Zypern im November (#04): Die Drachenhöhle

Eine wirkliche Höhle ist die Drachenhöhle in der Nähe von Nea Limada auf Zypern nicht. Eigentlich ist es eine Ausspülung des endlos gegen den Kalkfelsen donnernden Meeres. Tief genug mittlerweile, dass man es vielleicht Höhle nennen kann, trockenen Fußes erreichbar über eine sehr neue Holztreppe, die von einem Parkplatz hinab zum felsigen Strand führt.


Tausende und Abertausende Kieselsteine liegen hier herum, glatt und rund geschliffen wie Flusskiesel.
Und genau das hat die Menschen, die diesen Ort besuchen, auf den Plan gerufen. Und fängt einer erst mal an, gesellt sich schnell ein zweiter hinzu, ein dritter, ein vierter…
Und so stehen in der Höhle auf den Felsvorsprüngen Steinmännchen. Nicht einer, eine Handvoll, ein Dutzend. Es sind hunderte. Wenn nicht mehr.

„Lass doch die Leute und ihre Steinmännchen,“ denke ich, als ich ganz kurz den Drang verspüre, mit ausgestrecktem Arm zwischen die Männchen zu fahren und in einer schwungvollen Bewegung die, die ich greifen kann, herunterzuwischen.  Es ist vielleicht ein wenig dieser Urtrieb, etwas zerstören zu wollen, was man nicht versteht, dessen Sinn man nicht erfasst oder was man albern bis dämlich findet. Letztlich primitiv und barbarisch zugleich.

Es wäre weder fair noch würde es irgendetwas zur Folge haben, in kurzer Zeit wären vermutlich wieder neue errichtet worden. Und es würde mich diskreditieren: Eben als primitiven, barbarischen, triebgesteuerten Menschen zeigen, der sich nicht im Griff hat.

Also beschränke ich mich darauf, all diese Steinmännchen kopfschüttelnd zu betrachten.
Ich bin nie wirklich hinter die Idee gestiegen, warum heutzutage Leute Steine anhäufen oder auftürmen, und zwar an allen Ecken der Welt, vorzugsweise dort, wo sie sich wohl fühlen, vorzugsweise an Orten, zu denen sie vielleicht wieder zurückkehren möchten. Sprich: Urlaubsorten. Denn diese Steinmännchen dienen weder als Wegweiser und Orientierungshilfe noch als Wohnort irgendwelche Geister wie ihre historischen Vorfahren. Das Thema hatten wir schon vor gar nicht langer Zeit hier im Blog.

Spirituell aufgeladen sind die Kieselaufhäufungen dennoch – und zwar von Menschen, die vermutlich eine enge Nähe zu allerlei Esoterischem haben, die sich als besonders empfindsam und achtsam ansehen, vom Wellenrauschen und Sonnenuntergang über dem Meer überwältigt sind und meinen, in Form von solchen Männchen dem Ganzen eine Verankerung zu geben. Die einen werfen Münzen in den Brunnen, die anderen errichten Steinmännchen, weil ihnen das Mythische  in ihrem Leben abhanden zu kommen droht und sie dies eben auf diese Art kompensieren. Wer das Bedürfnis hat, der soll das gerne tun.
In einer säkularen Welt ist es eben nicht mehr so einfach, große und kleine spirituelle Gesten zu tun.

Ein paar Fotos will ich machen; mehr zu dokumentarischen Zwecken und um vielleicht schnell etwas ins Netz zu stellen versehen mit dem großen Fragezeichen, wozu das gut sein soll… Doch dann stapfe ich immer weiter in der Höhle herum. Es ist eine gute Gelegenheit, die Kamera, die bei den krassen Lichtverhältnissen und Kontrasten kaum mitkommt, weiter zu testen.
Und dann entdecke ich sie: Die Fotomotive.

Schnell jedoch wiederholen sich die Bilder, schnell auch wird mir auch wieder die eigentliche Banalität des Ganzen deutlich, der im Wesentlichen auf dem Nachahmungseffekt basieren dürfte. Fängt einer mal an und stehen die ersten Männchen, gibt es kein Halten mehr – so kommt einer zum andern und der Tausendste zum Neunhundertneunundneunzigsten. Letztlich dürften die wenigsten darüber nachdenken, warum sie das gerade gemacht haben. Weil es eben alle machen…
Alle außer die nächsten Stürme. Wenn die das Meer mal ordentlich aufpeitschen, dürfte für das Gros der Steinfiguren ihr letztes Stündlein geschlagen haben.
Und dann geht es eben wieder von vorne los in der Drachenhöhle.

Wieder daheim finde ich die Internetseite des Regional Board of Tourism in Pafos mit einem Eintrag:  Die Drachenhöhle – Visit Pafos samt der Legende, die sich darum ragt. Auch dort sind Bilder der Höhle zu sehen, allerdings ohne ein einziges Steinmännchen auf den Bildern. Ein Schelm, wer jetzt Böses dabei denkt.

Auf Bewohner der Drachenhöhle sind wir übrigens nicht gestoßen. Kein Drache. Nirgends. Nicht mal ein kleiner.
Aber eine Gottesanbeterin haben wir gefunden. Sie saß auf dem Radkasten unseres Mietwagens und ließ sich nur schwer bewegen, sich einen anderen Platz zu suchen, als wir losfahren wollten.

Aber im Urlaub hat man ja Zeit…


Zypern im November – alle veröffentlichten Teile:

Ankündigung
Teil 01: Im Tal der Zedern
Teil 02: Das Wrack, das Fels, das Meer
Teil 03: Ein Lost Place der lost Souls
Teil 04: Die Drachenhöhle
Teil 05: Die Akavas Schlucht
Teil 06: Von Flamingos, Mohammeds Tante und doofen Leuten
Teil 07: Auf dem Aphrodite Trail
Teil 08: Paphos, die Kulturhauptstadt Europas 2017
Teil 09: Das Kykkos-Kloster
Teil 10: Polis

Und als Special ein Beitrag in einem anderen Blog:
Ein kleiner Friedhof, wie es hunderte gibt… im Totenhemd-Blog

 


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3 Antworten

  1. Dieter sagt:

    Sehr interessant die Steinmännchen und Dein Text dazu

    • Lutz Prauser sagt:

      Ich danke Dir. Seit Jahren versuche ich, dahinter zu kommen, wozu das nun wirklich gut sein soll.🙂

  2. Kurt Schaller sagt:

    Hallo Lutz. Mal wieder ein Beitrag der mir aus der Seele spricht. Ich ärgere mich auch über diesen Unfug, zumal an meinen Lieblingsplätzen in den Alpen nun auch überall diese blödsinnigen Steinmännchen stehen. Sie sollen angeblich Trolle vertreiben, fragt sich nur welche. Für mich ist es Gedankenlosigkeit, Dummheit und nicht zuletzt auch eine massive Umweltzerstörung. Meist sind es aber gerade die , die glauben die größten Umweltschützer zu sein, die diesen Schwachsinn produzieren. Bin mal gespannt wielange es dauert, bis sich die ersten Steinmännchen auf der Autobahn festkleben.