Bosnien – Eine Reise (08): Sarajevo, auf dem Trebević

Südlich der Altstadt Sarajevos schließt sich das Viertel Bistrik an, direkt dort erhebt sich auch der Trebević, ein Berg des Gebirgszugs Jahorina mit einem 1628 Meter hohem Gipfel.Der Trebević

2017 wurde die Seilbahn auf den Berg hinauf wiedereröffnet, nachdem ihr Vorgänger über 20 Jahre lang nicht gefahren ist. Denn bereits seit 1959 gab es eine Seilbahn, die zu den olympischen Winterspielen 1984 noch einmal kräftig aufpoliert wurde. Dann kam der Krieg.
Heute hängen an der Berg- und an der Talstation zwei alte Gondeln, die daran erinnern, wie man damals die etwas mehr als 2 Kilometer lange Strecke absolviert hat. Ein wenig nostalgisch betrachte ich sie. Vielleicht sind sie heute nicht mehr ganz so vertrauenerweckend, aber in meiner Kindheit sind wir in solche Gondeln im Winterurlaub in Italien immer gestiegen. Und es war gegenüber den Sesselliften der pure Luxus.

Die alte Seilbahn am Trebević
Heute reist man die sieben Minuten, die die Fahrt dauert, modern und bequem, genießt einen phantastischen Blick über die Stadt, der allerdings ein wenig getrübt ist, was den Kunststofffenstern der Bahn geschuldet ist – aber so ist es überall. Fotografisch ist das eher unschön, die Bilder durch die Scheibe haben alle einen leichten Schleier:

Blick vom Trebević

Ein paar andere Bilder habe ich bereits gezeigt.
Die Stadtverwaltung hat die Gondelschneise als instagramable befunden. So fehlt auch nicht der vorinstallierte und beschriftete Rahmen für Menschen, die entsprechende Fotos von sich mit Stadtkulisse anfertigen und ins Netz stellen wollen. Und davon wird – wie überall bei solchen Rahmen – auch Gebrauch gemacht.
Blick vom Trebević

Vom Berg aus hat man freie Sicht über die ganze Stadt und das hat den Trebević zu einem beliebten Ausflugsziel gemacht. Vielleicht liegt es auch daran, dass es dort oben im Sommer etwas kühler und luftiger ist als zwischen den Häusern der Stadt.

Blick vom Trebević

Eine paar Ruinen aus alter Zeit, Wander- und Spazierwege, sattes Grün und wilde Wiesen, ein großer Picknickplatz, Verkaufsstände mit kalten und warmen Getränken, Spielzeug und Essbarem locken an diesem Vormittag vor allem uns Urlauber auf den Berg. Einige kommen zu Fuß, andere mit dem Bike,  die meisten inklusive der Reisegruppen aber mit der Bahn.
Mehrere Warnschilder weisen Spaziergänger und Wanderer auf giftige Schlangen im Gelände hin. Sehen tun wir keine – welch Überraschung. Ich habe selten Glück und noch seltener die Geduld, Viecher zu sehen. Wir hören nur plötzlich das spontane, aufgeregte, hysterische Gekreische einer Familie, die sich von einem Picknickplatz auf den Weg zurück zur Bergstation gemacht hat und der vermutlich eine Schlange vor die Füße gekrochen ist. Das Glück ist eben mit den…
Lassen wir das.
Erfreuen wir uns also der Wildblumenpracht und einer Vielzahl unterschiedlichster Schmetterlinge.
Schmetterlinge auf dem Trebević

Eines der touristischen Highlights auf dem Berg ist zweifelsohne die olympische Bob- und Rodelbahn von 1984. Heute ist das ein Lost Place ganz besonderer Art, dringend wurde mir empfohlen, diese anzuschauen. Lost Places gibt es viele, vor allen in Ländern, in denen ein Krieg wütete, aber eine Bob- und Rodelbahn gehört wohl eher seltener dazu.
Die Gelegenheit nutzen wir, nicht, dass wir extra deshalb auf den Trebević gefahren wären, aber da wir schon mal da sind, möchte ich die Chance nutzen.
Startpunkt der Bahn ist unterhalb der Bergstation der Seilbahn. Der Beton schimmert zwischen Bäumen und Büschen hindurch.

Die alte Bobbahn auf dem Trebević

Hier also starteten 1984 die Olympiadeteilnehmer. Die Älteren erinnern sich sicher noch an den heulenden Wolf Vučko, das gezeichnete Maskottchen, das bei allen Berichten über die Olympiade im Fernsehen gezeigt wurde. Wer nicht, kann unter diesem Link noch einmal die Erinnerung auffrischen. Es waren die ersten olympischen Spiele in einem sozialistischen Land, sie sollten ein Zeichen der Hoffnung und des Friedens werden, ein Handschlag zwischen Ost und West, zwischen Kulturen und politischen Systemen.
Lang ist das her. Es kam alles ganz anders.

