Bosnien – Eine Reise (01): Banja Luka

Jetzt also ist es passiert.
Ein angekündigter Stau auf der kroatischen E70 zwingt uns vorzeitig von der Autobahn auf die Landstraße Richtung Banja Luka. Über Bročice tasten wir uns nach Süden vor. Als wir bei Jasenovac die Save überqueren und auf Uštica zusteuern, betreten bzw. befahren wir das erste Mal das Gebiet.
Eine ungeheure Spannung macht sich breit, nun wird passieren, was ich mir sehr gewünscht habe: Bosnien und Herzegowina zu bereisen. Der Wunsch ist nicht sehr alt, war aber vom ersten Moment an, als die Idee da war, sehr stark geworden, entwickelte sich zu einer kolossalen Sehnsucht, getrieben von Neugier, ein Land kennenzulernen, von dem ich so furchtbar wenig weiß. Klar: Ortsnamen kennt man aus den Nachrichten, man hört von den Spannungen der einzelnen Bevölkerungsteile in der Föderation, man erinnert sich an den Krieg, der fast dreißig Jahre her ist. Die Älteren hören vielleicht noch den „Sarajevo“ jaulenden Fuchs, das Maskottchen der Winterolympiade 1984.
So wir mir geht es vielen, wobei längst nicht jeder das Bedürfnis hat, Bosnien und Herzegowina zu bereisen. Gerüchte, Vorurteile, Klischees, Phantasien – was hat man nicht alles im Kopf?
Bis man endlich mal dort ist.
Endlich.

Dabei war schon der Vorabend der Rundreise ein äußerst gelungener Einstieg. Unser Übernachtungszwischenstopp bei der Anreise führte uns ins slowenische Maribor. Vom etwas außerhalb gelegenen Hotel fuhren wir am Abend in die Altstadt just zum Abschluss des Musikfestivals in Lent. Überall Bühnen, überall Livemusik, Menschen, Frohsinn, Sommer, ein Sonnenuntergang, der nichts zu wünschen übrig lässt, der sich in der Drawa spiegelt und die Menschen stehen und schauen lässt. Auch uns.
So haben wir uns das vorgestellt.

Blick über die Drava in Maribor
Unser erstes Etappenziel in Bosnien und Herzegowina heißt Banja Luka. Die Stadt liegt im Nordwesten auf dem Gebiet der Republika Srpska, also dem Teil des Landes, der serbisch und damit serbisch-orthodox geprägt ist. Obwohl offiziell Sarajevo, das gar nicht in der Republika Srpska liegt, die Hauptstadt nicht nur der Föderation sondern auch dieser Teilrepublik ist, residiert und polemisiert der Präsident Milorad Dodik in und aus Banja Luka heraus.
Die Stadt selbst gibt sich jung und modern, quirlig und pulsierend, international und geschäftig. Man spürt: Banja Luka versucht, Anschluss an Europa zu halten und alles, was es an Klischees über Bosnien gibt („Armenhaus“, „Balkan“, „Orient“…) weit von sich zu halten.  Prächtig ist die orthodoxe Christus-Erlöser-Kathedrale…

Banja Luka: Die Christus Erlöserkirche

Banja Luka: Die Christus Erlöserkirche von innen

Wuchtig ist der Palast des Präsidenten, der bereits 1936 errichtet wurde, direkt neben der Kathedrale.

Banja Luka: Palast des Präsidenten

Banja Luka: MinarettFast schon grazil mutet die Ferhadija Moschee an, deren Geschichte bis zum Jahr 1579 zurückreicht. 1993, so lesen wird, wurde sie von serbischen Nationalisten gesprengt. Der Wiederaufbau wurde von heftigen Protestkundgebungen der serbischen Bevölkerung begleitet, bei denen es zu Ausschreitungen kam. Ein Mensch kam ums Leben und andere wurden verletzt.
Sehr gern hätten wir die Moschee auch von innen besichtigt, die Tür aber war verschlossen, vielleicht wegen des gerade stattfindenden Zuckerfestes, vielleicht auch aus Misstrauen und Sorge, dass ein ungehinderter, freier Zugang zu der Moschee böse Folgen haben könnte. Die Gräben quer durchs Land verlaufen tief. Die Wunden sind mitnichten verheilt, weder die in der Bevölkerung noch die in den Städten. Und man gibt sich reichlich Mühe, die auch immer wieder aufzureißen.
Das ist auf Schritt und Tritt zu spüren, die entsprechenden Eindrücke werden sich wie ein roter Faden durch einige Beiträge dieser Blogserie ziehen.
Unverrichteter Dinge gehen wir weiter, Moscheen werden wir später, weiter tiefer im bosnischen Teil des Landes allerdings noch mehrfach besuchen und besichtigen können.

Aber Banja Luka hat auch Orte einer kolossalen Leichtigkeit. An den Ufern der Vrbas liegt ein altes Kastell, ein malerischer, höchst romantischer Ort.
Schiffe, die auf dem Fluss vertäut liegen, sind zu Restaurants umgebaut, Menschen flanieren auf den Wegen am Wasser oder machen es sich auf der Wiese unterhalb des Kastells gemütlich.
Touristen und Stadtbesucher machen Fotos (so auch ich), bei vielen ist das Motiv das eigene Gesicht und das Kastell nur zierender Hintergrund, bei mir ist das eher nicht so.
Ein Reiher steht unbeeindruckt der Menschen in unmittelbarer Nähe im Fluss auf einer kleinen Insel und hält nach Beute Ausschau.

Banja Luka: Graureiher an der Vrbas

Banja Luka: Im Kastell

Banja Luka: Im Kastell

Banja Luka war ein gut gewählter Startpunkt für unsere Rundreise. Eine Einstimmung auf all das Kommende. Die Neugier steigt.

Banja Luka: Minarett im Sonnenuntergang

Tipp/Info für Nachahmer*innen (eigene Erfahrung, Stand 2023):
Bosnien und Herzegowina gehört nicht zur EU. Ein Einreisevisum braucht man als Deutsche trotzdem nicht, nicht mal einen Reisepass, der Personalausweis genügt. Allerdings neu für uns: An der Grenze bei der Einreise mussten wir den Fahrzeugschein vorlegen. Besser ist es also, zu kontrollieren, ob man den auch wirklich dabei hat und den dann an der Grenze griffbereit haben.

Alle Teile:
Ankündigung
01: Banja Luka
02: Kozara Nationalpark
03: Der Familienfriedhof im Wald
04: Jajce
05: Die Mlinčići am Pliva See / Zenica
06: Sarajevo, eine erste Annäherung
07: Sarajevo, Baščaršija
08: Sarajevo, auf dem Trebević
09: Sarajevo, zwei Moscheen
10: Sarajevo, der alte jüdische Friedhof
11: Sarajevo, die einst belagerte Stadt
12: Auf dem Weg in die Herzegowina
13: Mostar, die alte Brücke
14: Mostar, Stadtrundgänge I
15: Mostar, Stadtrundgänge II
16: Blagaj
17: Weiter gen Osten
18: Sutjeska Nationalpark
19: Tjentište, der Außenpool
20: Tjentište, das Theater am Ende der Welt
21: Trebinje
22: Die Bogomilen Nekropole Radimlja
23: Počitelj
24: Studenci, die Kravica Wasserfälle
25: Nordwestwärts
26: Una Nationalpark
Epilog: Nur ein Stuhl?


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