Die Schlacht der Zerkarien – und trotzdem an der Challenge gearbeitet (Challenge 2018/8)

Also ehrlich! Erst Multiresitente Keime, jetzt Zerkarien… was kommt als Nächstes?
Schnappschildkröten? Salzwasserkrokodile, Blaugeringelte Kraken, Portugiesische Galeeren?

Nachdem ich in der vor Kurzem vermutlich etwas vorschnell am Seehamer See die Segel gestrichen und schwimmlos nach Hause gefahren bin, warnt mich jetzt das Ordnungsamt Erding an meinem Heimatweiher vor Zerkarien im Wasser. Überall stehen Hinweisschilder und hätte ich das nicht vorab schon im Netz gelesen, ich hätte mich schwer gewundert, wieso an diesem Sommerabend bei rund 30°C Luft- und über 25°C Wassertemperatur so viele Parkplätze frei sind, warum sich so wenig Menschen auf den Liegewiesen befinden und vor allem, warum es im Wasser sehr leer ist.
Ein wenig erinnert mich das an Der weiße Hai – nur eben ohne Chief Brody. Alle starren aufs Wasser. Kaum einer geht rein. Alles ahnungslose Schisser.

Zerkarien Warnschild

Aber soll ich Ihnen was sagen?
Ich bin es leid, mir von irgendwelchem Viehzeugs das schwimmen vermiesen zu lassen. Zerkariendermatitis hin oder her. Heute will ich endlich den hundertsten Kilometer im Freiwasser schwimmen und damit einen weiteren Punkt meiner selbst gestellten Aufgabenliste als erledigt abhaken. Da kann ich mir lange Diskussionen um diese Viecher nicht leisten.
Zerkarien duckt Euch. Ich komme. Und ich mache Euch fertig, wenn Ihr mich nicht in Ruhe lasst. Ich werde mich mit allen Mitteln gegen Euch wehren. Und wenn ich sage ‚mit allen Mitteln‘, dann meine ich das auch.

Auf in den Weiher

Die Seeschlacht im Weiher

Am Ostufer steige ich ins Wasser, ich bin einer der wenigen. Mit schnellen Zügen entferne ich mich vom Flachwasser, halte mich nordwärts, schwimme dem Kieswerk entgegen und passiere den dortigen, kleinen Badeplatz. Kaum aber erreiche ich das schilfbewachsene Ufer, sehe ich die erste Vorhut der Biester: Etwa zwei Dutzend Zerkarien. Sie lauern mir im Uferbereich auf, wie das nun mal ihre Art ist. Nur mühsam getarnt und siegessicher.

Unter Wasser lauern die Zerkarien

Ich weiß: Wo eine Vorhut ist, wartet ein ganzes Heer.
Ein schneller Blick – niemand zu sehen, von dem ich Hilfe erwarten könnte. In der Ferne ein Stand-Up-Paddler, aber auf den ist kein Verlass. Den Kampf gegen die Biester werde ich dann wohl alleine aufnehmen müssen. Und ja: Ich will!

Die Zerkarien, etwas irritiert, dass ich mich ihnen trotzig entgegen stelle, blasen zum Angriff. Aber noch bevor sie etwas unternehmen können, ertönt mein Schlachtruf und lässt sie bis ins Mark erzittern:

Frei ist die See, frei ist die Erde, frei ist der Mensch! (Ok, das ist aus Klabunds Roman Störtebecker geklaut, aber was wissen diese Monster von Literatur?)
Und schon klatscht mit einem gewaltigen Schlag das Paddel des Todes auf sie hernieder. Ein Hieb und ein Drittel von ihnen sinkt tödlich getroffen oder schwer verletzt zu Boden. Das hat gesessen.

Das Paddel des Todes

Panisches Entsetzen in den Gesichtern der anderen. Vor Schreck sind sie wie gelähmt, da klatscht schon das zweite Paddel hernieder und zerschmettert weitere Monster. Viele wälzen sich in ihren Innereien, bevor sie ihren Geist aufgeben.
Ein Schlag links, einer rechts, dann wieder links – und der erste Angriff ist abgewehrt. Die kleine Einheit ist vollständig aufgerieben. Ab jetzt pflastern Leichen meinen Weg.
Eilig entferne ich mich vom Ufer, locke weitere Zerkarien, die in der Deckung des Schilfs gelauert hatten und ihren Kumpanen zur Hilfe geeilt sind, in tieferes und vor allem deutlich kälteres Wasser. Das ist nicht gerade das, wo sie sich wohlfühlen, im Gegenteil. Mein Plan geht auf, in blinder Raserei und voller Rachegelüste folgen die kleinen Ungeheuer mir. Ein paar kraftvolle Kraulzüge noch, dann erreiche ich die kälteste Stelle des Weihers. Für Zerkarien ist es hier zu kalt. Ermattet und entkräftet von der Jagd ereilt die Ersten der Kältetod. Viele meiner Verfolger finden ihr Verderben. Für den Rückzug in wärmere sichere Gewässer reicht ihre Kraft nicht mehr.
Doch nicht alle erwischt es – über die sterbenden Artgenossen hetzen andere Zerkarien mir nach. Jetzt heißt es, keine Zeit zu verlieren.
„Schneller“, feuern sich meine Verfolger wütend gegenseitig an. „Den kriegen wir!“

