Bosnien – Eine Reise (05): Die Mlinčići am Pliva See / Zenica

Es ist ein Denkmal von nationaler Bedeutung: Die mittelalterlichen Wassermühlen bei Jajce, die Mlinčići, eine Pflichtstation bei jeder Rundreise durch Bosnien und Herzegowina.
Und das zu Recht. Obwohl sie noch in Jajce ausgeschildert sind, verpassen wir den richtigen Abzweig, fahren einmal komplett am Ufer des Veliko Plivsko jezero vorbei, des Großen Plivo Sees, der überaus einladend daliegt. Auch er gehört zu den unbedingt besuchenswerten Orten, in ihm zu schwimmen, bzw. im kleineren Teil an der Badebucht bei Jajce ein unbedingtes Muss.

Aber um es kurz zu machen: Nein. In diesem See war ich nicht. Ich wäre gerne, aber es ergab sich nicht, bzw. es gab gute Gründe, es nicht zu tun. Ein anderes Mal vielleicht, das weckt schon ganz früh bei unserer Reise den Wunsch, wiederzukommen, das Versäumte nachzuholen. Bosnien und Herzegowina ist ja nicht aus der Welt.Statt dessen also steuern wir dann doch endlich die Mühlen an, finden diese auch und fühlen uns schlagartig in eine andere Welt versetzt. Nur welche?

Es könnte ein wenig wie ein übrig gebliebenes Filmset wirken – ein wenig Herr der Ringe vielleicht? Oder der Hobbit?
Ein erstes Mal beobachten wir, dass Bosnien und Herzegowina auch ein begehrtes Reiseland für Gruppenreisen ist. Busweise werden die Touristen, die nur für einen Fotostopp an den Wasserfällen halten, hierher gekarrt.

Menschenmassen flanieren durch den Park, erfrischen sich an einem der Kioske und spazieren kreuz und quer auf den Stegen durch die Mühlen. Die Häuschen übrigens sind allesamt geschlossen, nirgends kann man hineinschauen, nirgends wird einem irgendetwas Weitergehendes erklärt, nichts, was hier und vor allem wie in den kleinen Häusern gemahlen wurde. Nicht das kleinste Hinweisschild, oder haben wir es nur übersehen?
Bemerkenswert ist: Das Ganze kostet (zumindest als wir dort sind) nur einen Parkobolus, aber keinen Eintritt.

Bilder von den Holzhäuschen ohne Menschen zu machen ist ein schieres Ding der Unmöglichkeit, der Versuch ist ehrenwert aber zum Scheitern verurteilt. Also ergebe ich mich dem Schicksal und fotografiere mit möglichst wenig Leuten auf dem Bild, stehe dabei aber anderen, die Selbiges vorhaben, genauso im Motiv.

Viele arabische Familien sind hier, viele der Frauen sind vollkommen verschleiert. Wir werden im bosnischen Teil des Landes immer wieder auf solche Reisegruppen stoßen. Offenbar ist das Land für Araber eine begehrenswerte Urlaubsdestination. Das ist verständlich, es ist zumindest hier islamisch geprägt, was es zum Beispiel einfacher macht, sich halal zu ernähren, was auch eine größere Toleranz gegenüber verschleierten Frauen im Stadtbild erwarten lässt. Niemanden interessiert das, man hat verstanden, dass arabische Reisegruppen einen erheblichen Faktor in der Tourismuswirtschaft ausmachen.

Mir fällt die wiederkehrende Diskussion um Schleierverbote in München oder deren Durchsetzung in Paris ein, mitsamt den Anfeindungen und dem Misstrauen gegenüber diesen Menschen. Hier im bosnischen Teil der Föderation scheint das kein Thema zu sein.
Türkische Reisegruppen machen einen weiteren erheblichen Teil des Tourismus aus, wohl aus ähnlichen Gründen. Ohnehin stehen Bosnien und die Türkei in einem engen freundschaftlichen Verhältnis zueinander.
Es ist rührend und faszinierend, wie begeistert die arabischen Touristen, vor allem die Frauen, auf den Stegen zwischen den Kanälen und über die kleinen Wasserfälle laufen: So viel Wasser, so viel Grün. Eine andere Welt.
Es werden hunderte Fotos gemacht und ich denke mir, die gleiche Perspektive, mit der ich jetzt diese Menschen bei ihrer Begeisterung beobachte, nehmen vielleicht die Menschen der Wüste ein, wenn unsereiner das erste Mal vor den endlosen Sanddünen steht und nicht glauben kann, was er doch mit eigenen Augen sieht.
Nebenbei bemerkt: Wasser fotografiere ich auch sehr gerne. Fließgewässer, Wasserfälle, Gischt, Brandung. Wasser in Bewegung. Mal eingefroren in einem Achttausendstel einer Sekunde, mal weich verwischt in einer halben Sekunde Belichtungszeit. Grob geschätzt zeigt etwa ein Drittel der Bilder, die ich aus Bosnien und Herzegowina mitgebracht habe, irgendetwas mit Wasser. Dazu musste ich nicht mal ans Meer reisen.

Nicht wenige meiner Fotos aus dem Park zeigen auch Libellen wie den Spitzenfleck oder die Blauflügel-Prachtlibelle. Es gibt sie dort in großer Zahl.

