Bosnien – Eine Reise (19): Tjentište, der Außenpool

Auf Booking.com wirbt das Hotel Mladost in Tjentište mit einem Außenpool. Das klingt cool und verlockend, das ist ein gutes Argument, hier Quartier zu nehmen. Das wesentlich bessere Argument aber war, dass es quasi alternativlos gibt. Oben im Nationalpark nahe der Grenze zu Montenegro gibt es nämlich gar kein anderes Hotel. Campingplatz oder Ferienwohnungen wären noch Möglichkeiten, die aber für zwei Nächte für uns keine sind.
Also das Hotel. Das verspricht einen gewissen Luxus, nach der Anreise noch ein wenig in den Pool und am Folgetag nach der Wanderung im Park das Gleiche noch mal. Vielleicht vor der Abreise auch noch ein kleiner Morgenschwimm?
Aber wie heißt es so schön im Faust bei Goethe? „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, Und grün des Lebens goldner Baum.“
Grau nämlich ist nicht nur die Theorie, grau ist auch der Außenpool; beziehungsweise, das, was als Außenpool deklariert wurde. Um es genauer zu sagen: Betongrau, grün allerdings umsäumt. Das gebe ich gerne zu.

Das liegt natürlich auch ein wenig an mir. Meine Vorstellung eines Außenpools beinhaltet mehr ein Schwimmbecken wie im Freibad, vielleicht nicht ganz so groß, aber auf alle Fälle blau gestrichen oder gefliest, eine Terrasse daneben, ein paar Liegen, ein Beistelltischchen, Sonnenschirme und – oh kühnste Hoffnung – Service am Platz.
Plopp – ist die Traumseifenblase geplatzt.
Der Außenpool hier hat beachtliche Größe, ist geschwungen und herzförmig, von verlockender Betonfarbe – und er ist leer. Komplett leer. Also wasserlos.

Er gehört auch nicht wirklich zum Hotel sondern zu einer Art größerem Ferienressort, von dem das Hotel selbst auch nur ein Bestandteil ist, das man nur über einen Fußweg quer über eine kleine Campingwiese erreicht. Hier wird dann doch klar, dass ich meine Erwartungen viel zu hoch angesetzt habe. Es ist das erste (und einzige) Mal, dass ich von der Unterkunft nicht wirklich überzeugt min. Egal. Es sind ja nur zwei Nächte.

Einen Moment spiele ich mit dem Gedanken, für ein paar alberne Bilder in das Becken hinabzusteigen, Leitern gibt es mehr als genug. Aber es fühlt sich irgendwie falsch an, daher lasse ich das.

Damit ist klar: Schwimmen geht gar nicht. Nach der Wanderung und dem verspäteten Mittagessen wäre das schön gewesen, aber es hat nicht sollen sein. Von wegen grün sei des Lebens goldner Baum, wie auch die Hoffnung auf ein erfrischendes Bad. Alles nur grau.
Grün aber ist zumindest auch der Fußboden in dem Gebäude neben dem Pool. Das allerdings sieht so ganz und gar nicht hoffnungsvoll oder gar einladend aus. Es sei denn, man ist vielleicht Biologe.

Eigentlich sieht es nur algig bis eklig aus.

Hier befanden sich einst Umkleide, Duschen und Toiletten. Heute ist das ein Lost Place, bei dem es mich schon ein wenig schüttelt, bei dem Gedanken, als Schwimmbeckenbesucher hier barfuß raumlaufen zu müssen.
Das Gebäude sieht nicht so aus, als ob das erst so seit einigen Monaten so ramponiert wäre, also quasi über den Winter all das geschehen wäre.
Dass das Becken 2022 in Betrieb war, bestätigen Fotos auf Google, in denen sich Wasser darin befindet. Die Bilder sind nur 11 Monate alt. Was heißt: Vergangenes Jahr im August sind sie entstanden, da muss es also noch in Betrieb gewesen sein.

Wie mag es da in diesem Gemäuer ausgesehen haben, wie im Stock darüber im Restaurant samt Dachterrasse?
Ich schaue mich um. Denn anders als beim Pool, in den ich nicht geklettert bin, kann ich nicht widerstehen hier und dort mal einen Blick zu werfen. Auf geht’s in einen Lost Place, den ich hier nicht erwartet hatte. Wie gesagt: Ich war ja auf Außenpool eingestellt und mein Kopfkino hatte bereits die passenden Bilder erzeugt. Ganz sicher aber nicht solche, wie ich sie dann in der Wirklichkeit zu sehen bekomme.
Nicht nur der Algenbelag auf dem Estrich zeugt von längerer Zeitdauer, in der sich hier niemand um irgendetwas gekümmert hat.
Die Halterung der Neonröhren von der Decke baumelt, auch die Toilettenschüsseln sind dermaßen demoliert, dass hier ganz sicher keine Geschäfte mehr gemacht werden… welche auch immer.
Traurig und trostlos ist das alles.
Ein wenig ist es die berühmte Katze, die sich in den Schwanz beißt. Es fehlt an Geld, Tjentište auf den Standard zu bringen, der von Urlaubern in Nationalparks heutzutage erwartet wird, aber ohne Urlauber und Tourismus kommt eben auch kein Geld in die Kasse, so sind es eben nur die Bustouristen aus der Srpska und Serbien, die am Denkmal Station machen, und ein paar unerschütterbare Wandervögel, die hier durch die Urwälder stapfen wollen.

