Bosnien – Eine Reise (13): Mostar, die alte Brücke

Mostar und die alte Brücke

Mostar und die alte Brücke. Das ist eine Einheit. Das gilt auch umgekehrt für die alte Brücke und Mostar. Das Eine wäre ohne das Andere undenkbar. Dabei ist die Brücke gar nicht alt, wenn man es genau nimmt. Es gibt die Stari Most, so ihr offizieller Name, erst (wieder) seit 2004, nachdem die ursprüngliche Brücke aus dem Jahr 1566 während des Bosnienkrieges 1993 zerstört worden war.
1995 begann das Land mit dem Wiederaufbau, wobei es die Sache nicht trifft. Denn die Brücke wurde eigentlich nicht wieder- sondern auf Basis alter Pläne Stein für Stein komplett neu gebaut. Ein kleines Museum in einem Turm informiert über die Geschichte der Brücke von ihren Anfängen bis hin zur Wiedereröffnung. Videoclips zeigen, mit welcher Akribie und mit welchem enormen Aufwand die zweite Brücke errichtet wurde. Beeindruckend ist dabei vor allem, dass die alte Brücke über 400 Jahre gehalten hat, ganz ohne Computertechnik und -berechnungen von Statik und exakter 3D Abmessung der einzelnen Steine. Denn natürlich wurden beim Neubau diese Berechnungen am Rechner angestellt.
Unverständlich für mich aber ist, warum diese Brücke überhaupt zerstört wurde.

Konstruktionsmaße der Brücke

Denn es war ein Akt der Willkür und der Barbarei, militärisch wie strategisch fragwürdig. Es war eine symbolische Tat der kroatischen Armee, Brücken zu zerstören ist immer auch eine Zeichenhandlung. Aber es gingt wohl auch darum, der Welt zu zeigen: Wir tun das, weil wir es können. Weil uns einfach niemand daran hindern kann, weil wir diejenigen sind, die hier das sagen haben – und sonst niemand. Und wir lassen uns von niemanden davon abhalten oder reinreden. Es ist eine Demonstration der Macht. Möglicherweise ist es ein kühner Vergleich, aber er drängt sich auf: Die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamyian 2001 aus religiösen Gründen mag ein ähnliches Signal an die Weltöffentlichkeit gewesen sein: Wir tun es, weil wir es können. Und Ihr könnt es nicht verhindern.

Jetzt aber ist sie wieder da: Die neue alte Brücke. Anziehungspunkt für Tausende Touristen, Sehnsuchtsort, Weltkulturerbe und UNESCO geschützt, das bekannteste Bauwerk des Landes, wenn nicht des ganzen Balkans. Vermutlich hat es jeder schon mal gesehen: Auf Bildern, in Filmen, Reportagen, Nachrichten.
Und jetzt stehen wir vor ihr, laufen zig mal darüber, fotografieren sie auch – ausgiebig und fast von allen Seiten.

„Es ist schon sehr erstaunlich, wenn man mit eigenen Augen ein Bauwerk sieht, dass man zig mal vorher auf Bildern und in Filmen gesehen hat.
Und wenn man dann bemerkt: Ja, das gibt es wirklich. Aber in echt schaut es doch ganz anders aus. Und warum ist das voller Leute?“
So kommentiere ich das erste Foto von der Brücke, das ich noch am selben Tag in die Sozialen Medien streue. Ein schnelles Handy-Bild – weitere werden folgen.
Es ist nicht das erste Foto, das ich mache. Das entsteht, als wir der engen Gasse des Basars folgen, kurz vor dem Betreten der Brücke.

Mostar und die alte Brücke

Es folgen weitere und weitere. Ich schaue zu, wie sich die Teilnehmer einer Reisegruppe, alle mit orangen Käppis als solche gut identifizierbar, in der Kujundžiluk um die besten Plätze für Fotos und Selfes rangeln, reihe mich ein, warte, bis ich auf die Mauer steigen kann. Da ich nicht wissen kann, wie viele noch um Klassen bessere Punkte es geben wird, von denen aus ich die Brücke sehen und fotografieren kann, zwänge ich mich in die Traube an Menschen und mache ein paar Fotos.

Mostar und die alte Brücke

Tags darauf stehe ich im Garten der Koski Mehmed Pasha Moschee, weil man von dort einen unglaublichen Blick auf die Brücke hat, habe dafür sogar Eintritt bezahlt und rede mir ein, dass ich das gemacht habe, um die Moschee von innen sehen zu können. Was auch wahr ist.

Mostar und die alte Brücke

Wir stehen auf der Lučki most südlich der alten Brücke, machen auch von dort Bilder, das erste in diesem Beitrag entsteht dort. Wir besuchen das Museum und erklimmen den Turm, zu dessen Füßen die Brücke liegt.

