Wie man wird, was man wird – zum Welttag der Fotografie

Vielleicht leidet die Zunft der Fotografen darunter, dass „Fotograf“ obwohl Ausbildungsberuf jedoch keine geschützte Berufsbezeichnung ist. Ähnlich wie Schriftsteller, Publizist, Journalist… Fotograf kann und darf man sich nennen, ob nun ausgebildet oder nicht.
Ich dürfte das also auch, mach ich aber nicht. Denn das ist nicht mein Beruf, und gelernt habe ich das sowieso nicht. Vielleicht würde ich das, was ich in diesem Bereich mache, doch etwas mehr als nur Hobby bezeichnen, trotzdem als amateurhaft.

Als Amateur habe ich mich immer emsig bemüht, mir bei den Könnern ihres Faches möglichst viel abzuschauen. Nichts nachzumachen, aber doch zu lernen, warum sie Bilder so machen, wie sie es tun. Es wird Zeit, den Welttag der Fotografie auch als Gelegenheit nutzend, zu erwähnen, bei wem ich über die Schultern geschaut, wem ich etwas abgeschaut habe, wer mich zur Fotografie gebracht hat. Wie man wird, was man wird…

Hubertus P., mein Vater

Mein Vater war ein leidenschaftlicher Fotograf, Zeit seines Lebens hat er viele Bilder gemacht, erst schwarz weiß und mit eigener Dunkelkammer, später nur noch farbig.
War irgendwo in der Familie eine Feier, ein Fest – er hatte die Kamera dabei. In Urlauben, auf Ausflügen, immer hat er fotografiert. Wenn ich heute die Fotoalben mit seinen Bildern durchschaue, denke ich mir oft, ich würde viele dieser Fotos nicht oder anders machen. Denn unsere Familie stand immer im Vordergrund, im Mittelpunkt der Bilder.
Landschaften, Gebäude, Blumen, Tiere – das waren nicht so die Themen, die ihn fotografisch interessierten.
Als ich mit 10 Jahren mir eine eigene Kamera wünschte, bekam ich sie. Zwar nicht genau die, die ich gerne gehabt hätte. Ich hätte gern so eine Ritsch Ratsch Klick Sensorscharfe Bilder Pocketkamera gehabt. Die gab es aber nicht, statt dessen eine Agfamatic 100. Denn mein Interesse an der Fotografie hat er stets gefördert, mich motiviert und angeleitet.
Später schwenkten wir zeitweilig auf Super 8 Filme um, kehrten aber beide wieder zum Standbild zurück.

Irgendwann merkten wir beide, dass unsere fotografischen Interessen weit auseinander liefen. Zwar brachte er von zahlreichen Reisen immer massenhaft Fotos mit, zunehmend auch nur von Landschaften und Gebäuden, aber da war ich im Gegenzug zumindest zeitweilig bei den Personen: Keine Feier, kein Fest, keine Veranstaltung, an der ich nicht auch meine Spiegelreflexkamera mit dabei hatte. In der Zeit der Kleinbild- wie Diafotografie war es ein teures Hobby, da musste jedes Bild zwei bis dreimal überlegt werden, heute wird es eher zwei- bis dreimal gemacht.
Was ich damals aus 4 Wochen Rundreise durch Israel mitbrachte, fotografiere ich heute an einem einzigen Tag im Urlaub. Zum Experimentieren, zum Ausprobieren blieb da nicht allzu viel Material, vielleicht fehlte es aber auch ein wenig an Verständnis in meiner Bubble, wenn ich die Kamera aufs Stativ schraubte, gegen die Spiegel richtete und mich selbst dahinter platzierte und ein frühes Selfie machte. Eines, wohlgemerkt. Nicht ein Dutzend.
Als ginge es dabei nur um die eigene Eitelkeit…
Heute passiert das eher seltener, Selfies eigentlich nur im Wasser und nur als Beweis (für mich selbst), dass ich dort war. Fotografie – heute nehme ich die Kamera lieber mit hinaus an und in den See, auf Spaziergänge, Wanderungen, Reisen, Städtetripps, mit zu Lost Places oder in den Garten, aber nur selten mit auf Feiern. Gibt es etwas, was ich weniger mag, als Leute für ein Bild zu arrangieren?
Zumindest das habe ich nicht von meinem Vater geerbt. Denn er hat uns immer arrangiert, ich habe es gehasst, und bin heute trotzdem froh um diese Bilder.

Otto B., mein Kunstlehrer

Mit Fotografie hatte Otto B., dereinst mein Kunstlehrer am Gymnasium in Hohenlimburg nichts am Hut, zumindest nichts, von dem ich wüsste. Aber mit Film. Er leitete eine Film AG, in der ich mich während der Oberstufe engagierte, aber das hat mit dem Thema hier wenig zu tun.
Otto B. war Theoretiker. Das kam mir sehr gelegen, ich hatte es nicht nicht so mit Malen, Linolschnitten und all den Dingen, bei denen die von den Musen geküssten Mitschülerinnen glänzten und beste Noten einfuhren. Mir fehlten Talent und Geduld, vielleicht auch die notwendige Sorgfalt, um wirklich Sehenswertes anzufertigen – und vor allem tat (und tue) ich mich schwer, wenn Thema, Technik oder beides vorgegeben sind.
Anders seine Unterrichtseinheiten in Kunstgeschichte. Die nämlich ackerten wir von den Höhlenmalereien bis in die Gegenwart durch. Das wiederum nervte die Künstler in der Klasse, denn da konnten sie eben nicht glänzen. Ich aber schon. Ich sammelte alles, was ich über Kunstgeschichte finden konnte, Bildbände, Lexika, Monographien füllten mein Bücherregal, in dicken Ordnern wurden Texte getippt, dazu endlos viele Bilder aus Zeitungen und Illustrierten, die Kunstwerke der Architektur, Skulpturenkunst und Malerei zeigten.

Die Begeisterung hielt an, bis heute. Von den großen Künstlerinnen und Künstlern zu lernen heißt, ein Verständnis für Bildaufbau und -dramaturgie zu entwickeln, den Blick aufs Detail oder im Gegenteil auf das ganz Grobe zu schulen. Gibt es bessere Lehrer für die bildliche Darstellung von Landschaften als die niederländischen Barockmaler, die deutschen Romantiker oder französischen Impressionisten?
Wie wirken Farben, wie der sich weitende Blick, wie das Etwas im Vordergrund, sei es Mensch, Baum oder Busch?
Wie wirken direkte und indirekte Beleuchtung, Halbdunkel, Lichtquellen im Bild?
Vieles, was in der Malerei gilt, gilt auch in der Fotografie.
Einmal so fotografieren können, wie Caspar David Friedrich gemalt hat. Und einmal feststellen, dass seine Bilder Komposita waren, nichts, davon der Wirklichkeit entspringt, aber doch so aussieht als ob.
Einmal so fotografieren können, wie Dürer, Breughel, Vermeer, Turner oder Monet gemalt haben.
Das beschäftigt mich bis heute.

Helga R. und Horst S., die ersten Kollegen vom Fach

Vereinssport und Verkehrsunfälle, Vorstände und Veranstaltungen waren ihr Metier – die beiden waren Pressefotografen der Hagener Lokalredaktion. Als freier Mitarbeiter schrieb ich für Zeilengeld, das war lange vor der digitalen Transformation. Also klapperten wir im Duo die Termine ab oder die Fotografen tourten von Termin zu Termin, während wir, die schrieben uns verteilten.

Der erste Weg zurück in die Redaktion führte sie in die Dunkelkammer und anschließend mit den fast trockenen Schwarz Weißabzügen oder Kontaktbögen zum Redakteur, der das Bild auswählte.
Nahm mich einer der beiden im Auto mit, sprachen wir viel über die Arbeit, weniger aber übers Fotografieren. Wir Freien sollten nämlich keine Bilder machen, denn die hätten sie dann in der Dunkelkammer entwickeln und Abzüge anfertigen müssen. Und wir hätten das Honorar bekommen. Da waren beide eigen.
Trotzdem lernte ich Einiges, denn Pressefotografie, vor allem bei der Lokalpresse ist ein mühsames Unterfangen: Hundeschau, Bankvorstand, Stau, Unfälle, Feuer, illegal abgelagerter Müll, Demos, Konzerte, Gebäudefassaden, Feste… alles musste so ins Bild gerückt werden, dass die Zeitungsleser am nächsten Morgen mit einem Blick das Relevante erkennen und noch mehr: Es musste sie neugierig machen, den darunter stehenden Artikel auch zu lesen. Neben der Schlagzeile ist das Foto der zweite, vielleicht sogar der wichtigere Aufreißer.
Und ich lernte die ethischen Grenzen der Presse-Fotografie, die heute vielleicht andere sind und die auch in meiner Heimatstadt langsam immer weiter verschoben wurden, als das Redaktionsteam um einen Journalisten erweitert wurde, der sich Reporter nannte und auf Bild-Niveau schrieb und entsprechende hochemotionale wie auch provozierende Fotos einforderte, ob nun bei Verkehrsunfällen, Gewalttaten oder dem „Besuch“ der Gladbecker Geiselnehmer auf ihrer öffentlichen und medial begleiteten Flucht.
Sex sells – und Gewalt, so sah er das und solche Bilder wollte er. Irgendwann verließ er dann die Redaktion wieder und ging tatsächlich zur Springer Presse. Ich denke, da war er besser aufgehoben als in einer Lokalredaktion.
Später traf ich viele Fotografen, alle gebucht, alle mit konkreten Aufträgen versehen, in der Regel Veranstaltungsfotografie. Das fand hier und hier bereits im Blog Erwähnung. Ich beobachtete, sah, wie man Menschen fotografieren konnte, arrangiert und doch nicht gestellt.

Die großen Fotografen

Seit Jahren stapeln sich auch Bildbände berühmter Fotografen; Capa, Newton wie auch Bildbände, in denen die Werke viele Fotografen zu bestimmten Themen versammelt sind: Fotos von David Bowie, Fotos von Städten, Fotos von Landschaften. Einige habe ich hier in den Mediatipps vorgestellt: Bildbände von Kanälen im Ruhrgebiet, von Lost Places, Trinkhallen, dem Berlin der 80er, der Münchner Theresienwiese während der Coronazeit, vom Wasser. Für mich sind dsas mehr als Coffeetable-Books, für mich sind das Anschauungs- und Schulungsmaterial in einem.
Es geht nicht darum, aus diesen Büchern etwas abzukupfern, Ideen zu „klauen“ sondern Inspirationen zu holen, neue Perspektiven einzunehmen, die eigene Kreativität zu fördern.
Ja, ok: Unbotmäßig „klaue“ und imitiere ich natürlich auch gelegentlich. Aber dann sage ich das auch. Knips it lige Capa war so eine Fingerübung, sowohl was die Fotografie als auch was die nachträgliche Bearbeitung der Bilder angeht, um sie in genau diesen Stil zu bringen. Es war ein vermessener Witz, aber er hat Spaß gemacht.

Die Kameramänner und die Filmschaffenden

Meine große Affinität zum Kino muss ich nicht besonders erwähnen, ich habe sie zum Beruf gemacht, wenn auch nicht auf Seite der Kreativen. Noch heute gibt es Filme, an denen ich mich kaum satt sehen kann. Story gut, Schauspieler klasse, Musik bestens, Schnitt und Spannungsbogen – alles passt. So muss es sein. Aber wenn ein Film Bilder liefert, dass man alle paar Momente die Projektion anhalten könnte und jedes einzelne Standbild ein großartiges Foto wäre, dann ist Kino ein Höchstgenuss. Es gibt wenige Filme, die das vermögen, wenige Regisseure, die dafür sorgen, dass jede Szene ein fotografisches Meisterwerk ist. Jean Jaques Beineix Diva von 1981 ist so ein Film, Carol Reeds Der dritte Mann (1949) ein anderer, Nomadland (2020) von Chloé Zhao ein Dritter – nur um drei Beispiele zu nennen.

Irgendwann kennt man die Filme in- und auswendig, kann sie mitsprechen, mitspielen. Trotzdem schaue ich sie immer wieder gerne. Allein wegen der brillanten Kameraarbeit, dem Bildaufbau, der Beleuchtung, schwärme, staune und wünsche mir, ich könnte gelegentlich auch solche Fotos machen. Und ich lerne. Noch heute.

