Bosnien – Eine Reise (21): Trebinje

Tjentište zu verlassen und zum nächsten Hotel in Čapljina zu fahren heißt, weitgehend den gleichen Weg zurückzunehmen. Irgendwie war der Abzweig in den Sutjeska Nationalpark  eine „Sackgasse“ auf unserer Rundreise, aber eine, die sich gelohnt hat.
Wieder fahren wir am Jezero Klinje vorbei, wieder nähern wir uns Gacko und seinem wenig charmanten Kohlekraftwerk. Statt aber nun zurück nach Blagaj und Mostar zu fahren oder direkt über Stolac nachČapljina, entscheiden wir spontan, einen großen Schlenker nach Süden zu machen. Ziel ist Trebinje. Von dem Ort heißt es, es sei ein wenig wie Dubrovnik en miniature. Noch immer ein „Geheimtipp“, der aber auf nahezu allen Reiseblogs, Hitlisten und in fast allen Reisevideos propagiert wird. Also nichts Geheimes. Nun also auf nach Trebinje.

 

Ob das wirklich Klein-Dubrovnik ist, kann ich nicht beurteilen, ich war noch nie in Dubrovnik. Wir werden in dieser Reise auch nicht dorthin fahren, auch wenn die kroatische Küstenstadt nur 30 Kilometer von Trebinje entfernt liegt.
Dass der Vergleich aber nicht wirklich zutreffen kann, liegt schon daran, dass Dubrovnik am Meer liegt, Trebinje hingegen nicht. Auch wird Dubrovnik anders als Trebinje von Touristen, die sich die Drehorte von Game of Thrones ansehen wollen, sommers komplett überrannt. Dazu kommen zu Tausenden Reisende aus Kreuzfahrtschiffen, die für ein paar Stunden in die Stadt ausgespuckt werden, bevor die riesigen Schiffe sie wieder in ihren Bauch aufsaugen und weiterfahren. Und Dubrovnik kassiert, wie auch andere Städte in Kroatien die Urlauber mittlerweile kräftig ab. Dafür habe ich viel Sympathie. Jahrzehntelang hat sich das Ferienland viel zu billig verkauft, vor allem im Vergleich zu Italien, hat Jahr für Jahr mehr und mehr Urlaubermassen ertragen, die sich einen gefeixt haben, wie günstig dort alles sei.
Jetzt, da Kroatien dem Schnäppchenjägertourismus die Stirn bietet, ist das Geschrei groß: Medial in den deutschen Tageszeitungen, die sich als Sprachrohr der kleinen Leute verstehen, ebenso wie in den Bewertungen bei Google Maps wird in Endlosschleife gemeckert.

Die Eintritts- wie Eispreise sind explodiert, so etwas mögen Frau und Herr Billigheimer aus Deutschland allerdings gar nicht. Das war doch früher nicht so. Aber da war sowieso alles besser.

Das mögen sich auch die Menschen in der Republika Srspa denken, die Tito hinterhertrauern, dem starken Mann in Belgrad, dem Lenker und Herrscher Jugoslawiens, ganz gleich, wie diktatorisch er gewesen sein mag, wie sehr er auch auf seinen ganz privaten Luxus Wert legte. Das ist dann völlig egal. Er war und ist ihr großer Held. Zu seiner Zeit war alles besser. Nun ja…

Als wir in Gacko statt Richtung Westen nun nach Süden fahren sind wir zwar in der Herzegowina, aber eben auch in der Srpska. Es geht südwärts, immer weiter nach Süden Richtung Bileća. Der Ort liegt nördlich eines großen Sees,  dessen Ostteil liegt bereits in Montenegro. liegt Er soll ein wunderschön sein, so lese ich. Ud tatsächlich macht er, als wir die Straße oberhalb des Sees passieren, einen tollen Eindruck.
Trotzdem halten wir am Badeplatz nicht an. Mich beschleicht  hier das erste Mal ein gewisses Unbehagen, das ist eingebildet, vermutlich vollkommen unbegründet bzw. nur auf Klischees fußend. Aber überall in und rings um Bileća wehen nicht nur serbische Fahnen, überall ist in gleichen Farben (weiß, rot und blau) auch unübersehbar ein großes Z auf Wände gemalt.
„In Russland hat sich der lateinische Buchstabe „Z“ zum Symbol der Unterstützung für die russische Armee und die Regierung entwickelt: Auf Autos, Plakaten und Profilfotos in den Online-Netzwerken bringen Menschen damit ihren Zuspruch zum russischen Militäreinsatz in der Ukraine zum Ausdruck“ wie es die Website vom ZDF Heute erklärt.
Russland steht hinter Serbien, Serbien hinter der Republika Srpska. Das Interesse einer Destabilisierung des Balkans kann nur im Interesse Russlands sein, schafft es doch für EU wie Nato immense Probleme.
Nein, wo überall mit Z prorussisch und zugleich nationalistisch für den Einmarsch in der Ukraine, für Krieg und Völkermord gesprayt wird, da möchte ich nicht sein. Da ist mir ein Schwimmen im Jezero Bilecko auch egal. Wir wollen hier keinen Halt machen, wir wollen hier nicht aussteigen.
Sicher, es sind nicht alle so. Nicht alle Serben sehen das so, nicht alle Bürger der Republika Srpska. Pauschalisieren ist nicht zulässig. Denn noch lange hat nicht automatisch der Recht, noch lange hat er nicht eine Mehrheit, der am lautesten schreit. Das ist in den sozialen Medien nicht so, und auf der Straße mitsamt angesprühten Bekundungen und Botschaften auch nicht anders.
Es ändert aber nichts daran, dass wir bis Trebinje durchfahren. Mir ist das hier alles mehr als eine Spur zu nationalistisch.