Menschen auf der Brücke

Und wir gehen auf Empfehlung des Hotelmanagers abends hinunter zu dem kleinen Neretva Strand, weil man von dort einen tollen Blick auf die Brücke hat, weil es dort abends so unglaublich romantisch ist, sofern man das unter hunderten anderer bei musikalischer Beschallung und dem lauten Ruf des Muezzins von der nahen Nezir-agina džamija Moschee aus als romantisch empfinden will. All das gehört dazu.

Die Brücke am Abend

Auch jetzt reißt der Menschenstrom, der die Brücke passiert, nicht ab. Vielleicht passiert das irgendwann mal in der Nacht, aber darauf werden wir nicht warten.

Die Brücke am Abend, Mensdhen darauf

Nonnen an der Neretva

An diesen Ort kehren wir öfter zurück. Einmal ergattern wir im Café einen Tisch in der ersten Reihe, den wir standhaft lange halten und lieber noch ein weiteres Getränk bestellen, als den Logenplatz aufzugeben.
Denn dem Treiben unten zuzusehen, ist besser als Fernsehen. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Aber eines eint die Menschen hier: Sie alle wirken wunderbar entspannt und gelassen, fröhlich und aufgeräumt. Es ist ihren Gesichtern anzusehen und es überträgt sich auf die allgemeine Atmosphäre an diesem Ort.
Leben und leben lassen, es könnte – wieder mal – so einfach sein.
Ich glaube, dass nahezu alle, die Bosnien bereisen, auch nach Mostar fahren. Touristisch ist diese Brücke das absolute Highlight mit dem größten Must-See-Faktor. Denn natürlich verliert sich das Wissen, wenn es überhaupt vorhanden war, dass an dieser Brücke nichts wirklich alt sondern alles „nur“ originalgetreu wieder rekonstruiert wurde. Letztlich ist es aber auch egal, der Ort strahlt eine Magie aus, eine Anziehungskraft, ein Bedürfnis, die Zeit möge doch still stehen, dass man ewig hier bleiben könne. Nichts drängt zum Aufbruch – außer vielleicht dem schlechten Gewissen, den Tisch langsam mal für andere Gäste zu räumen.

Nur eines machen wir nicht: Für 10 Mark pro Person und 10 Minuten mit dem Boot 400 Meter auf und ab fahren zu lassen, um die Brücke auch vom Fluss und von unten zu fotografieren.

Springer auf der Brücke

Wir beobachten ein paar Turmspringer, die am Ostufer unter permanenter Beobachtung trainieren – einige haben sich einen Lehrer gebucht, der ihnen das Diving beibringt.
Und wir stehen unter der Brücke, als einer die 20 Meter herunterspringt.
Viel Applaus erntet er, als er aus dem Wasser steigt und im Nu umringt ist, weil die Leute Selfies mit ihm machen wollen.
Als wir spätnachmittags noch einmal an dem Platz vorbei kommen, steht wieder einer oben. Er hat das Geländer überklettert, post und post. Dabei lässt es sich fotografieren, marschiert von einem Ende zum anderen, dann wieder in die Mitte und lässt seine Muskeln spielen. Springen aber tut er nicht. Eine Reisegruppe geht unten in Positur, alle zücken ihre Kameras, doch der Stadtführer „treibt“ sie sanft weiter. Er weiß wohl: Es kann lange dauern, bis der Mann springt. Wenn er es überhaupt tut.
Zögert der Brückenspringer?
Ja. Sicher nicht wegen des fehlenden Mutes, eher wegen der fehlenden Mittel. Denn die Brückenspringer lassen sich für ihren Sprung von den Zuschauern bezahlen. Rollt aber die Mark nicht, dann ist es eben nichts mit dem wagemutigen Sprung in die Neretva.
Eine Zeitlang schauen wir ihm beim Posieren zu, dann lenkt sich mein beobachtendes Interesse einem anderen Menschen zu.

Springer auf der Brücke

Es ist ein Mädchen, vielleicht 8 oder 9 Jahre alt, vermutlich ein Roma-Kind. Sie steht mit einem alten Eisbecher an den Stufen zum Strand und bettelt. Es ist herzzerreißend, sie zu beobachten. Immer wieder verlässt sie den Platz, folgt den Gruppen, die zum Fotografieren oder Bootsfahren hergekommen sind. Sie zupft den Menschen am Ärmel, redet auf sie ein, bittet um Geld.
Mehr als einmal beobachte ich, wie sie rüde verscheucht wird, ein anderes Mal, wie ein arabischer Mann sie von den Frauen seiner Gruppe wegzieht, ihr etwas abseits Geld gibt und ihr gestenreich erklärt, dass sie nun verschwinden solle.
Eine Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm, offensichtlich die Mutter des Mädchens, kommt auf den Platz und spricht mit ihm. Voller Stolz überreicht ihr das Mädchen die erbettelten Münzen. Als die Mutter wieder verschwunden ist, geht das Mädchen an den Bach Radobolja, der hier in die Neretva mündet.

