Dieses Jahr in Marienbad

Letztes Jahr in Marienbad (L’Année dernière à Marienbad) – so hieß es in den frühen 60ern des vorangegangenen Jahrhunderts im französischen Kino, Avantgardekino, Autorenfilm, Filmdrama.
Aber es war nicht letztes Jahr – es war letzte Woche. Da waren wir auch in Marienbad – ganz ohne Avantgarde und nicht nur im Kino.
Im realen Leben. Auf Stippvisite, einfach mal ausspannen, einfach mal ein Wochenende verschwinden.


Bewaffnet mit großer Neugier, geladener Kamera, Wanderstiefeln für die Gegend, guten Hunger, Badeklamotten für den Wellnessbereich (wovon hier erzählt wird) und vielen Klischees über altehrwürdige Kurorte im überbordenden Zuckerbäckerstil prächtiger Hotelbauten und Villen.

Viel Zeit bleibt nicht, Mariánské Lázně, das ehemalige Marienbad im westlichen Tschechien zu erkunden. Das Programm ist „stramm“, das Wochenende kurz, der Kaiserwald lockt mit Wanderwegen – und Cheb, vormals Eger will auch besucht werden.
Stressig ist das nicht, ein Rundgang durch den eigentlichen Kurort ist schnell erledigt. Ohnehin besteht er fast nur aus Hotels und Hotels… und Hotels.
Eines ist prächtiger als das andere – und mittendrin eines, das langsam aber sicher in sich zusammenfällt, eine Bauruine am Goetheplatz, ein Lost Place, das von innen zu erkunden bestimmt äußerst sehenswert ist. Aber es ist verrammelt, verbretttert, vermauert. Wohl aus gutem Grund, niemand will schließlich in so einem Gebäude plötzlich durch den Boden brechen oder von einem herabstürzenden Stein erschlagen werden. Ein anderes Hotel, das Hotel Polom, hingegen hat trotz Schließung noch immer geöffnet. Davon hier mehr.

Einst trafen sich die Mächtigen blauen Geblüts hier. Noch heute zeugt ein Denkmal vom österreichischen Kaiser Franz Josef und dem britischen König Edward VII. von deren Begegnung. Entlarvender kann das Denkmal nicht sein. Der Kaiser aufgmaschelt in Uniform, schwer mit Orden dekoriert, die Hand am Säbel; der englische König „nur“ mit Anzug, Schal und Bowler Hat. Was ein konfektionelles Understatement gegenüber dem operettigen Franzl, was im Endeffekt wie  eine Deklassierung des Kaisers wirkt.

Es ist kalt, regnerisch – ein Leerlauf zwischen der Wintersaison, die mittlerweile zu Ende ist und dem noch nicht wirklich vorhandenen Frühling. Wenige Gäste, kein Gedränge, keine überfüllten Cafés, in denen man um Platz zum Verzehr eines Palatschinkens anstehen muss. Nicht mal in den Kolonaden, den Kolonáda Maxima Gorkého, dem Herzstück des Kurbetriebs. Man rüstet noch, baut noch, repariert noch. Nur wenige Gäste schauen sich nach Cafés und Souvenirs um. Und einer nach Fotomotiven: Ich.


Noch fehlt es an mondäner Eleganz flanierender Kurgäste im edlen, eleganten Zwirn, noch dominieren gefütterte Regenjacken.
Ich habe keine Ahnung, ob die Wohlbetuchten später im Frühjahr in Mariánské Lázně einfallen werden, aber ich kann es mir vorstellen. Wer sonst sollte die ganzen vornehmen Hotels bevölkern und in der Kolonáda Karolinina a Rudolfova pramene ihr Heilwässerchen schlürfen?

Die Leere dieser Tage macht es reizvoll, Fotos zu machen, die sonst kaum möglich wären. Es entstehen ein paar menschenleere Bilder sowohl für den Mastodon Fensterfreitag als auch für die Facebook Bankerl zum Verweilen. Das geht sogar in den Kolonaden:

Mariánské Lázně ist auf jeden Fall einen weiteren Besuch wert. So viel nehme ich als ersten Eindruck mit – wohl nicht, um länger hier zu kurlauben, das ist nicht die Art Urlaub, wie ich sie mir vorstelle. Aber für einen Kurztripp und als Ausgangspunkt für eine Erkundung des Kaiserwalds.



Dass tschechisches Bier zum Essen dazu gehört, ist dabei selbstverständlich.
Die noch nicht beendete Fastenzeit hin oder her. Und so steht an beiden Abenden ein Humpen Pilsener Urquell neben meinem Teller auf dem Tisch. Dazu ein ordentliches Stück Fleisch auf dem Tisch und böhmische Knödel.
Für was sind wir schließlich hergekommen?
Bestimmt nicht zur Kur – und schon gar nicht zur Einhaltung irgendwelcher Diäten. Auch auf das schwefelhaltige Wasser der Heilquellen zu trinken ist wenig erstrebenswert. Letzteres ist ohnehin nur begrenzt möglich, weil die Quellen in den Kolonaden wie auch im Pavillon im Kurpark noch nicht wieder sprudeln. Das kommt wohl erst noch, wenn die Saison in Fahrt gekommen ist.
Also bleibt’s beim Bier! Auch ein heilendes Getränk.
Prost!
Die Krüge hoch! 

Ach nee! Das war woanders.
Auf dass wir hundert Jahre alt werden.


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1 Antwort

  1. Stephanie sagt:

    Dankeschön für diesen Reisebericht lieber Zwetschgenmann 🍀

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