Bosnien – Eine Reise (02): Kozara Nationalpark

Der Kozara Nationalpark, nicht allzu weit von Banja Luka entfernt, ist der erste der drei Parks, die zu besuchen wir uns vorgenommen haben. Einen vierten gibt es auch, der aber muss aus Vernunftgründen in der ohnehin voll gepackten Reise außen vor bleiben.
Nun könnte man meinen, der Besuch eines Nationalparks habe etwas Unverfängliches ; Natur, viel Natur und noch mehr Natur.
Die Hinfahrt verspricht schon mal Nämliches.

Auf dem Weg zum Kozara Nationalpark

Zumindest bis zum kleinen Ort Kozarac ist das auch so. Dort aber fällt eine immense Polizeipräsenz im Ort auf. Da wir noch kein Gespür von den Gepflogenheiten haben, herrscht munteres Rätselraten, warum in nahezu jeder Kurve der Serpentinen eine Streife steht – noch dazu an einem Sonntag.
Einen Hinweis hätten die vielen Fahnen in dem Dorf geben können, die wir erst später als Flagge der Republik Srpska identifizieren.

Fahne in Kozarac

Und auch erst in Sarajevo wird mir klar, dass die Flagge des Staates Bosnien und Herzegowina eine ganz andere ist. Oben am Parkplatz, von dem unsere Wanderung losgehen wird, wird auch die massive Polizeipräsenz erklärbar. Massen an Leuten, Massen an Fahrzeugen, Dutzende Reisebusse, aus denen Soldaten der verschiedensten Waffengattungen aussteigen. Sie alle stapfen hinauf zum Monument der Revolution, einem gewaltigen Betonturm aus den frühen 70ern, der Jugoslawienzeit unter Tito. Denn ausgerechnet an diesem Tag begeht man dort den 82. Jahrestag der Kozara Offensive im Zweiten Weltkrieg, bei der Tausende Zivilisten und Partisanen ihr Leben verloren.

Monument der Revolution

Das ist 82 Jahre her, Teilnehmer der Schlacht also gibt es keine mehr, aber Angehörige in den nachfolgenden Generationen, man gibt sich patriotisch bis nationalistisch, feiert sich betont serbisch, um nicht zu sagen ex-jugoslawisch. Flaggen des längst zerfallenen Staates werden stolz geschwenkt, Zuschauer laufen in Tito Legenda Shirts auf. Ganz abgesehen davon, dass mir allzu patriotisch zur Schau getragenes Heldengedenken immer suspekt ist, weil allzu oft wenig Gutes daraus erwächst, ist es in diesem Moment vielleicht wenig opportun, als deutsch erkannt zu werden. Offensichtlich erwartet man auch Politprominemz, solche Veranstaltungen eignen sich bestens, markige Reden zu schwingen – ganz so wie in Bayerns Bierzelten.

Also schlagen wir uns gleich in die Büsche, ab in den Wald, möglichst weit weg.

Titoanhänger mit jugoslawischer Fahne

Ein Ranger, den wir beim Avantura Park Kozara treffen, wo im Moment einfach gar nichts los ist, empfiehlt uns einen Rundwanderweg, beschreibt ihn sehr detailreich aufs Vortrefflichste, denn das Kartenmaterial, das wir uns vorher am Infocenter geholt haben, ist eher dürftig.
Ausgestattet mit allerlei Infos, auf was wir alles zu achten haben, um den Weg auch zu finden, marschieren wir los. Nicht ohne den legendären Satz gehört zu haben, das Schwierigste sei es immer, den richtigen Einstieg in die Wanderung zu finden.

Aber wir schaffen das.

Waldweg im Kozara Nationalpark

Auch sein „Still much work to do“ klingt uns noch lange in den Ohren, denn die Wegmarkierungen sind bisweilen eher spärlich, die Hinweisschilder auf dem Lehrpfad, der uns allerlei heimische Fauna- und Floraarten präsentiert nur auf bosnisch, obwohl gefördert aus Deutschland, da wäre ein weiterer englischer Textteil vielleicht angemessen, zumindest, wenn man darauf aus ist, internationale Gäste für diese wunderbare Natur zu begeistern.
„Much work to do!“ Der Mann weiß, wovon er redet.

Blumen im Kozara Nationalpark

Hunderte Schmetterlinge finden wir, darunter den hier gezeigten Schönbär (manche Schmetterlingsarten haben so tolle Namen), dazu Eidechsen und eine Ringelnatter.

Schmetterling im Kozara Nationalpark

Auf der Strecke sehen wir ein verfallenes Haus, davon hatte der Ranger bereits gesprochen. Wir sind also richtig.

Ruine im Kozara Nationalpark

Und er hat darauf hingewiesen, dass hier ein schmaler Weg zu einer Aussichtsplattform führt. Wir finden beides: Die Plattform bietet einen phänomenalen Blick über den Nationalpark und die südlich davon gelegene Ebene. Es ist überwältigend.

