Die Steinmännchen am Weiher

„Die sind schön, oder?“ spricht mich eine Frau in etwa meinem Alter an, als ich am Kronthaler Weiher in Erding die Steinmännchen fotografiere.
„Ja, das sind sie,“ antworte ich, lüge dabei, ohne rot zu werden, denn schön finde ich sie nun nicht gerade, aber sie geben mit der Abendsonne, die sich im Wasser spiegelt, ein reizvolles Fotomotiv.

Steinmännchen

Zumindest denke ich das und probiere es gleich mal aus. Die Männchen für sich genommen sind nun weitaus weniger reizvoll aber über Schönheit liegt nun mal im Auge des Betrachters.

„Die hat mein Sohn gemacht!“ erwähnt die Frau voller Stolz, wartet wohl auf Lob und Anerkennung, ich quittiere das aber nur mit einem Gemurmel, ich bin nicht zum Smalltalk aufgelegt und auch deshalb nicht hergekommen. Ich will den Abend genießen, eine Runde schwimmen.

Steinmännchen

Was hätte ich auch groß mit der Frau plaudern sollen?
Eine Grundsatzdiskussion über Steinmännchen?
Vielleicht eine weitere unsägliche Debatte über kulturelle Aneignung entfachen?
Beutet da einer Tibet aus? Oder den Buddhismus?

Nach Auftrittsabbrüchen weiße Reggae-Musikern mit Rastafrisuren und dem ganzen Palaver um Winnetou habe ich einfach keine Lust mehr dazu. Vielleicht bin ich dazu viel zu sehr alter weißer Mann, um dafür noch Verständnis aufzubringen, wie man sich daran tagelang so hochziehen kann.

Warum ich das nicht will?
Zum Einen wird das der Cultural Appropriation in einer Vehemenz erörtert, die an Absurdität kaum mehr zu überbieten ist, zum anderen melden sich hier vornehmlich Medien, allen voran die Bild und Politiker wie Populisten aus dem rechtskonservativen Lager zu Wort, mit denen ich mich grundsätzlich nicht gemein machen will. Also nehme ich die Steinmännchen als ein hübsches Arrangement, fertig.

Ganz abgesehen davon gehört die Frage auch nicht hierher, denn Steinmännchen und -pyramiden sind mitnichten ein Spezifikum buddhistisch tibetischer Kultur, die man möglicherweise meint, jetzt vor der Vereinnahmung durch das Abendland schützen zu müssen.

Es gab und gibt sie seit alters her sowohl in den Engen der Alpentäler wie den Weiten Amerikas, in der Kälte Skandinaviens wie in der Hitze des Sinai. Sie fungieren vor allem als Wegweiser, mal filigran, mal meterhohe pyramidenförmige Steinhaufen. In einigen Kulturen sind sie neben ihrem profanen Nutzen religiös oder mythologisch aufgeladen. Seit einigen Jahren sind sie außerdem so furchtbar instagramable, dass jeder Instagramer und jede Influencerin, der etwas auf sich hält, an jedem Ort der Welt Steinmännchen errichtet um sich damit zu inszenieren und zu fotografieren.

Steinmännchen in Erding

Vielleicht geschieht das auch, weil in diese Steinmännchen auch eine Spiritualität hinein gelegt wird, die sie gar nicht haben, die aber der Welt heutzutage verloren gegangen zu sein scheint. Vielleicht sind sie, reduziert man sie auf ihre ursprüngliche Funktion, doch etwas arg profan, eventuell sogar sentimentaler Kitsch platziert an Orten, wo sie nicht hingehören.

Nun könnte man auch darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, diese Männchen überall zu errichten. Ökologisch ist das nicht ganz unbedenklich, wenn statt der kleinen Pyramiden zum Beispiel große Haufen aufgeschichtet werden. In bergigen Regionen sind sie zudem ein potentieller Gefahrenherd wenn Wind, Wild oder Wanderer einen solchen Turm umwerfen und die Steine gen Tal rollen. Nicht von ungefähr warnen Bergsteiger- und Alpenvereine vor der Steinschlaggefahr, wenn es solche überdimensionierten Steinmännchen zerlegt.

All das aber diskutiere ich mit der Frau nicht. Die hat sich längst zu einer Freundin auf ihre Decke auf der Wiese zurückgezogen.
Hier am Weiher besteht mit Steinmännchen weder die Gefahr, Steinschläge zu provozieren. Hier besteht auch nicht die Gefahr, durch das Abtragen und Aufschichten von Steinen der Bodenerosion Vorschub zu leisten oder Kerbtieren, Insekten und Reptilien Versteckplätze zu nehmen und in deren Lebensraum einzugreifen.
Allerdings erfüllen sie hier auch nicht den Zweck, den die Steinmännchen und -pyramiden traditionell und kulturenübergreifend haben: Wegweiser im Gelände zu sein. Hier weisen sie niemanden den Weg, den er nicht auch so finden könnte: Ins Wasser oder am Ufer entlang. Hier sind sie wie mittlerweile vielerorts touristisch funktionslos außer eben der einen: Looking good.

Sie dienen der Freude für die Leute, die vorbei kommen, der Freude derer, die sie fotografieren. Und das machen viele.

Steinmännchen im Sonnenuntergang

Ich auch.
Mir ist dabei vollkommen egal, ob das Kunst oder Kitsch ist, profan oder spirituell, kulturelle Aneignung oder instagramable.
Warum?
Weil ich es will.
Und weil ich es kann.


Vielen Dank fürs Lesen.
Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, dann freue ich mich, wenn Sie ihn Ihren Freunden weiterempfehlen – z.B. über Facebook, Twitter, in Internetforen, Facebookgruppen o.ä.
Haben Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Beitrag? Dann nutzen Sie bitte das Kommentarfeld.
Gern dürfen Sie meine Artikel auch verlinken.

Wenn Sie mir spontan einen Kaffee spendieren wollen, weil Ihnen dieser Beitrag gut gefallen hat, dann klicken Sie bitte auf den Kaffeebecher. Mehr dazu hier. Wenn Sie mehr Bilder von mir sehen wollen, dann empfehle ich das Fotobuch Im Süden – Bilder eines guten Jahres, das Sie in meinem Web-Shop aber auch in jeder stationären Buchhandlung bestellen können. Ebenfalls dort erhältlich sind die grantigen Geschichten Renate und das Dienstagsarschloch und das Buch von meinen Schwimmerlebnissen in Frei- und Hallenbädern, in Seen, Weihern, Flüssen und im Meer Bahn frei – Runter vom Sofa, rein ins Wasser , Alle Bücher sind auch über die ISBN in der stationäre

Diesen Beitrag weiterempfehlen:

Entdecke mehr von Mal Zwetschgenmann - Mal Wassermann

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen