Die zweite Chance für den Tegernsee (Challenge 2018/4e)
Eigentlich wäre ja das Chlorhuhn Petra in der Pflicht gewesen. Sie schwimmt, bloggt, stammt aus dem Tal am Tegernsee und wird nicht müde, diesen See zu preisen. Im vergangenen Jahr war ich mit ihr dort und bin am Nordende bei Kaltenbrunn geschwommen. Später riet Petra, die nicht ganz zufrieden mit der Einordnung „ihres“ Sees in meinem Ranking war, weil er es nur auf Platz 8 brachte, dringend zu einer Revision meines Urteils.
Nun also wäre es an ihr gewesen, mich zu überzeugen, dass mein Vorjsahresurteil zu hart ausfiel, mir die Schönheiten dieses Sees zu zeigen und vor allem auf mich intensiv einzureden, wie großartig es da ist und nichts – rein gar nichts – dem gleich kommt.
Aber es hat nicht sollen sein. Petra schwimmt nicht im Neoprenanzug, ich bei 20° C Wassertemperatur hingegen schon, und so kommen wir jetzt, da der Sommer sich dem Ende neigt und das Wasser kalt wird, auf keinen gemeinsamen Nenner mehr.
Also fahre ich alleine und schwimme allein im Tegernsee. Dann muss der See es eben ohne ihre Fürsprache richten und überzeugen. Und er zeigt sich von seiner allerschönsten Seite. Was will ich mehr?
Nur die Hinfahrt gestaltet sich als nervig, eine Großbaustelle im Norden, Umleitungen und dann im Stop and Go hinunter auf die Südseite. Die Enge des Tals und der See machen Ortsumfahrungen unmöglich und so quäle ich mich durch Gmund, Tegernsee und Rottach-Egern. Etwas besser ist es auf der Westseite bei Bad Wiessee, von dort zurück Richtung Autobahn wird es aber auch wieder ein zähes Schleichen.
Mein Plan: Von Bad Wiessee aus möchte ich den See queren, das ist auf der halben Höhe. Zum Ostufer sind es etwa eineinhalb Kilometer, zumindest, wenn man im leichten Bogen schwimmt.
Etwas störend sind die vielen Ausflugsschifffahrtslinien, aber vor Ort ist das alles nur noch halb so wild, anders als auf den Straßen geht es auf dem Wasser relativ übersichtlich zu.
Von einzelnen Seglern, die plötzlich vor einem vorbei rauschen und sich nicht weiter um Schwimmer kümmern, einmal abgesehen.
Als Start habe ich mir das Strandbad Grieblinger ausgesucht, von dem es heißt, dass es dort ruhig zugeht. Das stimmt auch. Es ist der Strand eines Gästehauses, eine Liegewiese ohne Schnick und Schnack, ähnlich wie an der Schafwaschener Bucht am Chiemsee. Ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt das Ganze, was aber durchaus auch von Vorteil ist. Dafür zahl ich gerne die paar Euro Eintritt.
Schnick und Schnack braucht es nicht, nur einen Platz, um sich umzuziehen und seine Sachen am Strand zurückzulassen, eine helfende Hand, den Neo zu schließen und dann geht es unter aufmerksamer Beobachtung der anwesenden Badegäste, die fast alle das Rentenalter erreicht haben, ins Wasser.
Nicht wenige der Sommerfrischler, wie sie hier noch genannt werden, dürften bereits auch im Wasser gewesen sein, aber nur kurz, denn ist zumindest im ersten Moment zapfig kalt. Ich bereue es keinen Moment, mich in den Neoprenanzug gepresst zu haben. Ohne ihn wäre dieser Schwimm nicht möglich gewesen – zumindest nicht für mich.
Dann geht es durch das türkisfarbene Wasser, immer wieder muss ich an die Hymnen des Chlorhuhns denken, Petras Lobgesänge auf diesen, wie sie sagt, besten See von allen. Es geht ein leichter Wind, der See ist wellig, immer wieder klatschen sie mir ins Gesicht. Es fällt mir ein wenig schwer, Kurs zu halten bei solchen Unternehmungen, auf einen markanten Punkt am Ufer hinzuschwimmen, ist leichter gesagt als getan, vor allem, wenn das Ufer wenig markante Punkte aufweist, zumindest keine, die ein Blindfisch in Bruchteilen von Sekunden während eines Wasserballkraulzugs erkennt. Also halte ich immer wieder an und schaue mich um, was angesichts der Segler und des Ausflugsbootes ohnehin angeraten ist – trotz Boje am Mann.
Mein Ziel ist das gegenüberliegende Ufer etwas nördlich der Stadt Tegernsee, wo an den Cafes am Strand die geldigen Urlauber in Übergangsjacken, Steppwestchen und seidigen Halstüchern dem Wind trotzen, ihren Prosecco trinken und aufs Wasser starren. Kein Ort, wo man als Schwimmer anlanden möchte. Wohl niemand ist in diesem Augenblick weiter von mir entfernt als dieser Menschenschlag.
Am Ostufer halte ich mich also nach Norden, schwimme bis zu drei verrammelten Bootshäusern und mache eine kurze Pause im flachen, deutlich wärmeren Wasser. Niemand ist hier, niemand stört oder fühlt sich gestört. Ein paar Radfahrer, die am Ufer entlang radeln, schauen kurz auf, einer winkt. Ich winke zurück.
Schnell werden ein paar Selfies gemacht – ja ich war drüben. Hier ist der Beweis. Für den Fall, das einer danach fragen sollte, was allerdings nicht der Fall war.
Ich werfe den meinen Blick nach Westen. Wo ist das Strandbad Griebler?
Keine Ahnung. Ich kann es nicht erkennen. Es müsste ziemlich genau gegenüber sein, ungefähr hinter der blendenden Nachmittagssonne, die über den Bergen steht. Also schwimme ich einfach der Sonne entgegen – immer mit Pausen, denn ein paar Segler kreuzen auf und ab. Irgendwo werde ich schon wieder auf Land treffen.
Der Rückweg geht deutlich schneller vonstatten, vielleicht auch, weil ich weniger Pausen zum Schauen und Fotografieren mache. Nach 2.248 Zügen, die ich akribisch gezählt habe, lande ich ein gutes Stück nördlich vom Strandbad Grieblinger. Jetzt noch ein paar hundert Meter nach Süden, das war‘ dann. Fertig.
Der Tegernsee war der letzte der Seen, die ich in diesem Jahr wiederentdecken wollte. Und der beste aus dieser Gruppe, wobei es zunehmend schwieriger wird, Seen, die sehr unterschiedlich sind, fair miteinander zu vergleichen.
Er wird, das kann ich Petra schon versprechen, im Ranking einen guten Sprung nach oben machen – ihr geliebter Tegernsee. Wie weit?
Man wird sehen.
Und wer weiß. Vielleicht schwimmen wir im nächsten Sommer mal wieder zusammen darin?
Und außerdem: Jahressoll 480 km / Ranking aktualisieren / Badehosen ausmisten
Erledigt:
Neue Seen: Tüttensee, Pullinger Weiher, Haager Badesee, Kirchsee, Happurger Stausee, Badesee Niedernberg, Lauser Weiher, Rothsee
Wiederentdeckungen: Pelhamer See, Thenner Weiher, Feldmochinger See, Klostersee, Tegernsee
Und außerdem: Ein 5.000er, Völklingen – ein fremdes Hallenbad, Langbürgner See, Michaelibad – ein fremdes Freibad, Vollmondschwimmen, 100 km Freiwasser, Goldene Stunde, Chiemsee – ein neuer Uferabschnitt
Gestrichen: Chiemseequerung
Vielen Dank fürs Lesen.
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Schön! Der Tegernsee ist doch der beste See von allen, der braucht keine „Fürsprecherin“ …