Die Kreativen in den Agenturen

In meinem Berufsleben habe ich viel mit Kreativen in Werbeagenturen zu tun gehabt. Mit Werbern zu sprechen heißt, über den Blickfang, den Eyecatcher auf einem Plakat oder einer Anzeige zu reden, über den Weg, den das Auge des Betrachters dann nimmt, auch über die Zeit, die einem bleibt: Wie lange schaut wer auf ein Werbemittel, bis er weiter blättert, an der Plakatwand vorbeigefahren ist, durch die Timeline gescrollt ist. Wie schnell muss ein Werbemittel seine Wirkung entfalten und was als erste kommunizieren?
Für Fotos gilt das Gleiche. Wie schnell oder langsam scrolle ich durch die Sozialen Medien, wann und wo bleibt mein Blick hängen, wie genau betrachte ich die Bilder, die dort gezeigt werden. Ein gutes Beispiel: Lädt einer 30 Bilder in seinem WhatsApp Status hoch, nervt es mich, wenn die Bilder allzu schnell weiterblättern und ich das Foto gern betrachtet hätte oder ist es im Gegenteil so, dass es nicht schnell genug weitergehen kann?
Das hat, wie sollte es anders sein, viel mit den Motiven aber auch viel mit der Qualität der Fotos zu tun, nicht zuletzt aber auch, ob die Bilder mich „manipulieren“, also Stimmungen in mir auslösen oder mich zum Nachdenken bringen.
Gelingt letzteres, hat der Fotograf einen guten Job gemacht, ob nun Profi oder Amateur, ob er nun für sich fotografiert oder im Auftrag für andere, ob kommerziell oder nicht.

Fazit:
Vielleicht wäre ich gerne Fotograf geworden, hätte das Handwerk samt Dunkelkammer erlernt.
Vielleicht würde ich mich aber heute sorgen, grämen und ärgern über so viele schlechte Bilder in den Medien, die Flut an qualitativ miserablen Fotos auf Plattformen und in Communities, für deren Veröffentlichung sich heute niemand mehr schämt.
Vielleicht würde ich jedes Wochenende auf irgendwelchen Hochzeiten irgendwelche Familien auf Treppen steigen lassen und zusammenrücken, um sie zu fotografieren.
Vielleicht wäre ich längst meines Jobs beraubt, weil in den Zeitungen immer mehr Fotografen eingespart werden, das Bild kann der Schreiber ja genauso gut und digital machen und Schmuckfotos kaufen wir ein.

Vielleicht genieße ich daher die Freiheit, zu fotografieren, was ich will bzw. wie ich es will, zu dilettieren, wenn ich es nicht besser kann und zu brillieren, wenn wirklich mal ein Foto gut geworden ist.
Vielleicht genieße ich die Freiheit, dass mir niemand anschafft, was wann wie und wo fotografiert werden muss und mir herzlich egal sein kann, ob Menschen die Fotos (oder sich selbst darauf) gut finden oder nicht.
Vielleicht gibt es auch Momente ohne Kamera, ohne die permanente Sorge, das „Once i a lifetime“ Foto deshalb nicht machen zu können.
Nein! Nicht vielleicht! Ganz sicher sogar.


Vielen Dank fürs Lesen.
Wenn Ihnen dieser Artikel gefallen hat, dann freue ich mich, wenn Sie ihn Ihren Freunden weiterempfehlen – z.B. über Facebook, Twitter, in Internetforen, Facebookgruppen o.ä.
Haben Sie Fragen oder Anmerkungen zu diesem Beitrag? Dann nutzen Sie bitte das Kommentarfeld.
Gern dürfen Sie meine Artikel auch verlinken.

Wenn Sie mir spontan einen Kaffee spendieren wollen, weil Ihnen dieser Beitrag gut gefallen hat, dann klicken Sie bitte auf den Kaffeebecher. Mehr dazu hier.

Wenn Sie mehr Bilder von mir sehen wollen, dann empfehle ich das Fotobuch Im Süden – Bilder eines guten Jahres, das Sie in meinem Web-Shop aber auch in jeder stationären Buchhandlung bestellen können. Ebenfalls dort erhältlich sind die grantigen Geschichten Renate und das Dienstagsarschloch und das Buch von meinen Schwimmerlebnissen in Frei- und Hallenbädern, in Seen, Weihern, Flüssen und im Meer Bahn frei – Runter vom Sofa, rein ins Wasser. Alle Bücher sind auch über die ISBN in der stationären Buchhandlung bestellbar.

Diesen Beitrag weiterempfehlen:

Entdecke mehr von Mal Zwetschgenmann - Mal Wassermann

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen