Als Krautwickel im Tinninger See (Challenge 2019/14)

Tinninger See?
Nie gehört?
Ok – ich auch nicht.
Bis gestern.
Seit ich 2015 25 Seen im Großraum München besucht und darin geschwommen bin und zudem jedes Jahr mindestens fünf weitere, unbekannte Gewässer dazukommen (meistens sind es mehr), wird die Suche langsam mühselig. Nicht, dass mir die Seen, die ich noch nicht kenne, ausgehen, aber viele sind mit einer Anfahrt von über eineinhalb Stunden zu weit weg, als dass ich guten Gewissens für ein paar Schwimmkilometer dorthin fahre und danach gleich wieder verschwinde.

Schwimm- und Badesteg am Tinninger See

Und so suche ich immer wieder via Google Maps nach größeren, hellblauen Flecken, mache mich kundig, wie das Gewässer heißt und ob man darin schwimmen kann bzw. darf. Denn nicht Wenige sind für jeglichen Wassersport inklusive Schwimmen gesperrt, weil als Weiher in Privatbesitz, weil als Naturschutzgebiet ausgewiesen, weil als Kiesgrube noch immer in Betrieb usw.

Nicht so der Tinninger See im westlichen Chiemgau, zwischen Rosenheim und Simssee gelegen. Google meldet: Es gibt einen Badeplatz samt Kiosk, also ist der See beschwimmbar und ist größer als eine Pfütze. Das ist Grund genug, mich vor Ort zu begeben.

Tinninger See von Ost nach West

Der erste Eindruck jedenfalls ist sehr vielversprechend, aber hält der See auch, was er auf den ersten Blick verspricht? Doch der zweite wirft Zweifel auf.

Tinninger See - gut eingewachsen

Direkt am Parkplatz macht mich ein Hinweisschild, dass es wegen der hohen Temperaturen (folglich auch hohen Wassertemperaturen) sehr viele Schlingpflanzen im Badebereich gäbe, stutzig.
Und diese Warnung steht dort nicht ohne guten Grund. Denn es krautelt wirklich massiv im See. Die übliche Runde, immer am Ufer entlang, kann ich vergessen, da ist kaum ein Durchkommen, das sehe ich schon vom Steg am Badeplatz. Also bleibt nur, quer rüber zum anderen Ufer und zurück. Das sind kaum mehr als 600 Meter pro Strecke – zu wenig.

Endlos viele Wasserpflanzen im Uferbereich

Doch auch dieser Weg führt mich immer wieder in großflächig unter Wasser bewachsenen Bereich, den man nicht vorab ausmachen kann. Denn nur dort, wo das Kraut die Oberfläche erreicht hat, erkennt man es. An vielen Stellen wachen Pflanzen hinauf bis etwa 30cm unter die Oberfläche, das ist zu viel Wasser, um es zu sehen, wenn ich mir einen Überblick verschaffen will, zu wenig aber, um einfach hindurch zu schwimmen. Das erklärt, warum sich die meisten Badegäste in einem überschaubaren Bereich aufhalten, wirklich weit weg vom Steg schwimmt niemand.

Tinninger See von West nach Ost

Denn, was immer es für ein Kraut ist, es wächst dicht, macht das Hindurch- oder Überschwimmen unangenehm, schlingt sich zwar nicht aktiv um Arme und Beine, aber irgendwie umwickelt es doch die Extremitäten, wenn man Hineingerät. Zumindest verfängt man sich schnell darin. Es bremst, hält fest, nervt, fordert extra starken Beinschlag.
Also Abstand; wer will schon als Krautwickel im Tinninger See enden? Ich nicht.

Am Ufer des Tinninger Sees

Da meine Unterwasserkamera an akuter Akkuleere leidet, sind keine Bilder im Wasser möglich. Das ist schade, denn ist schon sehr beeindruckend, welche „Wälder“ einem hier von unten entgegenwachsen.
Faszinierend auch, wie unterschiedlich die Wassertemperaturen im See sind. Über dem Kraut ist es bacherlwarm, fast schon zu warm, um zu schwimmen, an anderen Stellen ist es sicherlich 5 Grad oder mehr kühler. Und vorne am Einstieg ist das durch vom Steg springende Kinder aufgewirbelte Wasser so kalt, dass manche Mutti, die ihre schwimmbeflügelten Kinder beaufsichtigt, eine verwegene Kombi aus Gänsehaut und leichter Blaufärbung zur Schau stellt. Sie schnattern wie die Enten auf der Liegewiese.

Ente auf der Liegewiese

Schwimmend ist dem verkrauteten See kaum beizukommen, zumindest nicht so, wie ich es gerne hätte. Aber ich brauche noch mehr Bilder, andere Motive, andere Blickwinkel. Also umrunde ich den Tinninger See zu Fuß, was mir einen Spaziergang von einer knappen Stunde einbringt. Der aber lohnt sich, weshalb ich hier einfach ein paar Bilder zeige.

Eingebettet in Felder und Weiden. Der Tinninger See

Gräser und Nadelgehölz

Weidende Kuh

Tinninger See - im Hintergrund die Berge

Nach absolvierter Spazierrunde, einer Apfelschorle und einem Tomaten-Mozzarella-Toast verweile ich eine zeitlang am Badeplatz. Mir scheint, ich bin der einzige Fremde, man kennt sich, grüßt sich, ratscht – und alle im tiefsten Oberbayerisch. Eine Mutter scheißt ihre Tochter zusammen, die einen Ball ins Wasser geworfen hat, der nun vom leichten Wind davon getrieben wird. Einen Moment zögere ich, ob ich Hilfe anbieten und den Ball retten soll, dazu müsste ich nur schnell wieder in die Badehose schlüpfen. Aber die Oma ist schon unterwegs, brüstelt dem Plastikspielzeug hinterher, quert das Kraut und birgt ihn schließlich nach einer atemberaubenden Verfolgungsjagd. Die stellt sich nicht so an wegen ein paar Pflanzen.