Fließendes Wasser

Kinder spielen dort, sie schließt sich ihnen eine Zeitlang an. Die Kinder lassen sie gewähren, nehmen aber nicht wirklich Kontakt auf oder lassen sie mitspielen. Sie bleibt für sich und entfernt sich wieder.
Irgendwann ist das Mädchen verschwunden. Eine Reihe Bilder habe ich gemacht, aber darauf geachtet, dass das Gesicht nicht sichtbar ist, dass sie anonym bleibt.

Bettelndes Kind

Ein Foto findet den Weg in die sozialen Medien, versehen mit dem Kommentar: „Ich weiß, ein so naiver wie vollkommen unrealistischer Wunsch, aber ich sage es trotzdem: Kein Kind sollte betteln müssen. Auch das ist Bosnien-Herzegowina, ein armes Land.“

Zu gern hätte ich ihr etwas Geld gegeben, aber ich habe sie nicht wieder gesehen.
Und so bekommt eben ein Bettler vor der Hadži Memijina Moschee Geld von mir.

Tipp/Info für Nachahmer*innen (eigene Erfahrung, Stand 2023):
In dieser Reihe war schon mehrfach von bettelnden Menschen die Rede, das ist überhaupt immer wieder mal Thema in diesem Blog. Stammleserinnen und -leser wissen, dass nicht nur Straßenmusiker Geld von mir bekommen, auch Bettlern gebe ich ab und zu etwas. Bevor ich irgendeinen Touristennepp kaufe oder eine Dose voll Kleingeld mit nach Hause nehme, mit dem ich nichts mehr anfangen kann, schenke ich es her. Und heißt es nicht auch: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.„? Vielleicht ist da ja was dran. Vielleicht auch nicht.

Ich jedenfalls bin dankbar, eine solche Reise machen zu können, ich bekomme so viel Gastfreundschaftindiesem Land, warum also gebe ich nicht auch ein wenig? Ob Kriegsveteran oder nicht, ob Roma oder nicht. Ob Muslim, Christ, Atheist, ob Serbe, Bosnier oder Kroate.

Vielleicht macht es deren Welt ein winziges Etwas besser.

Alle Teile:
Ankündigung
01: Banja Luka
02: Kozara Nationalpark
03: Der Familienfriedhof im Wald
04: Jajce
05: Die Mlinčići am Pliva See / Zenica
06: Sarajevo, eine erste Annäherung
07: Sarajevo, Baščaršija
08: Sarajevo, auf dem Trebević
09: Sarajevo, zwei Moscheen
11: Sarajevo, die einst belagerte Stadt
12: Auf dem Weg in die Herzegowina
13: Mostar, die alte Brücke
14: Mostar, Stadtrundgänge I
15: Mostar, Stadtrundgänge II
16: Blagaj
17: Weiter gen Osten
18: Sutjeska Nationalpark
19: Tjentište, der Außenpool
20: Tjentište, das Theater am Ende der Welt
21: Trebinje
22: Die Bogomilen Nekropole Radimlja
23: Počitelj
24: Studenci, die Kravica Wasserfälle
25: Nordwestwärts
26: Una Nationalpark
Epilog: Nur ein Stuhl?


Vielen Dank fürs Lesen.
Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, dann freue ich mich, wenn Sie ihn Ihren Freunden weiterempfehlen – z.B. über Facebook, Twitter, in Internetforen, Facebookgruppen o.ä.
Haben Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Beitrag? Dann nutzen Sie bitte das Kommentarfeld.
Gern dürfen Sie meine Artikel auch verlinken.

Wenn Sie mir spontan einen Kaffee spendieren wollen, weil Ihnen dieser Beitrag gut gefallen hat, dann klicken Sie bitte auf den Kaffeebecher. Mehr dazu hier.

Wenn Sie mehr Bilder von mir sehen wollen, dann empfehle ich das Fotobuch Im Süden – Bilder eines guten Jahres, das Sie in meinem Web-Shop aber auch in jeder stationären Buchhandlung bestellen können. Ebenfalls dort erhältlich sind die grantigen Geschichten Renate und das Dienstagsarschloch und das Buch von meinen Schwimmerlebnissen in Frei- und Hallenbädern, in Seen, Weihern, Flüssen und im Meer Bahn frei – Runter vom Sofa, rein ins Wasser , Alle Bücher sind auch über die ISBN in der stationären Buchhandlung bestellbar.

Diesen Beitrag weiterempfehlen:

2 Antworten

  1. manni sagt:

    wow mega cooler Beitrag ! Klar die Brücke kennt man von Fotos. Klasse

Entdecke mehr von Mal Zwetschgenmann - Mal Wassermann

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen