Mediatipps (Teil 34): „Treffpunkt Trinkhalle“ von Jan-Henrik Gruszecki (Autor), Reinaldo H. Coddou (Fotograf)

Was hat eine Trinkhalle mit diesem Blog zu tun?
Scheinbar wenig – und doch gibt es Berührungspunkte zu diesen Büdchen, den Kultobjekten des Ruhrgebiets; und nicht nur dieser Region).
Als ich im Spiegel von dem Fotobuch von Autor Jan-Henrik Gruszecki und Fotograf Reinaldo H. Coddou lese, weiß ich, dass dieses Buch auf meine Wunschliste gehört. Also landet es dort und später anlässlich eines Schenkereignisses (war es Weihnachten? war es Geburtstag?) in meinem Besitz. Meine Familie ist immer ein Garant, mir diese erwünschten Bücher auf den Gabentisch zu legen.
Die Freude war groß, denn eine fotografische Reise durch den Pott, von Büdchen zu Büdchen, von Kiosk zu Kiosk, von Trinkhalle zu Trinkhalle ist auch für mich als Betrachter auch eine Reise durch eine Region, die mir besonders ans Herz gewachsen ist, wie auch eine Reise durch die Zeit zurück. Denn Büdchen gehörten zu den Orten meiner Kindheit. Sei es das von Omma Arschloch gegenüber unserer Schule, sei es das im Haus gegenüber unserer ersten eigenen Wohnung. Von Moers bis Lünen spannt sich die Region, die großen Städte Dortmund, Essen, Gelsenkirchen, Oberhausen und Duisburg und natürlich mein Studienort Bochum sind natürlich Schwerpunkte im Buch. Aber es ist auch ein Kiosk in Hagen vertreten. Einer nur, von hunderten. Für mich persönlich ist das ein Manko, andererseits könnte man mit den Trinkhallen nur einer Stadt einen ganzen Band füllen – und mit dem Pott eine ganze Bücherreihe füllen. Und das wäre dann wohl zu viel des Ganzen.
So blättere ich durch die wunderbaren Fotos, entdecke enorm viel Typisches: Die fette Werbung regionaler Zeitung oder des üblen Springer-Blatts an den Fassaden. Dazu Zigaretten- und Bierwerbung, Langneseeis-Tafeln und -schwingmülleimer, Plastikmonoblock- und hölzerne Klappstühle, Sonnenschirme, Fahrradständer und Stehtische. Kioske mit Verkaufsfenster, manche vergittert, Trinkhallen in kleinen Ladenlokalen, die kaum größer als eine Garage sind. Dann die freisehenden Klinker-Pavillons mit ihren ausladenden Vordächern und tatsächlich finde ich noch ein Foto von einem Bretterbüdchen.
So war das halt und so ist das heute noch. Nicht nur im Pott. Aber da ganz besonders. Dem Berliner seinen Späti, dem Frankfurter sein Wasserhäuschen, dem Münchner seinen Kiosk an der Reichenbachbrücke. So ganz das Gleiche wie die Trinkhallen im Pott sind die aber nicht. Hier lebt der kleine Unterschied.
Und ganz wichtig. Es ist Ernst sein Büdchen, oder dem Jupp oder dem Ali seins. Will sagen:  Die Seele des Kiosks steckt in seinem Besitzer, der kennt alle und alle kennen ihn.
Das lässt sich in Fotos natürlich nicht einfangen. Aber das will der Bildband auch gar nicht.

Treffpunkt Trinkhalle ist ein Denkmal dieses langsam vergehenden Kulturguts – der Treffpunkt für ein Feierabendpils oder auf dem Heimweg nach der Schule die gemischte Weingummitüte für die Kinder. Gibt es das überhaupt noch? Drei Colaflaschen, drei Lakritzschnecken, fünf Salzbrezeln, eine Leckmuschel, zwei Nappos, eine Speckmaus… die Einzelbestellung aus dem Schnuckersortiment?
Was noch?
Die Zeitung und die Heftchen, das Plastikspielzeug, Zigaretten und Tabak, die kleinen Flaschen Doornkaat, Underberg, Apfelkorn, Jägermeister. Die Eistruhe. Cola- und andere Dosen, Sammelbildchen., die etwas besser sortierten bieten unter Kuchenabdeckhauben belegte Brötchen und Frikadellen, dazu ein Tütchen Düsseldorfer Löwensenf.
All das gehört zum Büdchen – es ist eine Schatzkiste, der man von außen nicht immer ansieht, was sie alles anzubieten haben.
Manch einer hat auch Kaffee. Und bei den meisten heißt der auch noch so: Und nicht Coffee to go.

Verdamp lang her, dass ich am Büdchen war. Es wird Zeit, das zu ändern. Der Bildband hat mich daran erinnert. Danke.


Jetzt hier kaufen (Das Buch gibt es aber auch über die ISBN bei Ihrem Buchhändler):

Gruszecki, Jan-Henrik Gr und Coddou, Reinaldo: Treffpunkt Trinkhalle

Gebunden / 224 Seiten / Verlag: Edition Panorama / Erschienen 15.11.2018 / Sprache: Deutsch
ISBN 978-3898235938

Preis: 24,80 €


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3 Antworten

  1. Axel P. sagt:

    Und nicht zu vergessen die Aufkleber diverser Zigarettenmarken, die in mühsamer Kleinarbeit nachts nach der Disco abgeknibbelt wurden und später unsere Zimmertüren zierten. Teilweise eingerissen oder verzogen mit Falten.

  2. Ja, unsere Büdchen: Kommunikationszentrale, Sorgenabladestation, Kinder-Glücklichmacher, Wundertütenreich, Groschengrab, Flachmanntanke, Rollmopstempel

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