Verführerisches Blau im See

Zwei alte Leute wanken ins Wasser, der Mann ist gehbehindert und nutzt einen Stock. Als sie nach kurzem Bad den See an anderer Stelle verlassen, springe ich auf und bringe ihm den Stock, den er etwa 50 Meter entfernt in der Wiese liegen hat lassen. Er bedankt sich überschwänglich, redet zu laut, zu gebisslos und zu bayerisch auf mich ein, als dass ich nur annähernd eine Idee davon bekomme, was er mir erzählen will. Macht aber nichts.
Ich lächle, weil man das so macht, nicke, als stimme ich ihm bei irgendetwas zu, da geleitet ihn seine Frau dankbar lächelnd zurück zur Liege.
Heimfahren oder noch mal den See durchqueren?

Letzteres. Sonst hat sich der Weg nicht gelohnt und ich erreiche meine 100 Kilometer Freiwasser nie, wenn ich jedes Mal so kurz schwimme..

Ich weiß jetzt, wo im Badebereich das Kraut sprießt, also kann ich es umschwimmen ohne krautgewickelt zu werden. Ich schlage einen weiten Bogen und kehre vom Westufer aus wieder zurück.

Tinninger See

Der fünfte, noch fremde See in diesem Jahr ist abgehakt, das wäre also erledigt.
Zum baden, sonnen, spazieren gehen ist der Tinninger See ok – zum ausgiebigen Schwimmen eher dürftig.


Noch zu erledigen:

  • Fünf Wiederentdeckungen: noch 1
  • Und außerdem: Jahressoll 480 km / ein fremdes Freibad / Ranking aktualisieren / Badehosen ausmisten / Vollmond-Schwimmen / Goldene Stunde / 100km im Freiwasser / Herbstlaubschwimmen / Ab in die Alz

Erledigt:


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3 Antworten

  1. Naya sagt:

    Vielen Dank für deine tollen Beschreibungen der Seen und die vielen Fotos vom Freiwasserschwimmen!
    Ich habe unter anderem deswegen zum einen häufiger und zum anderen auch mit offenen Augen meinen lokalen Badesee zum Schwimmen genutzt, was ich die ersten Jahre – jetzt rückblickend gesehen – viel zu wenig gemacht habe.
    Ich komme zwar nichtmal annähernd an deine Strecken ran, werde das vermutlich auch nie, aber ich verstehe deine Begeisterung für diese Art des Sports sehr gut, und habe heute durch das Schwimmen vor dem Hauptansturm der Badegäste recht dicht am Ufer im Flachwasser zum ersten Mal die Fische bei uns im See tatsächlich gesehen!

    • zwetschgenmann sagt:

      Vielen Dank für das wunderbare Kompliment. Es ist immer schön, Feedback von Leserinnen und Lesern zu bekommen, vor allem, wenn man spürt, dass sie meine Intention aufgenommen haben. Für mich ist es schon lange nicht mehr wichtig, ob man schnell oder langsam schwimmt, viel oder wenig.
      Ich möchte Werbung dafür machen, schwimmen auch als Naturerfahrung und -erlebnis wahrzunehmen. Mit allen Sinnen spüren, wie das ist.
      Ich finde es großartig, auf Fische im See zu stoßen, da ist nichts Beängstigendes, nichts Ekliges. Das ist Natur. Und ich bin in solchen Momenten ein Teil davon.

      • Naya sagt:

        Ja, genau die Naturerfahrung und die vielen kleinen und größeren wunderbaren Dinge, die man am See wahrnehmen kann, die genieße ich auch neben der reinen Bewegung im Wasser an sich! Ich bin lange eher als Blindfisch im Wasser unterwegs gewesen (stark kurzsichtig), und noch gar nicht so lange im See dann auch mit Kontaktlinsen und Schwimmbrille unterwegs, und das lohnt sich.
        Sonst schwimme ich aufgrund der Badegäste meist entlang der Bojen, die den Badebereich von dem für die Segler, Paddler, … abtrennen, da sieht man auch das Farbspiel von der Sonne auf dem Wasser und auf den Armen knapp unter der Wasseroberfläche, die Blautöne, die See und Himmel bieten und näher zum Schilfufer neben dem Badestrand die Libellen an der Wasseroberfläche (und einmal eine Gans, die sich aus unerfindlichen Gründen nicht bei den restlichen Gänsen in der Nähe der Vogelschutzinsel, sondern direkt neben dem Badestrand rumgetrieben hat). Aber gestern im Flachwasser die Lichtspiele von Sonne und Wellen dann auf dem aufgeschütteten Sandboden des Strandes und dem naturbelasseneren dunkleren Boden am Rande vom Badebereich und vor allem die Fische zu sehen, das war schon toll! Das Licht hat mich an einer Stelle so fasziniert, daß ich erst durch Aufsetzen gemerkt hab, wie flach das Wasser mittlerweile war ;)
        Und wie du schon sagst, das ist Natur, das gehört beim See dazu, auch wenn es sich am Boden unter den Füßen mal etwas rutschiger anfühlen mag, man Pflanzen unter Wasser berührt, einem Tiere begegnen und um das Gesicht herum Dinge treiben, die die Bäume gerade fallenlassen. Die Berührungsängst hatte ich auch früher schon nicht. Aber die Schönheiten darin, die sehe ich eben erst seit kurzem.

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