Bosnien – Eine Reise (18): Sutjeska Nationalpark

Es ist die letzte Kurve, dann sind wir in Tjentište im Sutjeska Nationalpark. Längst haben wir das große Willkommensschild am Straßenrand passiert, geraume Zeit auch folgen wir dem tief in den Fels eingeschnittenen Tal des kleinen Flusses, das dem Park seinen Namen gab. Sutjeska.

Das Tal weitet sich, eine kleine Hochebene auf rund 800 Metern über dem Meeresspiegel im dinarischen Gebirge liegt vor uns. Sanfte Hügel und schroffe Berge wechseln sich ab. Eine große Wiese, die gerade abgemäht wird, ein paar Häuser, viele mi Hinweisschildern, dass es dort Zimmer oder Ferienwohnungen zu mieten gäbe, ein Restaurant, dann noch eines, ein Campingplatz. Alles hier ist ausschließlich auf Urlauber, auf Tourismus ausgerichtet. Nur, dass eben kaum welche zu sehen sind.

Und noch etwas gibt es im Sutjeska Nationalpark: Ein monumentales (um nicht zu sagen monströses) Ehrenmal aus den frühen 70ern, das an die Toten des Zweiten Weltkrieges erinnert: Zwei riesige Betonflügel, an dessen Innenseiten Reliefs das hier Geschehene andeuten: Die Einkesselung der Partisanenarmeen, deren Durchbruch und Entkommen aus der Todesfalle, aber eben auch die Tragik, dass nicht alle Kämpfer entkommen konnten. Auf jugoslawischer Seite gab es über 6.000 Tote.

Ziel der damaligen Operation war es, den Anführer der Partisanen, Josip Broz Tito gefangenzunehmen. Das misslang, wie man sich zum Beispiel im Spielfilm Die fünfte Offensive – Kesselschlacht an der Sutjeska mit Richard Burton als Tito ansehen kann. Filme dieser Art gab es in den 70er Jahren viele, der Zweite Weltkrieg lieferte genug Vorlagen für Heldenepen.
Und als solches wird das Geschehene auch im serbischen Teil des Landes gesehen und ist seit jugoslawischer Zeit fest und monumental in der Erinnerungskultur verankert, wie auch im Kozara Nationalpark, den wir am Anfang unserer Rundreise besucht haben.

In Form einer 8 schlingen sich zwei Treppen zu einem ersten Platz mit einem Gedenkstein, der Altarcharakter hat. Und dann geht es weiter hinauf zu dem Monument, das offenbar ein begehrtes Ausflugsziel auch für die Serben aus dem Nachbarland ist, denn wir sehen mehrere serbische Reisebusse unten auf dem Parkplatz stehen.

Ganz oben befindet sich ein Rondell, eingraviert und rot gefärbt in die steinernen Stufen sind die Namen der damals beteiligten Partisanenbrigaden zu lesen.

Wieder einmal sind wir an einem Ort, an dem ich nicht unbedingt jedem Besucher, der sich das Mahnmal anschaut, auf die Nase binden möchte, Deutscher zu sein. Vielleicht auch, um mir Diskussionen zu ersparen. Aber nichts weist darauf hin, nachdem mir meine alte BVB-Kappe bereits im Kozara Nationalpark abhanden gekommen bin und ich diese durch eine vermeintlich neutrale Kappe mit Farben und Wappen Bosniens ersetzt habe.
Das aber ist vielleicht hier auch nicht so opportun, wir befinden uns im Gebiet der Republika Srpska an einem national-relevanten Denkmal, ich habe keine Ahnung, wie hier so die Befindlichkeiten gegenüber den Bosniern sind. Da die Stunde aber bereits fortgeschritten und damit eine Sonnenschutzkopfbedeckung nicht unbedingt mehr nötig ist, verschwindet die Kappe im Fotorucksack. Damit unterbinde ich nahezu jeden Anreiz, hier von anderen Besuchern wegen einer Kopfbedeckung angesprochen zu werden. Solche Gespräche nämlich führen zu nichts, außer aufs Glatteis.

Beruhigend ist, dass wir hier nicht in irgendeine wie auch immer geartete Feierlichkeit oder Wahlkampfveranstaltung geraten. Der achtzigste Jahrestag dieser rund einen Monat dauernden Schlacht war im Mai oder Juni, je nachdem, ob dieser am Anfang oder am Ende begangen wird. Die Kränze, Gebinde und Gestecke, die an dem Steinquader abgelegt wurden, sind verblüht, verwelkt, vertrocknet, nur noch nicht abgeräumt.
Einige Leute flanieren, spazieren, führen Hunde aus, fotografieren und rauchen, oben im Rondell picknickt wer. Von stiller Ergriffenheit oder überschwänglichem Pathos ist hier wenig bis gar nichts zu spüren. Das macht es schon wieder sympathisch,