Ausblick über den Kozara Nationalpark

Wasserfall

Auch den winzigen Friedhof im Wald entdecken wir , bevor der Weg uns weit hinab ins Tal führt. Dort befindet sich ein Wasserfall, der erste, den wir in Bosnien und Herzegowina sehen werden, der wahrscheinlich unspektakulärste im Rückblick und dem gewonnenen Wissen, was uns später noch erwarten wird. Trotzdem: Der Ort ist wildromantisch. Eine schmale Brücke führt vor dem Wasserfall über den Bach. Es ist das erste und fast das einzige Mal, dass wir bei unserer Rundwanderung auf andere Menschen treffen.
Zwei Fotografen mit schwerem Gerät sind von weiter unten zum dem Wasserfall hinaufgekommen und geben sich einer Fotosession hin, die bisweilen etwas fotografisch Orgienhaftes hat. Permanenter Wechsel der Positionen, Stativ hier, Stativ dort, Langzeitbelichtungen, Kurzzeitbelichtung, Blätter im Vordergrund, eine Blüte, unter dem Steg durch, den Wasserfall im Ganzen und im Detail.
Ich verstehe diese unbändige Lust am Fotografieren, schaue begeistert zu, derweil wir picknicken, dann plötzlich tritt eine siebenköpfige Wandergruppe auf.
Man positioniert sich allein, zu zweit, zu dritt: Selfietime.
Irgendwann stehen alle auf dem Steg, der nicht unbedingt dafür ausgelegt ist, wir erwarten buchstäblich, dass er gleich zusammenbricht. Das aber passiert zum Glück nicht.
Einer hat einem Fotografen sein Handy für ein Gruppenfoto in die Hand gedrückt. Aber statt dass er die Fotos hernach mit den anderen teilt, folgen diese dem ersten und rücken ihre Telefone raus. Willig schießt der Fotograf mit allen Handies Bilder, dann setzt die Wandergruppe den Weg fort.
Auch die Fotografen packen zusammen.
Mir bleibt genug Zeit, jetzt in Ruhe auch ein paar Bilder zu machen, bevor es zurück zum Ausgangspunkt der Wanderung geht. „Up, up, up – always up“ hatte der Ranger gesagt. Das ist schweißtreibend und anstrengend. Es hilft aber nichts. Also aufwärts, aufwärts, aufwärts.
Es ist schon eine ziemlich blöde Idee, dass Wasserfälle immer an Bach- und Flussläufen angebracht werden und diese immer in der Talsohle liegen, der Rückweg von diesen Orten also in den allermeisten Fällen konsequent bergauf führt. Aber da hilft kein Murren und kein Klagen. Wer lange bergab gegangen ist, muss auf einem Rundweg auch wieder bergauf, wenn er zum Ausgangspunkt zurück will. So will es das Gesetz.

Wasserfall im Kozara Nationalpark

Wasserfall im Kozara Nationalpark

In der Nähe des Parkplatzes treffen wir dann auch wieder auf Menschen: Spaziergänger, Polizisten, die es sich etwas gemütlich gemacht haben. Zwischen den Bäumen dringt Musik und Stimmengewirr an unsere Ohren. Der offizielle Teil der Veranstaltung ist beendet. Politiker und Militär sind abgerückt. Längst herrscht auf der Wiese unter dem Monument wieder das Treiben wie in einem ganz normalen Naherholungsgebiet. Einige picknicken, einige flanieren, einige spielen Fußball, führen ihre Hunde spazieren und werfen Frisbees hin und her.
So eine Szenerie ist mir – da bin ich ehrlich – weitaus sympathischer.
Zurück geht es durch Kozarac nach Banja Luka und von dort dann weiter nach Süden,tiefer hinein nach Bosnien.

Tipp/Info für Nachahmer*innen (eigene Erfahrung, Stand 2023):
Mit Englisch kommt man Bosnien und Herzegowina gut durch, erstaunlich viele Menschen sprechen auch deutsch. Soweit das Gehörte.
Das stimmt, aber nur zum Teil. Wenig verwunderlich: Je weiter man die Touristenorte hinter sich lässt, um so weniger wird englisch verstanden. Manchmal kauf man als Tagesproviant in der Bäckerei einfach „Das da“ und zeigt mit dem Finger auf etwas, was schmackhaft aussieht. Manchmal bestellt man im Restaurant am Straßenrand aus der Speisekarte, die man kaum entziffern kann, mit Fingerzeigen etwas und lässt sich überraschen, was kommt. Denn das Personal kann es auch nicht erklären ohne die Sprachkenntnisse.
Aber überall, wo Tourismus ein wichtiges Thema ist, kommt man mit Englisch problemlos weiter, vor allem bei jüngeren. Deutsch wird in Bosnien in der Schule als Fremdsprache gelernt, aber nur selten gesprochen, ein paar Ältere kramen ihre  Deutschkenntnisse, die sie als Kriegsflüchtlinge in den 90ern erlangt haben, wieder hervor. Das ist sehr rührend.
Wie überall in der Welt ist es hilfreich, sich wenigstens ein paar Wörter in der Landessprache anzueignen, auch wenn auf ein freundliches Dobre Dan ein Redeschwall als Antwort folgt, von dem man rein gar nichts versteht. Aber das Gegenüber merkt schnell, woran er ist, und dann geht es eben in Englisch weiter.

Alle Teile:
Ankündigung
01: Banja Luka
02: Kozara Nationalpark
03: Der Familienfriedhof im Wald
04: Jajce
05: Die Mlinčići am Pliva See / Zenica
06: Sarajevo, eine erste Annäherung
07: Sarajevo, Baščaršija
08: Sarajevo, auf dem Trebević
09: Sarajevo, zwei Moscheen
10: Sarajevo, der alte jüdische Friedhof
11: Sarajevo, die einst belagerte Stadt
12: Auf dem Weg in die Herzegowina
13: Mostar, die alte Brücke
14: Mostar, Stadtrundgänge I
15: Mostar, Stadtrundgänge II
16: Blagaj
17: Weiter gen Osten
18: Sutjeska Nationalpark
19: Tjentište, der Außenpool
20: Tjentište, das Theater am Ende der Welt
21: Trebinje
22: Die Bogomilen Nekropole Radimlja
23: Počitelj
24: Studenci, die Kravica Wasserfälle
25: Nordwestwärts
26: Una Nationalpark
Epilog: Nur ein Stuhl?


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