Bosnien – Eine Reise (25): Nordwestwärts

Jeder Kilometer, der uns nordwestwärts bringt, bringt uns dem Una Nationalpark näher, damit auch der letzten Station unserer Rundreise durch Bosnien und Herzegowina. Aber jeder Kilometer nordwestwärts bringt uns auch der Heimat näher, wir sind auf der Rückreise. Der Weg führt uns von Čapljina über Ljubuški und Posušje immer an der kroatischen Grenze entlang, übers Gebirge und eine weite Hochebene. Links trennt uns der Höhenzug von Dalmatien, irgendwo hinter diesen Bergen muss Split liegen, irgendwo vor uns liegt der Buško jezero, wieder ein Speichersee, wieder ein Etappenziel für heute, denn am Südufer liegt ein Badeplatz, den ich vorher im Netz ausgespäht habe.

Etwas versteckt und nur über einen Feldweg erreichbar, kommen wir zu einem Kiesstrand, dem jegliche touristische oder naherholungsgebietstypische Infrastruktur fehlt. Will sagen: Ein Schotterparkplatz, sonst nichts: Keine Mülleimer, kein Kiosk, kein Klohäuschen, keine Bänke, kein dies nicht und kein das nicht.

Nicht etwa, dass ich dies oder das vermissen würde. Ganz im Gegenteil. Eine Handvoll Leute ist da, irgendwo zwischen den Büschen erspähe ich einen Camper, ob wildes Campen erlaubt ist, weiß ich nicht, aber ich stelle mir das Gezeter hierzulande vor, wenn das einer am Starnberger See wagen würde.
Schnell ist ein Platz auf dem Kies gefunden, der zwar nur wenig Schatten bietet aber umso mehr Ausblick. Der nämlich ist famos.

So sehr ich mich bemühe, nirgendwo auf dem See entdecke ich ein Boot. Ja, es ist unter der Woche, die Freizeitkapitäne sind alle arbeiten. Eine Familie, die ein Stück weiter am Kiesstrand Platz gefunden hat, lässt irgendwann ein kleines Schlauchboot zu Wasser. Das war es dann aber auch. Keine Segler, keine SUPs, keine Wind- und keine Wingsurfer. Vielleicht täuscht der Eindruck, vielleicht ist das am Wochenende ganz anders…

vielleicht sind wir aber auch einfach zu weitab vom Schuss, zu tief in der „Niemand kommt hierher“ Gegend. Und ich finde das gut. So richtig gut. Im Netz habe ich Bilder gesehen, da ist es am Buško jezero um einiges voller, aber heute eben nicht. Prima. So mag ich das. Es wird das letzte Freiwasserschwimmen in diesem Urlaub sein.

Ohne Boje bleibe ich in Ufernähe, der See ist ohnehin viel zu groß, als dass ich vom Plaža Marinovac aus irgendwo sinnvoll hin schwimmen und den gleichen Weg zurücknehmen könnte. Vor uns liegen noch etwa 200 Kilometer Fahrt über Land, da ist nicht allzu viel Zeit.

Mit der Kamera im Anschlag gehe ich später noch ein Stück am Ufer entlang. Ich beobachte Libellen und Schmetterlinge. Schwalbenschwänze gibt es hier, eine Art, die durchaus (zumindest theoretisch) auch bei uns vorkommt, ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen gesehen habe. Oder zwei, drei oder gar einen ganzen Schwarm. Ist das überhaupt mal vorgekommen?

Am Buško jezero und nicht nur da gibt es diese wunderschönen Tiere gleich dutzendfach. Bosnien und Herzegowina ist irgendwie auch ein Land der Schmetterlinge.
Die Sonne steht hoch, es wird zunehmend heißer, wir packen die Schwimmsachen ein und machen uns wieder auf den Weg. Sollte es einen Moment geben, ein hohes Lied auf die Klimaanlage im Auto zu singen, jetzt wäre der richtige Augenblick.