Die alte Bobbahn auf dem Trebević

Heute ist sind Bob- und Rodelbahn nur noch Ruinen, ein Ort für Ausflügler und Spaziergänger – ein Eldorado für Sprayer.

Ausgeträumt ist der olympische Traum von Sarajevo längst. Die Sportstätten sind teilweise Ruinen, teilweise sind sie in der Stadt anderer Nutzung zugeführt.
Das ist nicht ungewöhnlich, mit vergammelnden Olympiadesportstätten kann auch München aufwarten. Das ist dem Verlauf und der Zahn der Zeit schuld. Aber hier auf dem Berg hat das noch mal eine ganz andere Qualität. Die größte Schuld trägt nämlich nicht der Zahn der Zeit sondern der Krieg, der nur acht Jahre nach den Spielen begann. Bei der Belagerung Sarajevos nahm der Trebević eine zentrale Rolle ein. Davon in einem anderen Beitrag mehr.

Die alte Bobbahn auf dem Trebević

Ein Stück laufe ich die einstige Eisrinne hinunter, durch die Kurven und Geraden. Auch andere sind unterwegs, schauen, fotografieren die Graffitis und sich, da ruft einer „Achtung!“, so, als könne das ein jeder hier verstehen. Oder hat er mich als Landsmann identifiziert? Oder meint er die beiden deutschen Studenten, die ein Stück über mir gerade ihre Bilder machen?
Ein Rennradfahrer steht startklar in der Bahn. Er will die Rinne hinunter fahren. Ich gehe aus dem Weg, da kommt er schon. Fasziniert schaue ich ihm hinterher, wie er die Bahn mit hohem Tempo heruntersaust. Zuvor allerdings gab es einen kleinen Disput (auf deutsch) mit seiner Freundin, wann sie ihn dabei wie und wo zu filmen habe. Geduld scheint auch seine Sache nicht zu sein. Denn nachdem sie sich langsam und vorsichtig den Berg auf ihrem Rad heruntertastet, donnert er hinterher noch bevor sie die Kamera in Position gebracht hat. Folglich wird es wohl weiter unten eine weitere Diskussion geben.

Die alte Bobbahn auf dem Trebević

Ich folge nicht der ganzen Bahn, steige wieder herauf, die Kamera voller Bilder, wenn schon nicht von Schlangen, dann wenigstens von der Bobbahn. Schweiß tropft mir von der Stirn. Wer eigentlich hat gesagt, dass es oben in den Bergen auf 1100 Metern angenehm kühl sein wird?
Her mit einem Getränk! Gut, dass der erste der Verkaufsstände bereits geöffnet hat.

Tipp/Info für Nachahmer*innen (eigene Erfahrung, Stand 2023):
Verlassen Sie sich nicht allzu sehr auf Reiseführer und Reiseblogger, zumindest nicht ausschließlich. Vor allem dann nicht, wenn diese die üblichen Listen wie10 Orte in Bosnien, die man gesehen haben muss oder Die 10 besten Sehenswürdigkeiten in Sarajevo führen. Sie lotsen einen nur dahin, wo alle hingehen. Manches, was viel spannender ist, bleibt so verborgen.
Bewährt hat sich neben dem deutschen einen englischsprachigen Reiseführer mitzunehmen. Wir hatten Bosnia & Herzegovina / Bradt Travel Guide (Affiliate Link!) von Tim Clancy und Larissa Olenicoff im Gepäck. Beide Autoren sind profunde Kenner des Landes. Der Reiseführer weist auch auf Dinge hin, die wir sonst nicht gesehen hätten, die im deutschen nicht erwähnt sind. Offenbar hatten die Autoren ein etwas anderes Zielpublikum im Blick als die deutschen.
Es ist zudem ganz witzig, darin immer wieder auch solch praktische Empfehlungen wie „Do not fotget a camera!“ zu lesen. Als könnte mir das passieren.

Alle Teile:
Ankündigung
01: Banja Luka
02: Kozara Nationalpark
03: Der Familienfriedhof im Wald
04: Jajce
05: Die Mlinčići am Pliva See / Zenica
06: Sarajevo, eine erste Annäherung
07: Sarajevo, Baščaršija
08: Sarajevo, auf dem Trebević
09: Sarajevo, zwei Moscheen
10: Sarajevo, der alte jüdische Friedhof
11: Sarajevo, die einst belagerte Stadt
12: Auf dem Weg in die Herzegowina
13: Mostar, die alte Brücke
14: Mostar, Stadtrundgänge I
15: Mostar, Stadtrundgänge II
16: Blagaj
18: Sutjeska Nationalpark
17: Weiter gen Osten
19: Tjentište, der Außenpool
20: Tjentište, das Theater am Ende der Welt
21: Trebinje
22: Die Bogomilen Nekropole Radimlja
23: Počitelj
24: Studenci, die Kravica Wasserfälle
25: Nordwestwärts
26: Una Nationalpark
Epilog: Nur ein Stuhl?


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