Als wir wieder hinabsteigen haben unten im Tal die Landarbeiter für heute das Mähen eingestellt, es ist immerhin Sonntag. Etwas später fällt mir ein eigenartig beladener Wagen auf. Der deutsche TÜV und die Polizei würden sich wohl die Haare raufen, dabei kann vieles so einfach sein, wenn man die Regeln etwas großzügiger auslegt:

Der nächste, der eigentliche Wandertag beginnt mit einem phantastischen Blick aus dem Fenster. Frühnebel hängt im Tal, die Sonne ist gerade über die Kante der Berge auf der anderen Talseite geklettert, sie wird den Nebel bald vertrieben haben. Es ist eine unglaubliche Stimmung früh am Morgen.

Schon allein dafür hat sich das frühe Aufstehen gelohnt.
Nach dem Frühstück packen wir die Wanderrucksäcke, schnüren die Stiefel und dann geht es hinein in den Wald. Ein wenig enttäuschend ist, dass das offizielle Informationszentrum, das sich im Hotel befindet, außer einer sehr unpräzisen Karte, die wir kaufen müssen, nichts zu bieten hat. Von den beworbenen, gebuchten Touren, die uns an die Grenze führen könnten, ist nichts in Erfahrung zu bringen, außer, dass es sie nicht gibt.
Die Empfehlungen an der Rezeption sind auch eher spärlich. Outdoor Active empfiehlt eine Tour vom Gebirgssee Gornje Bare hinab zum Fluss und anschließend wieder herauf.
Irgendwie ist das Quatsch, zu dem See zu fahren, dann 800 Höhenmeter ins Tal zum Sutjeska zu steigen und anschließend wieder herauf. Ohnehin habe ich mittlerweile ein eher kritisches Verhältnis zu diesem User generated content, also den Touren auf diesen Apps. Manche Beschreibung ist mehr als unpräzise, manche führen über Trampelpfade durch ungesichertes Gelände, manche quer durch (Naturschutz)-Sperrzonen. Es kontrolliert halt niemand wirklich, wer da was einstellt, und was wirklich begehbar ist und was nicht. Hier aber handelt es sich auch um einen Weg auf der „Wanderkarte“.
Nur wird andersherum ein Schuh draus, so sieht das auch die Rother Wanderapp: Also erst rauf, dann wieder runter. Prophylaktisch packen wir Badeklamotten und leichte Handtücher mit ein. Fotos von dem See, die im Hotel an der Wand hängen, versprechen einen wunderschönen Ort.
Wie immer ist es das Schwierigste, den Anfang zu finden.
Das ist hier doch nicht so problematisch, der Einstieg in die Wanderung ist schnell entdeckt. Einfach, weil es an der Straße gar keinen anderen Weg gibt, aber einen fast zugewachsenen Wegweiser.
Dann aber wird es (Höhen)meter um Meter schwieriger.
Wir durchqueren konstant bergauf wunderschöne Buchenwälder, die sehr urtümlich, sehr urwaldartig sind. In der Tat gibt es im Sutjeska Nationalpark große, zusammenhängende Urwälder samt Bären und Wölfen. Aber wohl nicht hier.
In der Tat gibt es hier auch einige Bereiche, die nicht sicher sind, weil noch Minen im Boden liegen könnten, auf einer Karte entdecke ich ein solches rot schraffiertes Gebiet. Aber das ist weit weg von den Wegen, die Urlauber und Wanderer nehmen. Also auch weit weg von hier.
Wie beruhigend.

Eine Schneise einer Lawine, ist dickichtartig zugewachsen, der Weg hindurch ist kaum zu finden. Mittlerweile ist es sehr warm geworden, zwischen den Bäumen ist es noch immer angenehm, aber in der Schneise dampft es. Das rührt von den Bächen her, die ins Tal fließen, die wir durchschreiten müssen. Rother markiert diesen Weg im Wanderführer übrigens als blau, also leicht. Ich möchte gern mit dem Verlag darüber diskutieren, was „leicht“ in diesem Zusammenhang bedeutet. Und ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie dann die roten oder gar die schwarz markierten Wanderungen aussehen.

Hunderte von Käfern und Schmetterlingen halten sich in der Nähe der Bäche auf. Ein Weißbindiger Bergwaldmohrenfalter, so identifiziert ihn später die Bestimmungsapp ObsIdentify auf meinem Handy, landet bedenkenlos auf meinem Handrücken und fühlt sich dort so wohl, oder zumindest so sicher, dass er sich bedenkenlos von allen Seiten fotografieren lässt. Erst als ich ihn anpuste, flattert er davon.