Trebinje liegt an den Hängen des dinarischen Gebirges, irgendwie liegt alles in Bosnien und Herzegowina an oder in diesen Bergen – ach was: Der halbe Balkan. Trebinje liegt ebenfalls in der Republika Srpska, gesprühte Z sieht man hier allerdings nicht, zumindest nicht im direkten Innenstadtbild. Die Stadt gibt sich enorme Mühe, von den Besuchern geliebt zu werden, sie zeigt sich malerisch, aufgeräumt, modern und international…

Und doch zeigt sie sich auch sehr serbisch, was uns Urlaubern zu verurteilen nicht zusteht. Das zum Beispiel heißt, dass Vieles ausschließlich in kyrillisch zu lesen ist. Manches erschließt sich aus dem Kontext, ob nun das  I❤️Trebinje…

oder die Inschrift auf dem Kriegerdenkmal im Stadtpark für die gefallenen Antifaschisten der Jahre 1941 bis 1945. Das stammt mutmaßlich noch aus jugoslawischer Zeit.

Ehrenmäler für die Toten des Zweiten Weltkriegs gibt es viele, wie auch hierzulande, in der Republika Srspka irritiert mich immer die Spanne 41-45, nachvollziehbar, denn der deutsch-italienische Überfall auf Jugoslawien war erst 1941, die ersten zwei Weltkriegsjahre blieb Jugoslawien unbehelligt.

Für das nationale Selbstbewusstsein scheint die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die damit verbundene Heldenverehrung im serbischen Teil enorm wichtig zu sein, während man sich im bosnischen Teil wesentlich mehr auf die Aufarbeitung des Krieges 1992-1995 fokussiert. Dieser Krieg, auf den die Serben vor der Weltbevölkerung alles andere als stolz sein sollten, wird in der Srpska offiziell ausgeklammert.
Statt dessen errichtet man zum Beispiel Luka Vukalović ein Denkmal und verehrt den Anführer des serbischen Aufstands gegen die Türken im 19. Jahrhunderts, in dem man ihn einen Kranz zu Füßen legt. Vielleicht täusche ich mich, aber mir kommt es so vor, als ob in dieser Form des Patriotismus und der Heldenverehrung auch immer ein Signal in Richtung Sarajevo mitschwingt.
Die Beschriftung des Denkmals ist auch nur in kyrillisch, was  nicht mehr weiter verwunderlich ist.
So wenig, wie es verwunderlich ist, dass vor der Kathedrale der heiligen Verklärung des Herrn eine Statue von Patriarch Pavle errichtet wurde.
Der so liebenswert großväterlich erscheinende ältere Herr war einst der Metropolit von Belgrad, der sich zwar nach dem Zerfall für die Demokratisierung einsetzte (so lese ich), gleichzeitig aber auch sehr deutlich im Kroatienkrieg seine Stimme für ein Großserbien erhob und sich für die Zusammenführung aller serbischen Gebiete in einen Staat aussprach. „Die Gebiete, auf denen das serbische Volk seit Jahrhunderten lebte […] dürfen nicht innerhalb eines wie immer gearteten unabhängigen Kroatiens zurückbleiben. Sie müssen sich vielmehr unter einem vereinigten Dach zusammen mit dem heutigen Serbien sowie allen serbischen Krajinas wiederfinden.“ schrieb er 1991.
Er befeuerte den großserbischen Anspruch, der wiederum hätte auch für Bosnien und Herzegowina weitreichende Folgen, nämlich in letzter Konsequenz die Abspaltung der Republika Srpska. Und das Thema ist auch heute keineswegs vom Tisch.

Liest man die von Google übersetzten Kommentare zu dem Denkmal, liest man auch von großer Verehrung und Anerkennung für Pavle.  Wird er für seine großserbischen Sehnsüchte verehrt oder für seine väterliche Volksnähe? Vermutlich für beides.
Aber ich kann es nicht verhehlen – so langsam geht mir dieser unterschwellige wie auch offen zur Schau getragene Nationalismus mehr und mehr auf die Nerven.