Nach dem Verlassen des Sees sind es wieder zwei Stunden Fahrt, wieder geht es durch Täler, über einen Pass, vorbei an Verkaufsständen, an Schrottplätzen, durch Dörfer und die Städte Donji Vakuf und Travnik. Dann machen wir, bevor es endgültig nach Sarajevo geht, einen Zwischenhalt in Zenica.

Zenica
ist eine Stadt, die man nicht gesehen haben muss. Sie hat nichts Touristisches, nichts Schönes. Es ist eine Arbeiterstadt, die lange von Braunkohleabbau und einem Stahlwerk lebte. Nun sind beide Wirtschaftszweige auf dem stark absteigenden Ast, die Privatisierung des einstigen staatlichen Stahlwerks führte zu Massenarbeitslosigkeit, die Region wartet so händeringend auf den Strukturwandel und neue Jobs wie in den 80ern und 90ern das Ruhrgebiet.Wir fahren trotzdem hin – eine Stippvisite nur. Wir erwarten hier keine großartigen Sehenswürdigkeiten, dafür aber das ganz normale Leben.
Zurückgeblieben vom einstigen Entwicklungsschub, den Jugoslawien nach dem zweiten Weltkrieg genommen hatte, sind in Zenica vor allem die Plattenbauten, die Wohnraum für die vielen Zuzügler der schnell wachsenden Industriestadt schaffen sollten. Ein Effekt, wie man ihn überall in Europa beobachten konnte. Aufstieg und Fall von Stahl- und Kohlegebieten, von der Konzentration einer ganzen Region auf nur wenige Industriezweige hin bis zu einer fatalen Abhängigkeit davon.

Sehenswert ist die alte Moschee in Zenica, die nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde. Sie zu besichtigen ist kein Problem. Sie ist geöffnet, niemand ist da, der Eintritt verlangt oder darauf achtet, dass wir die Schuhe ausziehen, was wir natürlich selbstverständlich machen.

Der Moschee schließt sich ein kleiner muslimischer Friedhof mit sehr alten Grabstelen an. Es ist der erste rein muslimische Friedhof den ich betrete. Und er fasziniert mich. Noch habe ich nicht die blasseste Ahnung davon, wie viele Friedhöfe wir auf dieser Reise noch sehen und zum Teil betreten werden. Gleich am nächsten Tag in Sarajevo.

Tipp/Info für Nachahmer*innen (eigene Erfahrung, Stand 2023):
Wenige Autobahnen gibt es in Bosnien und Herzegowina, aber ein gut ausgebautes Netz an Landstraßen (Magistralen). Viele Straßen sind dabei in einem deutlich besseren Zustand als so manche Straße hier. Es wurde viel investiert, es wurde und wird viel gebaut und modernisiert, so zum Beispiel Beläge erneuert, Straßen erweitert.
Schlaglochpisten, Schotterstrecken? Ja, die gibt es auch, aber nur bei winzigen Nebenstraßen, die irgendwohin in den Naturschutzgebieten führen. Aber da fährt man ja auch nicht herum, da wandert man.
Ansonsten stellt Autofahren in Bosnien und Herzegowina absolut kein Problem dar, man sollte sich allerdings auf eher gemächliches Vorankommen einstellen, denn oft führen die Straßen über Gebirgszüge und Pässe, nicht überall gibt es da Überholspuren. Und dann und wann hat man sogar ein Pferdegespann vor sich, das Heu von einer Wiese zu einem Hof bringt.
Es gibt übrigens mehr als genug Tankstellen an allen Ecken und Orten.

Alle Teile:
Ankündigung
01: Banja Luka
02: Kozara Nationalpark
03: Der Familienfriedhof im Wald
04: Jajce
05: Die Mlinčići am Pliva See / Zenica
06: Sarajevo, eine erste Annäherung
07: Sarajevo, Baščaršija
08: Sarajevo, auf dem Trebević
09: Sarajevo, zwei Moscheen
10: Sarajevo, der alte jüdische Friedhof
11: Sarajevo, die einst belagerte Stadt
12: Auf dem Weg in die Herzegowina
13: Mostar, die alte Brücke
14: Mostar, Stadtrundgänge I
15: Mostar, Stadtrundgänge II
16: Blagaj
17: Weiter gen Osten
18: Sutjeska Nationalpark
19: Tjentište, der Außenpool
20: Tjentište, das Theater am Ende der Welt
21: Trebinje
22: Die Bogomilen Nekropole Radimlja
23: Počitelj
24: Studenci, die Kravica Wasserfälle
25: Nordwestwärts
26: Una Nationalpark
Epilog: Nur ein Stuhl?


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2 Antworten

  1. Inga sagt:

    Was für ein interessantes Reiseland! Danke für den Tipp.
    Vor kurzem habe ich einen sehr guten Film gesehen, der in Sarajevo in der Gegenwart spielt und die Wunden des Balkankrieges thematisiert, bei einem Speeddating Event.
    The Happiest Man in the World von Teína Strugar Mitevska, Nordmazedonien, 2022.

    • Lutz Prauser sagt:

      Danke für den Filmtipp, das klingt super spannend.
      Die nächsten sechs Beiträge sind dann über Sarajevo, was eine unglaublich tolle, spannende und doch zutiefst traurige Stadt ist.

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