Als der Weg gar kein Ende nehmen will, die Markierungen so dürftig werden, dass wir oft ratlos sind, weil auch kein wirklicher Pfad auf dem Boden mehr zu erkennen ist, machen wir einen Stopp und entscheiden, umzukehren. Bergsee hin oder her.
800 Höhenmeter in kurzer Zeit steil bergauf, das ist nicht unbedingt das, was untrainierte, alte, weiße Männer wie ich tun sollten. Sie könnten da doch viel bequemer in einem Café sitzen und Zeitung lesen.
Zwar stimmt die Beschreibung des Weges im Wanderführer, aber gelegentlich sehne ich mich doch nach den unübersehbaren Markierungen zurück, wie sie der Sauerländische Gebirgsverein überall anbringt. Nun ja. Bergab kommt uns ein einzelner Wanderer entgegen, der nicht nur grüßt, sondern mich unvermittelt gleich auf deutsch anspricht. Verdammt, verdammt, verdammt! Woher weiß er das?

Wieder im Tal überlegen wir, was wir mit dem Rest des Tages anfangen könnten.

Erst mal was essen, dann vielleicht doch zu dem Bergsee mit dem Auto fahren?
Das Essen gestaltet sich nicht allzu schwierig, wir finden ein gemütliches Restaurant, das auch nachmittags Essen serviert, sitzen auf der Terrasse und sind gespannt, was es geben wird.
Die Speisekarte ist einsprachig bosnisch, die Wirtin spricht fast kein Wort englisch, es ist also mehr eine Verständigung mit Gesten und Lachen, mehr eine Ahnung als ein Wissen von dem, was wir bestellen. Aber es mundet großartig. Zwei Liter Mineralwasser sind im Nu getrunken, das irritiert die Frau ein wenig – aber so sind sie nun mal, die Urlauber. Im Prinzip also auch nicht viel anders als es umgekehrt im Bayerischen Wald wäre.

Anschließend tasten wir uns mit dem Auto zum See, einen Versuch ist es wert.. Aber die Straße bzw. der Weg dorthin ist in einem so schlechten Zustand, dass wir erneut umkehren. Felsbrocken, Schlaglöcher, Fahrrinnen, abgeschwemmte Kanten, dazu eine Enge, dass die Büsche einem den Lack an den Türen zerkratzen. Es ist die erste und die einzige Straße auf unserer Reise, die so dermaßen schlecht ist, dass Weiterfahren töricht wäre.

Nice try – vielleicht könnte das mit einem anderen und geländegängigen Wagen probieren, aber nicht mit unserem. Auch nicht weiter tragisch.
Denn stand da nicht etwas auf booking.com über einen Außenpool des Hotels? Das wär doch was.
Tja – nur stimmt eben nicht alles, was man in diesem Internetz so liest. Dazu im nächsten Beitrag. mehr.

Tipp/Info für Nachahmer*innen (eigene Erfahrung, Stand 2023):
Der Sutjeska Nationalpark war bei unserer Rundreise quasi der kurzzeitige Ausstieg aus der Komfortzone. Das Hotel Mladost war eher auf dem Niveau einer Jugendherberge, die englischen Sprachkenntnisse im Service im Hotel wie den Restaurants eher mau. Irgendwie scheint dieser Fleck noch nicht ganz in der Gegenwart angekommen zu sein. Muss er vielleicht auch nicht in allen Belangen, denn das macht es aber auch spannend. Essen bestellen mit den Fingern auf der Karte, beim Frühstück Hemendex als „Ham and Eggs“ zu identifizieren, die Extrakosten für den Frühstückskaffee im Hotel aus Trotz einzusparen und sich Tee zu bestellen, der dann nicht mal mit Beutel in der Tasse serviert wird, wohl eher so geschöpft aus dem Fünflitertopf. Aber warum nicht auch mal Käse, Brot und Hagebuttentee zum Frühstück oder Bekendex (Bacon and eggs) mit Pfefferminztee. Mutig bleiben und den Humor nicht verlieren.

Alle Teile:
Ankündigung
01: Banja Luka
02: Kozara Nationalpark
03: Der Familienfriedhof im Wald
04: Jajce
05: Die Mlinčići am Pliva See / Zenica
06: Sarajevo, eine erste Annäherung
07: Sarajevo, Baščaršija
08: Sarajevo, auf dem Trebević
09: Sarajevo, zwei Moscheen
11: Sarajevo, die einst belagerte Stadt
12: Auf dem Weg in die Herzegowina
13: Mostar, die alte Brücke
14: Mostar, Stadtrundgänge I
15: Mostar, Stadtrundgänge II
16: Blagaj
17: Weiter gen Osten
18: Sutjeska Nationalpark
19: Tjentište, der Außenpool
20: Tjentište, das Theater am Ende der Welt
21: Trebinje
22: Die Bogomilen Nekropole Radimlja
23: Počitelj
24: Studenci, die Kravica Wasserfälle
25: Nordwestwärts
26: Una Nationalpark
Epilog: Nur ein Stuhl?


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