Das ist natürlich ein Irrtum. Wir wissen, dass nach coronabedingter Pause in den Vorjahren in diesem Jahr in Tjentište das OK Fest stattfinden wird (mittlerweile stattgefunden hat). 80.000 Besucher wurden erwartet, alles war ausgebucht. Drei Bühnen, vier Tage lang Musik, Rafting, Outdoor-Fun – ein Mega-Event in der Region.
Kein Hotelbett ist in diesen Tagen zu bekommen, keine Ferienwohnung und kaum ein Millimeter Platz auf den Flächen des Campingplatzes.
Das Festival findet nicht einmal vier Tage später statt. Bis dahin wird hier allerdings nichts passieren (können):

Die drei den Umkleidekabinen gegenüberliegenden Duschen machen ebenfalls keinen besonders sympathischen Eindruck. Ob Wasser auf der Leitung ist? Ich lasse es nicht auf einen Versuch ankommen. Im Zweifel ist dem so, im Zweifel fliegt durch den Druck der gesamte Duschkopf ab oder das Wasser spritzt in alle Richtungen und ich nehme, so vorsichtig ich es vielleicht auch ausprobieren wollte, eine unfreiwillige kalte Dusche in voller Garderobe.
Will ich das? Brauche ich das?
Ich denke nicht.
Nicht alles, was möglich wäre, muss ich auch ausprobieren.

Dem Erkundungsgang durch die latent siffig bis ekligen „Sanitär“anlagen schließt sich ein Blick auf die obere Etage an.
Von der Terrasse aus hat man einen großartigen Blick über den leeren Teich. Das Gebäude oben ist verschlossen, hinter der Tür stapeln sich Kunststoffstühle, ob das nun ein Veranstaltungsraum oder ein Café ist, erschließt sich mir nicht. Es gibt auch keinerlei Schilder, keine Reklametafeln oder sonst irgendwas. Alles verrammelt und verriegelt.

Trotzdem beschleicht mich so langsam der Gedanke, dass der Lost Place vielleicht gar keiner ist…

„Das Becken wird bestimmt noch gefüllt, es ist eben nur noch nicht Saison!“ meint meine Frau. Wann denn Saison wäre, wenn nicht jetzt, entgegne ich fragend wie zweifelnd. „Es ist ja schon Mitte Juli!“.
Überhaupt macht das Ganze eher den Eindruck, als sei die Saison vorbei und nicht, als würde sie erst noch starten. Und zwar für immer.

Das OK Fest aber scheint wohl tatsächlich erst der Saisonstart zu sein.
Gut, dass wir dann wieder weg sind.
Nichts davon ist an dem Außenpool zu sehen, aber ein paar hundert Meter weiter hat der Aufbau der Bühnen bereits begonnen. Es ist Sonntag, am Donnerstag soll es losgehen, dann hört man es von den Bergen hallen. Das ist nicht viel Zeit, auf jeden Fall zu wenig, um am Bad Duschen und Klos wieder in Stand zu setzen. Aber die Bühnen stehen schon.

Offenbar ist das auch genug Zeit, den Außenpool zu füllen.

Meine Frau hatte vollkommen recht.
Am nächsten Abend sind große Schläuche, Rohre und Starkstrom verlegt. Im Flüsschen Sutjeska steht in einer Kuhle, in der sich das Wasser sammelt, eine Pumpe. Ein Wasserstrahl ergießt sich in das Becken. Dort steht es schon knöcheltief.
Drei Tage haben die Veranstalter noch Zeit, dann muss der Pool voll sein. Das wird ganz sicher funktionieren, die Leute hier wissen, was sie tun.

Gefüllt wird es mit frischem Bergflusswasser.
Und entsprechend kalt.
Ausprobieren werde ich es nicht können, wir werden dann nämlich schon den nächsten Nationalpark ansteuern, den an der Una.

Tipp/Info für Nachahmer*innen (eigene Erfahrung, Stand 2023):
Wasser ist zum Waschen da… fallen und so weiter. Es soll ja Leute geben, die literweise Wasser im Supermarkt kaufen und das nicht nur trinken sondern auch zum Zähneputzen verwenden.
Wir haben ganz einfach das Leitungswasser benutzt, haben uns nicht alle paar Minuten die Hände oder konsequent überall die Toilettensitze desinfiziert. Und wir sind trotzdem gesund durchs Land gereist und wieder heimgekommen. Wir haben in Talsperren und Stauseen und an Wasserfällen gebadet, es hat nicht geschadet. Und wir haben in den Restaurants gern und sehr gut gespeist – all das ohne irgendwelche Durchfallerkrankungen, Magenverstimmungen oder sonst etwas vergleichbarem.

Alle Teile:
Ankündigung
01: Banja Luka
02: Kozara Nationalpark
03: Der Familienfriedhof im Wald
04: Jajce
05: Die Mlinčići am Pliva See / Zenica
06: Sarajevo, eine erste Annäherung
07: Sarajevo, Baščaršija
08: Sarajevo, auf dem Trebević
09: Sarajevo, zwei Moscheen
11: Sarajevo, die einst belagerte Stadt
12: Auf dem Weg in die Herzegowina
13: Mostar, die alte Brücke
14: Mostar, Stadtrundgänge I
15: Mostar, Stadtrundgänge II
16: Blagaj
17: Weiter gen Osten
18: Sutjeska Nationalpark
19: Tjentište, der Außenpool
20: Tjentište, das Theater am Ende der Welt
21: Trebinje
22: Die Bogomilen Nekropole Radimlja
23: Počitelj
24: Studenci, die Kravica Wasserfälle
25: Nordwestwärts
26: Una Nationalpark
Epilog: Nur ein Stuhl?


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