Wie wohltuend ist es dagegen, durch die Straßen und den Stadtpark zu bummeln, über den Markt und die Gassen zu bummeln und den Blick auf das ganz normale, friedliche und alltägliche Leben zu richten.
Allzu viele Kirchen haben wir auf unserer Reise noch nicht von innen bestaunt, nach Banja Luka und Sarajevo ist es erst die dritte serbisch-orthodoxe, dazu die katholische in Mostar.
Die Tür ist offen, ein paar Leute schieben sich hinein, einer heraus. Ganz offenbar Gläubige, ganz offenbar Gemeindemitglieder, denn der Mann, der die Kirche beaufsichtigt und kleine Broschüren und anderes verkauft, grüßt alle freundlich.
Mich schaut er eher kritisch an, sagt aber nichts. Ich werde nicht ganz schlau, ob er jetzt eigentlich Eintritt fordern möchte, und wenn das so ist, warum er das dann nicht tut, oder ob er missbilligt, dass ich in der Kirche fotografiere.
Aber wenn fotografieren hier verboten ist wie zum Beispiel in der orthodoxen Kirche Sarajevo, kann man ja entweder ein Schild aufhängen oder er kann mich darauf hinweisen. Weder gibt es ein Schild noch spricht er mich an.
Dann kann ich ihm auch nicht helfen und mache ein paar Bilder. In Banja Luka war da ja auch kein Thema.

Als wir die Kirche und den Park verlassen haben, führt uns der Weg  über die nach dem Dichter benannte Ivo Andrić Brücke auf die andere Seite des Flüsschens Trebišnjica. Von hier aus hat man einen wirklich schönen Blick auf die Altstadt.
Bänke laden zum Verweilen ein, das obligatorische Bankfoto entsteht also auch.
Unaufgeregt geht es in der Altstadt zu, mediterran schläfrig vor allem in der Mittagszeit.
Restaurants warten auf den Besuch der ersten Gäste, ist Trebinje überhaupt ein touristisches Ziel?
Angesichts der vielen Restaurants scheint das so zu sein.
Ein wenig aber komme ich mir vor, als wären wir die einzigen Urlauber hier, andererseits werden in den Gassen der Altstadt jede Menge Souvenirs und Postkarten angeboten, in den Gassen, in denen aber kaum ein Mensch unterwegs ist.
Das aber mag der Mittagszeit geschuldet sein, in der in der größten Hitze des Tages eben alles sehr viel langsamer vonstatten geht.
Zumindest gilt das hier: In Mostar oder Sarajevo war das anders. In den Urlaubermetropolen Kroatiens an der Küste sicher auch.

Besonders angetan hat es mir der zentral gelegene Markt. Vielleicht liegt das daran, dass es ein echter Markt ist, auf dem die Erzeuger lokaler Produkte ihre Waren anbieten: Obst, Gemüse, Käse, Honig, Strickwaren, aber auch Second-Hand-Bücher.
Es ist ein Markt für die Einwohner der Stadt, nicht für die Touristen, es gibt hier weder Nippes noch Souvenirs, weder Kitsch noch Postkarten, weder Caps noch T-Shirts.

Es ist Mittag, die Hauptverkaufszeit scheint vorbei, die ersten Händler räumen zusammen, die wenigen Kunden, die noch etwas kaufen wollen, schlendern von Stand zu Stand. Man kennt sich, begrüßt sich, plaudert. Und wer nicht gerade im Gespräch ist, sucht in den Tiefen seines Telefons nach irgendetwas. Wie halt überall sonst auf der Welt auch.

Die einen haben eher viel, die anderen eher weniger zu verkaufen. Kaum einer nimmt Notiz von dem Typen, der unruhig mit der Kamera herumläuft, das Tele weit aufgefahren, und sich in Street Photography versucht.

Dann wird es Zeit, aufzubrechen, vor uns liegt noch ein weiter Weg übers Gebirge. Ein letzter Blick noch auf die moderne Michaelskirche, hinaufgestiegen sind wir nicht, dann verlassen wir Trebinje, den südlichsten Ort unserer Tour. Jetzt geht es wieder nach Nordwesten. Nächstes Ziel ist Čapljina, Stützpunkt für ein paar Hotspots in der Region, zuvor aber wollen wir uns die Nekropole der Bogomilen in Stolac anschauen.

 

Alle Teile:
Ankündigung
01: Banja Luka
02: Kozara Nationalpark
03: Der Familienfriedhof im Wald
04: Jajce
05: Die Mlinčići am Pliva See / Zenica
06: Sarajevo, eine erste Annäherung
07: Sarajevo, Baščaršija
08: Sarajevo, auf dem Trebević
09: Sarajevo, zwei Moscheen
11: Sarajevo, die einst belagerte Stadt
12: Auf dem Weg in die Herzegowina
13: Mostar, die alte Brücke
14: Mostar, Stadtrundgänge I
15: Mostar, Stadtrundgänge II
16: Blagaj
17: Weiter gen Osten
18: Sutjeska Nationalpark
19: Tjentište, der Außenpool
20: Tjentište, das Theater am Ende der Welt
21: Trebinje
22: Die Bogomilen Nekropole Radimlja
23: Počitelj
24: Studenci, die Kravica Wasserfälle
25: Nordwestwärts
26: Una Nationalpark
Epilog: Nur ein Stuhl?


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