Bosnien – Eine Reise (24): Studenci, die Kravica Wasserfälle

Nach dem Kozara Nationalpark und Jajce sind die Kravica Wasserfälle die dritten, die wir in diesem Urlaub besuchen. Und diese Fälle toppen die beiden vorher besuchten um Längen; schon allein, weil sich unterhalb der Fälle ein „Pool“ gebildet hat, ein großes Bassin im Fluss Trebižat, in dem man baden kann.
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Da muss ich unbedingt hin.

Weit ist es nicht, nur von Čapljina, vom Hotel aus ein paar Kilometer nach Nordwesten durch das nicht endenwollende Straßendorf Studenci, in dem der Verkehr herunterreguliert wird und wir das erste Mal tatsächlich eine Radarfalle entdecken. Zwei Polizisten stehen in einer Einfahrt, ziehen mit der Kelle entgegenkommende Fahrzeuge heraus und verteilen Bußgelder. Ein Stück weiter oben stehen ein Kollege und eine Kollegin mit Laserpistole.
Die Lichthupen der uns entgegenkommenden Autos warnen uns, irgendwie versteht man sich europaweit untereinander, warnt und solidarisiert sich gegen Radarfallen, und ich finde darin eine weitere schöne, grenzüberschreitende Gemeinsamkeit.
Überrascht stellen wir oberhalb der Fälle fest, dass die großen, recht vollen Parkplätze gebührenfrei sind, sei’s drum. Das nehmen wir dankbar an. Doch verfliegt diese Überraschung schnell, es gibt nur einen Weg hinunter, und der führt durch ein Kassenhaus, in dem auch die Parkgebühren einbehalten werden. Ist ok, auch wenn die Preise stolz sind.
Dann ist das eben so. Wir folgen den Menschen einen kleinen Weg hinab ins Tal – wie bereits erwähnt: Ungünstigerweise sind die Wasserfälle so installiert, dass man immer zu ihnen herabsteigen muss; und später wieder hinauf.
Unten erwarten uns Restaurants, eine Schotterfläche mit Liegestühlen, die man mieten kann, ein Badesteg und…

die wunderschönen Wasserfälle. Ein Naturschauspiel, bei dem es schwer fällt, sich sattzusehen (und satt zu fotografieren). Fließgewässer sind per se ein tolles Motiv, wenn sie sich aber wenn die sich rund 25 Meter in die Tiefe stürzen. Es ist einer der schönsten Orte unserer Rundreise, einer mit ungemein hohem Freizeitwert, denn man kann nicht nur schauen, staunen und dann wieder abrücken, man darf eben auch im Bassin der Fälle baden.

Ein paar Menschen stehen im Wasser. Im Becken ist es an vielen Stellen sehr flach, doch gibt es auch im mittleren Bereich und direkt an der Absperrleine tiefere Stellen. Die Leine verhindert, dass man zu nah an die Fälle heranschwimmt, eine Sicherheitsmaßnahme an die sich auch alle schön brav halten.
Alles ist wirklich idyllisch und schön, allerdings

wird es zum Mittag hin immer wärmer und zunehmend voller. Die Abkühlung im Fluss ist eben höchst angenehm.
Eine Liegewiese gibt es nicht, nur eine kleine Schotterfläche, auf dem einen die Menschen, die überall ihre Handtücher ausbreiten, mehr und mehr auf die Pelle rücken. Noch dazu stapfen andere, die nur für ein paar Fotos gekommen sind, einem auf den buchstäblich Klamotten herum.
Das ist crowding effect vom Feinsten. Dieser innerartliche Selbstregulierungseffekt führt dazu, dass nur die Stärksten ihren Platz behaupten, also die, die sich einen Scheiß um alle anderen Leute kümmern, während die anderen (zu denen auch ich gehöre) halt irgendwann nur noch genervt sind vom Gedränge und Geschiebe.

Im Wasser merkt man davon allerdings nichts. Denn das ist schon frisch. Welch Glück, dass ich zufällig (ja, ja) in meiner Schwimmtasche noch das Badethermometer habe. Da ich es genau wissen will, hole ich es heraus: „Bei 35 °C sind 16 °C Wassertemperatur eine angenehme Abkühlung“, notiere ich in den sozialen Medien samt Wasserfallfoto, verschweige aber auch nicht die Kehrseite der Medaille: „Daher waren wir nicht ganz die Einzigen, Dutzende Reisebusse waren eben auch da.“

Dass ich ein Bad nehme, ist selbstverständlich, viele machen das.

Dass ich mich dabei fotografiere (Selfietime!!!), ist ebenfalls selbstverständlich. Viele machen das. Also nicht, dass sie mich fotografieren, sie fotografieren sich selbst, bisweilen in einer hemmungslosen erschreckenden Exzessivität, die fast schon wieder amüsant ist.