„Gleich – Du Hund!“ zischt eine. Ihr gelingt es tatsächlich, sich an meinem Oberschenkel festzuhalten, instinktiv spüre ich die lauernde Gefahr. Doch bevor sich das Monster in mich bohren kann, vollziehe ich eine blitzschnelle Bewegung. Ich drehe mich auf die Seite. Ehe es sich die Bestie versieht, ist sie oberhalb der Wasseroberfläche. Für sie wird es ein Ritt in den Tod.
„Elendes Mistvieh!“, rufe ich ihr zu. „Nimm das!“.
Schon saust todbringend die Schmetterhand herab, donnert auf den Oberschenkel und zermalmt das vermaledeite Geschöpf zu Brei. „Fahr zur Hölle!“ fauche ich, als ich den Kadaver vom Schenkel schüttle.

Die anderen folgen noch eine Weile, aber es wird immer schwerer. Sie fallen zurück, geben die Verfolgung und sich selbst auf.
Zwar ist der Angriff abgewehrt, aber schon droht neues Ungemach. Ein weiterer Trupp kommt vom gegenüberliegenden Ufer direkt auf mich zu. Fast sieht es so aus, als wollten mich meine Verfolger ihnen nur in die Arme treiben.
Ich verkürze die Distanz. Die Zerkarien sind überrascht, dass ich direkt auf sie zuhalte. Damit haben sie nicht gerechnet, sie ordnen ihre Formation zum Angriff, aber von Kampftaktik verstehen sie nichts. Sie haben vermutlich nie Jagd auf Roter Oktober gesehen, sonst wüssten sie, was gleich passiert. Aber ich kenne den Film und habe viel daraus gelernt.

„Die Schwierigkeit beim Katz- und Mausspiel, ist zu wissen, wer die Katze ist“, zische ich ihnen das berühmte Filmzitat entgegen. Schon sieht es aus, als würden wir zusammenkrachen, da werfe ich mich hoch, schnappe tief Luft, tauche in Sekundenschnelle ab, und rolle mich seitwärts weg.

Abtauchen

Die Zerkarien donnern über mich hinweg, ein paar zieht der Sog unrettbar ins tiefe kalte Wasser. Tauchend schwimme ich einen Halbkreis und kehre ein paar Meter seitlich von ihnen wieder zur Oberfläche zurück. Das verschafft mir die Zeit, die ich brauche. Eilig geht es in Ufernähe. Sobald ich Grund unter den Füßen verspüre, bleibe ich stehen, wende mich ihnen zu und erwarte ihren Angriff.

Da!
Sie haben mich gesehen, ändern ihren Kurs und halten erneut auf mich zu. Sie kommen näher und näher. Ich verharre regungslos, habe den Feind fest im Blick und hoffe, dass mein Plan gelingt. Sonst wird es eng. Die Zerkarien ahnen ja nicht, dass sie direkt in den Tod schwimmen. Schon sinken die ersten wie von Geisterhand gefällt herab. Benebelt, berauscht, vergiftet, gelähmt… verschwindet ein Untier nach der anderen in den Fluten, nachdem sie sich mir bis auf einen halben Meter genähert haben.

Zerkarien Alarm

Sagte ich nicht, dass ich mit allen Waffen kämpfen werde?
Und habe ich nicht von vielen Tierarten gelernt, dass ein ordentlicher Ausstoß Urin auch eine wunderbare Waffe sein kann?
Die Zerkarien trifft die tödliche Wucht des Mittelstrahls. Es gibt kein Entrinnen. Für keine. Bilder gibt es von diesem Moment der Schlacht allerdings nicht.

Von ein paar versprengten Zerkarien, auf die ich beim weiteren Schwimmen treffe, geht kaum eine Gefahr aus. Ich nähere ich mich mit der Sonne im Rücken. Sie haben keine Chance, mich zu sehen, zu sehr sind sie geblendet von dem gleißenden Licht. Es ist ein Leichtes, einer nach der anderen den Garaus zu machen.