Über Livno folgen wir der Straße nach Bosansko Grahovo, es ist ein sehr stark von der Landwirtschaft geprägtes Stück Land, gut bewässert ist est durch Bachläufe, Kanäle und Stauseen. Ein Straßenschild weist uns den Weg nach Knin auf der anderen Seite der Grenze. Dort waren wir vor zwei Jahren, standen in Kovačić, Luftlinie 12 Kilometer von der Grenze Bosniens entfernt, oder 18 Kilometer mit dem Auto über einen Pass durchs Gebirge. Den Abstecher hätte ich damals gern gemacht, das war der Moment, in dem die Neugier auf Bosnien riesengroß wurde. Es hätte allerdings nicht mehr in den Tag gepasst und unsere Köpfe waren voller Fragen und diffuser Vorstellungen, wie das ist, einfach sonach Bosnien zu fahren. Braucht man ein Visum? Wie ist das mit Corona (war ja 2021 ein Thema). Was erwartet uns dort? Wir entschieden uns damals dagegen und dafür, Bosnien und Herzegowina lieber geplant, vorbereitet und ausführlich zu bereisen.
Und das war richtig.

Die Fahrt von Bosansko Grahovo nach Dvar verläuft durch großartige, einsame Landschaften: Wälder, Weiden, ein paar Felder, winzige Dörfer, schier endlose Weiten in dem an sich eher kleinen Land.

Wor queren eine steppenartige Hochebene, in der wir seit langem mal wieder ein paar wenige Regentropfen abbekommen.

Noch einmal fahren wir mitten durch ehemaliges Kriegsgebiet, alle paar hundert Meter stehen links uns rechts verlassene Hausruinen, es müssen hunderte sein. Hier, abseits der Städte wurde und wird offenbar nichts mehr wiederaufgebaut. Neubau geht schneller und ist billiger, wenn überhaupt jemand da ist, der hier noch leben möchte, dem die Ruine und das Land drum herum gehört. Sind das Folgen des Bosnienkrieges oder des Durchmarschs serbischer Truppen nach Kroatien und deren Zurückschlagung? Die Kriege in Folge des Zerfalls Jugoslawiens haben rund 135.000 Menschen das Leben gekostet.
Über 25.000 Menschen gelten als vermisst, Flucht, Vertreibung und Umsiedlungen haben ihren Teil dazu beigetragen, warum dieses Land so ist, wie es ist.

Wir halten nicht mehr an, ich fotografiere ein paar dieser Ruinen aus dem Auto heraus. Als wir uns Drvar nähern, entdecke ich an den Bäumen am Straßenrand die charakteristischen roten Minenwarnschilder am Waldrand. Hinter Drvar und der Brücke über die Unac biegen wir ab in eine kleine Seitenstraße direkt in den Una Nationalpark. Die Aussicht ist gigantisch, dann geht es die Serpentinen hinab ins Tal.

Auf dem Weg nach Orašac werden wir das erste und einzige Mal ein paar Kilometer über staubige Schotterstraße parallel zur Una fahren. Das Tal weitet sich, fast, als wir unsicher sind, ob wir uns noch auf dem richtigen Weg befinden, erreichen wir das kleine Dorf, an dessen Rand unser Hotel liegt; das letzte in diesem Urlaub, das uns beherbergen wird.

Und das werden dann auch der letzte Nationalpark und der letzte Wasserfall sein, die wir besuchen; und dazu dann auch der letzte Blogbeitrag zu dieser Reise.

Alle Teile:
Ankündigung
01: Banja Luka
02: Kozara Nationalpark
03: Der Familienfriedhof im Wald
04: Jajce
05: Die Mlinčići am Pliva See / Zenica
06: Sarajevo, eine erste Annäherung
07: Sarajevo, Baščaršija
08: Sarajevo, auf dem Trebević
09: Sarajevo, zwei Moscheen
11: Sarajevo, die einst belagerte Stadt
12: Auf dem Weg in die Herzegowina
13: Mostar, die alte Brücke
14: Mostar, Stadtrundgänge I
15: Mostar, Stadtrundgänge II
16: Blagaj
17: Weiter gen Osten
18: Sutjeska Nationalpark
19: Tjentište, der Außenpool
20: Tjentište, das Theater am Ende der Welt
21: Trebinje
22: Die Bogomilen Nekropole Radimlja
23: Počitelj
24: Studenci, die Kravica Wasserfälle
25: Nordwestwärts
26: Una Nationalpark
Epilog: Nur ein Stuhl?


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