Andere klettern ein Stück auf die bewachsenen, rutschigen Felsen an die Fälle heran, posen für Fotos aus dem Paradies. Alles soll ja so wunderbar perfekt aussehen.

Derweil füllt es sich weiter und weiter. Der Nachmittag ist angebrochen, noch immer steigen Scharen von Menschen herab. Wir packen unsere Sachen zusammen, ziehen uns ganz weit zurück, es nützt nichts.
Im Minutentakt rücken die Menschen auf, verdichten sich auf jedem Quadratmeter, auf dem man noch ein Handtuch ausbreiten kann.

Ein Blick hinauf zum Weg lässt ahnen, wie es im Lauf des Tages weitergehen wird. Von der Idylle des Ortes bleibt nicht mehr viel übrig. Aber wie immer in solchen Momenten muss mir klar sein, dass ich keinen Anspruch darauf habe, dort weitgehend allein zu sein, jeder hat das Recht, seine Freizeit hier zu verbringen, so wie ich eben auch im Rahmen unserer Rundreise hergekommen bin. Die Masse ist natürlich ein Problem, aber ich bin auch ein Teil der Masse und damit ein Teil des Problems.

Vor fünf Jahren hat Reise- und Fotoblogger Florian Westermann von den Phototravellers eine Blogaktion gestartet, in der man
Die schönsten Fotospots und die Wahrheit dahinter zeigen sollte. Damals beteiligte ich mich mit den Krka-Fällen in Kroatien, an denen es seinerzeit noch heftiger zuging. Mittlerweile ist das Baden an den Krka-Fällen verboten. Wunderschön, aber vollkommen überlaufen. Ich könnte jetzt mit den Kravica Fällen aufschließen.

Und natürlich zeige auch ich zumindest direkt aus dem Urlaub heraus nur die halbe Wahrheit, auch wenn ich erwähne, dass es voll ist. Nur: Wer liest das schon und lässt sich nicht nur von einem Foto anfixen?

Als ich am Spätnachmittag zurück im Hotel bin und die Bilder durchschaue, entdecke ich zuerst auf den Fotos vom weißen, fallenden  Wasser, dann auf immer mehr Bildern Flecken. Sie fallen auf kontrastarmen Flächen besonders auf: Blauer oder milchig heller Himmel ist geradezu prädestiniert, mir klar zu machen, dass ich seit ein paar Tagen Staubkörner auf dem Objektiv spazieren führe. Ich habe es viel zu lange nicht gereinigt.
Das heißt fluchen, fluchen, fluchen, dann das Objektiv säubern, die Sensorfläche in der Kamera gleich mit und später alle Bilder nachbearbeiten. „Much work to do“ – denn ich habe hier ausgiebig fotografiert.

Anschließend steige ich hinauf aufs Dach und versenke mich eine Zeitlang im Hotelpool, zwei Leute liegen in der Sonne, sonst ist da niemand.
Es ist die letzte Gelegenheit. Morgen geht es weiter, im zeitlichen Ablauf der Reise ist die Halbzeit längst überschritten, jetzt spüre ich den „Wendepunkt“, den Moment, an dem ich weiß, dass die Reise sich rasant ihrem Ende nähert. Was jetzt noch kommen wird, liegt bereits auf dem Rückweg Richtung Heimat, sind nur noch ein Zwischenstopp und die letzte Station – ein Nationalpark und (oh ha!) ein Wasserfall.

Alle Teile:
Ankündigung
01: Banja Luka
02: Kozara Nationalpark
03: Der Familienfriedhof im Wald
04: Jajce
05: Die Mlinčići am Pliva See / Zenica
06: Sarajevo, eine erste Annäherung
07: Sarajevo, Baščaršija
08: Sarajevo, auf dem Trebević
09: Sarajevo, zwei Moscheen
11: Sarajevo, die einst belagerte Stadt
12: Auf dem Weg in die Herzegowina
13: Mostar, die alte Brücke
14: Mostar, Stadtrundgänge I
15: Mostar, Stadtrundgänge II
16: Blagaj
17: Weiter gen Osten
18: Sutjeska Nationalpark
19: Tjentište, der Außenpool
20: Tjentište, das Theater am Ende der Welt
21: Trebinje
22: Die Bogomilen Nekropole Radimlja
23: Počitelj
24: Studenci, die Kravica Wasserfälle
25: Nordwestwärts
26: Una Nationalpark
Epilog: Nur ein Stuhl?


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1 Antwort

  1. manni sagt:

    superschöne Aufnahmen ! Ich hätte auch den Sprung ins Wasser gemacht

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