Mediatipps (Teil 11): „Am Kanal“ von Brigitte Kraemer
Es herrscht Leben am Kanal. Vor allem im Sommer. Kaum eine Metapher wurde im Bezug auf das Ruhrgebiet so überstrapaziert, wie das Wort „Lebensader“, wenn es um Flüsse und Kanäle im Revier geht. Und kaum eine stimmt trotzdem so haargenau.
Flüsse und Kanäle durchschneiden die Industrieregion, sie waren und sind wichtige Transportwege für Kohle und Stahl. Aber sie sind noch mehr: Kleine Oasen, kleine Fluchtpunkte, Rückzugsgebiete, Naherholungsregionen. Die Menschen im Ruhrgebiet haben sich die Kanäle als Lebensraum erobert.
Und Fotografin Brigitte Kraemer hat 2005 eine Bildersammlung herausgebracht, in der sie zeigt, wie die Menschen das gemacht haben, wie sie an den Kanälen leben.
Herausgekommen ist ein wunderbarer Bildband – überwiegend schwarzweiß fotografiert, aber nicht durchgängig. Ein Coffe Table Book, das ich immer wieder gern zur Hand nehme, immer wieder durchblättere und mich mal von dem einen, mal von dem anderen Bild gefangen nehmen lasse. Denn es gibt so unglaublich viel zu entdecken: Eine ganz eigene Welt, so nah und doch so fremd.
Es ist nicht ganz so einfach, ein Buch, das hauptsächlich aus Bildern besteht, als Lesetipp vorzustellen. Zumal eben die Bilder für sich sprechen sollen und es auch können, diese aber bis auf das freigegebene Pressefoto nicht einfach wieder an anderer Stelle veröffentlicht werden dürfen. Und da Bilder nun mal für sich selbst sprechen sollen, vor allem, wenn sie ganze Geschichten erzählen, ist es schwer, zu beschreiben, was man auf ihnen sieht.
Menschen – immer sind es Menschen. Brigitte Kraemer ist ihnen mit der Kamera auf den Leib gerückt, zeigt sie, wie sie wirklich sind: Ungeschminkt, ungeschönt. Es sind keine Models, nicht mal ansatzweise, sondern die Durchschnittsmenschen, die einfache Bevölkerung, die die Fotografin porträtiert hat: Wie sie sich es in ihrer Idylle vor der sterbenden Industriekulisse gemütlich machen. Sie haben sich eingerichtet, etwas Besseres finden sie nicht und wollen es vielleicht auch gar nicht. Die Menschen grillen und trinken Bier; sie spielen Karten, liegen in der Sonne, sie campen, fahren Fahrrad, Jugendliche springen von den Brücken und schwimmen zu den Lastkähnen. Inder nehmen rituelle Bäder, Hunde werden spazieren geführt, Modellboote gewässert. Alltag und Arbeit sind für ein paar Stunden außen vor. Das Leben am Kanal besteht aus lauter kleinen Fluchten… wie auf den Dauercampingplätzen, in den Schrebergartenkolonien oder auf den großen Picknickwiesen der Stadtgärten.
Es ist ein recht intimer Blick in das Leben der Menschen, besonders zurückhaltend oder diskret ist Brigitte Kraemer dabei nicht. Trotzdem führt sie die porträtierten Menschen nicht vor, gibt sie nicht der Lächerlichkeit preis. Die Menschen sind eben so, wie sie sind. Es ist die Gegenwelt zu Model- und Castingshows, zum schönen Schein, zur Schickeria und Bussi-Gesellschaft. Und es ist die Realität – Menschen, so wie sie sind, ohne die zwanghafte Selbstoptimierungssucht oder Wichtigtuerei. Wer davon peinlich berührt ist oder sich darüber amüsiert, hat nichts verstanden.
Das macht ihre Bilder unglaublich authentisch, ehrlich und direkt. So wie die Menschen zwischen Rhein und Ruhr eben sind. Und es sind viele, die Wochenende für Wochenende an den Wasserstraßen verbringen. Es herrscht Leben am Kanal. Vor allem im Sommer.
Zwar ist das Schwimmen in Bundeswasserstraßen offiziell verboten, aber so richtig interessiert das niemanden am Kanal, zumindest nicht den Jüngeren, zumindest nicht in der Zeit, als die Bilder Anfang des neuen Jahrtausends entstanden.
Dass Kanäle auch auf mich eine große Faszination ausüben und welche, davon wird im Laufe der Woche in diesem Blog noch zu lesen sein.
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Brigitte Kraemer: Am Kanal
Gebundene Ausgabe 144 Seiten / Verlag: Klartext / Erschienen am 05. August 2005 / Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3898614689 / ISBN-13: 978-3898614689
Gebundene Ausgabe: 17.00 €
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