wie künstlerischen Lebens des Landes.

Grab vor der Ferhadija Moschee - eine der beiden Moscheen

Die Inschriften der meisten alten Gräber, sofern überhaupt vorhanden, sind in arabischer Schrift, also für mich nicht lesbar. Die neueren Gräber enthalten auch Inschriften in lateinischer Schrift und so finde ich zum Beispiel das Grab von Muhsin Rizvić, über den ich mich ein wenig im Netz schlau mache. Universitätsprofessor war er, Literaturhistoriker und Schriftsteller. Viel mehr finde ich auf die Schnelle nicht.
Ich grüble darüber, ob die Form des Grabsteins vielleicht in dem einen Fall die Kopfbedeckung eines Hodža, also eines Gelehrten, nachbilden soll. In anderen Fall wäre es vielleicht die von Turbanen umwundenen Filzkappen der Janitscharen? Auch das gilt es zu prüfen.
Zumindest stelle ich fest: Ich weiß viel zu wenig vom Islam insgesamt, von seinen Riten und Gebräuchen, von den religiösen Inhalten sowieso. Das ist ein Manko und ich bin mir sicher, dass es den meisten Menschen in meinem persönlichen Umfeld so geht. Andererseits: Reden wir alle nicht viel zu oft über den Islam und haben allzu schnell ein Urteil bei der Hand?
Meinungen nämlich lassen sich eben furchtbar schnell und wenig bis gar nicht faktenbasiert bilden, ich bin da keine Ausnahme.
Mir fallen auf den muslimischen Friedhöfen vor allem zwei Dinge auf: Individuelle Grabpflege findet nicht oder kaum statt, das scheint unüblich zu sein. Die Gräber sind mehr oder weniger sich selbst überlassen, oft ist es auch „nur“ eine große kurz gemähte Wiesenfläche voller Grabsteine. Regelrechte Prunkgräber finde ich nicht, auf den alten Friedhöfen nicht und auf den neuen erst Recht nicht. Ich weiß, dass die Toten besitzen ewiges Ruherecht besitzen, Gräber also auch nicht aufgelassen und neu genutzt werden. Das ist ähnlich dem Judentum, weshalb sich mit der Zeit mehr und mehr Grabsteine dort anhäufen. Friedhöfe werden wohl auch nicht aufgegeben – oder wenn doch, werden die Toten umgebettet, davon war hier bei einer Zypernreise mal die Rede.

Friedhof vor der Ferhadija Moschee - eine der beiden Moscheen

Ich muss mich dringend auch mal mit den islamischen Bestattungsriten beschäftigen. Ich weiß einfach so vieles nicht. Schon deshalb ist diese Reise ein unglaublicher Gewinn, sie weckt Interesse und Neugier, Fragen wollen beantwortet werden. Ich will mehr wissen, mehr verstehen. Es wird mich noch eine ganze Weile beschäftigen, die Eindrücke „nachzuarbeiten“ und nachzulesen, zu recherchieren. In dieser Intensität habe ich das lange nicht erlebt, so schön die vorangegangenen Urlaube auch waren.

Friedhof vor der Ferhadija Moschee - eine der beiden Moscheen

Die Gärten der Moscheen und in diesem Fall auch der kleine Friedhof scheinen Heimat für streunende Katzen zu sein, das hatte ich bereits auf Zypern bemerkt. Irgendwer versorgt die Tiere ganz offensichtlich nicht nur mit Wasser sondern auch mit Futter. Denn zwischen den Grabsteinen und seitlich vom Eingang der Moschee entdecke ich einige Futternäpfe sowie kleine, geleerte Schalen von Nassfutter. Haben Katzen im Islam eine besondere Bedeutung? Schon wieder eine Frage, der ich nachgehen muss (und mittlerweile nachgegangen bin; die Antwort ist: Ja). Frisch gedenglisht: Again what learned.

Katzen auf dem Friedhof - eine der beiden Moscheen

Katzen auf dem Friedhof - eine der beiden Moscheen

Während des Fotografierens begeistert mich die Ruhe des Ortes: Nur ein paar Schritte entfernt von einer der Hauptflaniermeilen mit zahlreichen Geschäften, Bars, Restaurants und Cafés findet sich hier eine kleine Oase der Ruhe und Beschaulichkeit. Fast ist es, als drängten weder Stimmgewirr noch die Musik aus einem der Cafés bis hierher. Jäh wird die Ruhe unterbrochen, als drei Hunde ein wütendes Gebell ansetzen, sich durch den Zaun zwängen und den Katzen hinterherrennen wollen. Das aber schaffen sie nicht, da sie angeleint sind. Ihre Halterin sitzt im Kaffee, ein Hund springt die Mauer runter, stranguliert sich fast an seiner Leine.
Das geht so schnell, dass die Frau kaum reagieren kann. Gut, dass da einer ist, der ihr beispringt und den noch immer knurrenden Hund wieder heraufreicht.

Katzen auf dem Friedhof - eine der beiden Moscheen

Die Katzen zeigen sich davon eher unbeeindruckt. Vermutlich wissen sie, dass sie unter dem besonderen Schutz Mohammeds stehen.

