Wildpark Poing (#03): Die Nutrias

Niemand mag Nutrias. Zumindest kommt mir das so vor. Sie sehen ein wenig aus wie Ratten, vielleicht ist deshalb die Aversion so groß. Tatsächlich sind die Nutrias mit Meerschweinchen eher verwandt als mit echten Ratten, aber da sie gelegentlich Sumpf- oder Biberratte genannt werden, auch zu den Stachelratten gehören, hat sich das wohl so manifestiert. Wobei Stachelratten nur geringfügig mehr mit echten Ratten gemeinsam haben als Stachelschweine mit echten Schweinen. Aber so ist das nun mal mit den Trivialnamen, ein weites Feld, auf dem man sich sehr schnell verliert.

Nutritas gelten als Neubürger, als invasive Einwanderer und Faunenverfälscher. Dabei passierte das ganz ohne ihr eigenes Zutun, denn Nutrias wurden um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert aus Amerika nach Europa importiert. Lange Zeit waren sie begehrte Lieferanten für Pelze, daher wurden die Tiere in Farmen gehalten und entsprechend auch hierzulande intensiv nachgezüchtet. Zu Abertausenden, denn es war der „Pelz der einfachen Leute“, nichts Besonderes, erschwinglich und ganz und gar nicht mondän.
Die geringe Größe der Nutrias brachte es mit sich, dass sie in immensen Zahlen gezüchtet und getötet werden mussten, denn es brauchte die Felle von rund 30 Tieren für einen einzigen Mantel. Unschön, unrühmlich.

Aus Farmhaltung entkommen oder durch Tierschützer bei Nacht und Nebelaktionen „befreit“ breiteten sich Nutrias auch hierzulande aus. Stabile Populationen gibt es an etlichen Seen und Kleingewässern. Dass die Tierschützer mit solchen Aktionen der heimischen Flora und Fauna oft einen Bärendienst erwiesen haben, steht dabei auf einem anderen Blatt, soll aber nicht unerwähnt bleiben. Denn von gutem Willen getriebener übereifriger Aktionismus ist oft nicht weit genug gedacht. So tollen also Nutrias nun hierzulande genauso herum wie Waschbären, die man, wenn auch aus anderen Gründen ebenfalls nach Europa oder Kaninchen nach Australien ex- bzw. importiert hat. Einer der vielen Albträume Darwins.

Im Wildpark Poing leben ausbruchsicher etwa zwei Dutzend Nutrias – entspannt durch das große Desinteresse der meisten Besucher. Es sind schließlich keine putzigen Fischotter, keine scheuen Biber (die auch vor allem durch die Landwirte hierzulande massiv angefeindet werden) oder niedlichen Waschbären, denen man in der Allgemeinheit sehr wohlgesonnen ist, obwohl die nun wirklich weit mehr in die bestehenden Ökosysteme eingreifen als Nutrias. Aber das ist ja egal, so lange die Bärchen so kuschelig sind und so hingebungsvoll ihre Pfötchen wie beim Händewaschen aneinander reiben.
Das Nutriagehege ist eines der ganz wenigen, bei dem kein einziger Besucher steht und den Tieren zuschaut, keiner das Handy zückt für einen Schnappschuss, kein Fotograf seine Kamera samt Tele auf die Nager richtet.
Uninteressant, langweilig, hässlich, abstoßend…
Das finde ich ganz und gar nicht und bleibe bei bester Sicht und freier Platzwahl zum Fotografieren eine Weile am Zaun. Hin und wieder lässt sich ein Nutria ins Wasser gleiten, bleckt seine orangeroten Zähne, schwimmt ein Ründchen und erklimmt dann wieder einen Baumstamm und klettert zurück ans Ufer.

Das ist unspektakulär, nicht drollig, nicht liebreizend. Klar: Da bleibt niemand stehen, das will niemand sehen. Höchstens einen kurzen Blick riskieren die Besucher auf ihrem Weg, dabei hat das Gehege eine der prominentesten, besten Lagen überhaupt im Wildpark: Direkt an der Ecke vom Hauptweg und dem großen Spielplatz ist es gelegen. Da kommt nun wirklich jeder vorbei

Die wenigen, die doch mehr als einen Blick riskieren, wissen oft nicht, was sie vor sich haben. Trotz riesiger Infotafeln ist von Bisamratten die Rede, oder eben doch vom Biber, der aber ganz anders aussieht. Egal, das muss man nicht so genau nehmen und Infotafeln zu lesen scheint, wie ich nicht nur hier bemerke, eine zunehmend größer werdende Herausforderung. Die Textmenge von mehr als fünf Sätzen erschlägt die Besucher, deren Kinder ungeduldig auf Weitergehen drängen. „Too much information!“

Und so bleiben die Nutrias weitgehend unbeobachtet unter sich und lassen es sich gut gehen. Einfach nur da sein reicht. Nicht mal „Just looking good“ wird von ihnen verlangt.
Vielleicht hat das ja auch etwas Gutes…

Weiter geht es im nächsten Teil mit zwei Tierarten, die unglaublich polarisieren und eine zum bayerischen Wahlkampfthema avanciert ist.

Alle Teile:
Die Ankündigung
Die Pfauen
Die Nutrias
Die Luchse und die Wölfe
Viele, viele Arten
Die Braunbären

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