Angriff mit der Sonne im Rücken

Unbehelligt kann ich meinen Weg fortsetzen. Weitere Attacken erfolgen nicht.
Nach drei Kilometern allerdings wird es Zeit, ans Ufer zu schwimmen.
Ein letztes Aufgebot der Zerkarien stellt sich mir entgegen. Klugerweise haben sie genau die Stelle blockiert, an der ich das Wasser verlassen und zu meinen Sachen zurückkehren will. Vielleicht denken sie, ich sei in meiner Kraft geschwächt, aber da irren sich diese Monster.
„Da kommt er. Auf ihn!“ ruft der Anführer. „Vorw…!“ Das Wort kann er nicht vollenden. Denn blitzartig habe ich gewendet und schleudere mit meinen Füßen das Wasser hoch in die Luft. Und mit ihnen die fürchterlichen Bestien. Erstickend tönt das „…wärts!“ über mir aus der Luft.
Ein erheblicher Teil der Zerkarien landet im trockenen Gras auf dem Ufer, das Wasser verdunstet in Minutenschnelle und gibt die Zerkarien den tödlichen Strahlen der Sonne preis. Unter ihnen der Anführer der Schar.
Gut, dass ich das zuvor geübt habe.

Wasserkatapult

Zwei drei weitere Tritte, dann ist eine Bresche in ihre Phalanx geschlagen. Die Blockade des Ausstiegs durchbrochen, der Weg ins Trockene ist frei.
Vom Ufer her klingt das fürchterliche Geschrei und Geheule der vertrocknenden Zerkarien. Das macht die letzten verbliebenen Gegner mürbe. Sie ahnen wohl, dass es ihnen gleich ähnlich ergehen wird.
Was noch lebt, rettet sich in die Wasserpflanzen um das Versteck vorerst nicht mehr zu verlassen. Ich werde sie nicht verfolgen. Sie sind bereits geschlagen.

Heillose Flucht

Auch im Gras regt sich jetzt nichts mehr. Totenstille liegt über dem Schlachtfeld, von ein paar heiseren Rufen einiger Krähen in den Bäumen abgesehen. Sie waren Zeugen dieser mörderischen Auseinandersetzung an deren Ende es nur einen Sieger geben konnte.

Als ich aus dem Weiher steige, sehe ich eine letzte Zerkarie, die sich panisch an ein Haar auf meinem Fußrücken klammert. Ein ganz junges, unerfahrenes Exemplar.
Noch ehe ich handeln kann, zieht sie ein winziges weißes Fähnchen hervor. Sie kapituliert.
„Klug, Bruder!“ sage ich ihr und entlasse sie zurück ins Wasser.
„Lern etwas daraus. Das nächste Mal fallt einfach eine dicke Chantalle und ihren Kevin an. Die wehren sich sicher nicht!“

Die Zerkarie nickt stumm. Dann ist sie verschwunden – die wahre Größe des Siegers dieser Schlacht ehrfürchtig bewundernd.

Ich setze mich auf mein Handtuch, freue mich, die hundert Kilometer heute trotz widrigster Umstände voll gemacht zu haben und beobachte, wie ein Stück weiter die dicke Chantalle und ihr Kevin ins Wasser steigen. Sollen sie. Das Warnschild war ja groß genug…

Friede im Weiher

Eigentlich könnte Steven Spielberg jetzt mal anrufen, oder?

PS: Die 100 Kilometer Freiwasser sind geschafft, um ehrlich zu sein, mittlerweile sind es sogar über 120, denn das Geschilderte liegt schon ein paar Tage zurück.


Noch zu erledigen:

Fünf Wiederentdeckungen: noch 1
Und außerdem: Jahressoll 480 km / Ranking aktualisieren / Chiemsee – ein neuer Uferabschnitt / Badehosen ausmisten / Chiemsee-Querung / Goldene Stunde

Erledigt:
Fünf neue Seen: Tüttensee, Pullinger Weiher, Haager Badesee, Kirchsee, Happurger Stausee, Badesee Niedernberg, Lauser Weiher, Rothsee
Fünf Wiederentdeckungen: Pelhamer See, Thenner Weiher, Feldmochinger See, Klostersee
Und außerdem: Ein 5.000er, Völklingen – ein fremdes Hallenbad, Langbürgner See, Michaelibad – ein fremdes Freibad, Vollmondschwimmen, 100km im Freiwasser


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