Bank vor der Moschee

In der Gazi Husrev-Beg Moschee - eine der beiden Moscheen

Einen ganz anderen Eindruck macht die große Gazi Husrev-Beg Moschee kaum 200 Meter östlich.
Hier herrscht immenser Trubel. Menschen strömen herbei zum Gebet, im Innenhof rings um den Šadrvan stehen Touristen, zum Teil in Gruppen organisierter Führungen. andere halten sich im kühlen Schatten der Bäume auf. Es ist auch ein Ort der Begegnung, ein Treffpunkt.
Es gibt bestimmte Zeitfenster, in denen die Moschee auch von innen besichtigt werden kann, für ein kleines Eintrittsgeld darf man in den Gebetsraum, zumindest einen Teil davon, sich in aller Ruhe umschauen und Fotos machen. Dann nämlich stören wir Touristen nicht die Betenden; denn, was gerne vergessen wird: Es handelt sich (auch) hier in erster Linie um einen Sakralbau und erst in zweiter Linie um ein Baudenkmal und eine Sehenswürdigkeit. Da hat man als Tourist nicht jederzeit Anspruch auf freien Zugang.
Auch in der Moschee spüre ich den elementaren Mangel an Wissen über den Islam, ich weiß um Gebetsnische und Kanzel. Mal gibt es Emporen, mal nicht. Ich weiß um Freitagspredigten und um den Ruf des Muezzin vom Minarett herunter. Man zieht vor dem Besuch der Moschee die Schuhe aus, es gibt rituelle Waschungen, Frauen müssen in der Moschee Kopftücher tragen. Es gibt ein Freitagsgebet und Predigten des Iman.
Das ist aber schon so ungefähr alles, was ich weiß und das ist mehr als spärlich. Ich sollte mich vielleicht  ein wenig einlesen. Denn, ob es der braunen Brut um die AfD nun gefällt oder nicht: Der Islam gehört zu Europa. Punkt. Und er ist längst in Deutschland angekommen, ein Teil davon. Das wird sich nicht mehr ändern lassen. Warum auch?
Da tut es gut, mehr zu wissen.

In der Gazi Husrev-Beg Moschee - eine der beiden Moscheen

Für den Mastodon Fensterfreitag mache ich noch ein Vorratsbild, wie ich auch von der Bank vor der Ferhadija Moschee ein Bild für die FB Gruppe Bankerl zum Verweilen gemacht und dort eingestellt habe.

Gern konfrontiere ich ja die Teilnehmer dieser Gruppe mit der Tatsache, dass es Sitzbänke nicht nur in malerischen, Modelleisenbahn anmutenden mitteleuropäischen Landschaften an Seen, Flüssen, Wäldern oder Burgruinen gibt. Auffällig ist, dass aber eher exotischen oder urbane Bilder zumeist deutlich weniger oft gelikt werden, vielleicht ist dieser Kulturschock der deutschen der Sehnsucht nach Romantik und Gemütlichkeit etwas zu abträglich. Vielleicht ist das Bankerl ja ein Schlüsselsymbol deutscher Befindlichkeit. Es wäre spannend, herauszufinden, in welcher Bubble speziell welche Bilder gut oder eben gar nicht ankommen und warum das so ist. Falls hier Kulturanthropologen mitlesen: Das wäre doch ein Dissertationsthema ;).

Bei Mastodon hat sich der Fensterfreitag hingegen sehr internationalisiert. Da freut man sich im Gegenteil sehr viel mehr über jedes eher ungewöhnliche Motiv jenseits der Thermopenscheiben des Nachbarhauses. Also auch über dieses.
Was aber letztlich auch ein anderes Thema ist.

In der Gazi Husrev-Beg Moschee - eine der beiden Moscheen

Tipp/Info für Nachahmer*innen (eigene Erfahrung, Stand 2023):
In Bosnien und Herzegowina gibt es keine Kleidervorschriften. Zu bunt, zumindest kulturell divers, zu vielfältig ist das Land. Von vollverschleierten Frauen aus Arabien über Frauen mit Kopftüchern bis hin zu engsten, körperbetonenden und kurzen Hosen und Röcken ist im Stadtbild alles zu sehen.
Und niemanden interessiert’s.
Dennoch herrscht natürlich eine Kleiderordnung bei Besuchen von Kirchen, Moscheen und Klostern. Und niemanden interessiert’s.
Einen eigenen Schal oder ein eigenes Kopftuch mitzubringen, erspart Touristinnen, sich vor Ort eines zu leihen, was allerdings überall, wo wir waren, möglich gewesen wäre.
Die Akzeptanz über kurzen Hosen für Männer (Shorts Länge) ist unserer Erfahrung nach relativ groß, auch bei dem Besuch von Moscheen. Das ist aber nicht überall der Fall.

Alle Teile:
Ankündigung
01: Banja Luka
02: Kozara Nationalpark
03: Der Familienfriedhof im Wald
04: Jajce
05: Die Mlinčići am Pliva See / Zenica
06: Sarajevo, eine erste Annäherung
07: Sarajevo, Baščaršija
08: Sarajevo, auf dem Trebević
09: Sarajevo, zwei Moscheen
11: Sarajevo, die einst belagerte Stadt
12: Auf dem Weg in die Herzegowina
13: Mostar, die alte Brücke
14: Mostar, Stadtrundgänge I
15: Mostar, Stadtrundgänge II
16: Blagaj
17: Weiter gen Osten
18: Sutjeska Nationalpark
19: Tjentište, der Außenpool
20: Tjentište, das Theater am Ende der Welt
21: Trebinje
22: Die Bogomilen Nekropole Radimlja
23: Počitelj
24: Studenci, die Kravica Wasserfälle
25: Nordwestwärts
26: Una Nationalpark
Epilog: Nur ein Stuhl?


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