Auf Schienen quer über Mallorca – mit Orangenexpress und Straßenbahn

Es gibt ja solche und solche. Das ist allgemein gültig und demzufolge auch für Mallorca zutreffend.

Also: Es gibt solche Urlauberregionen wie El Arenal, wo ich noch nie war und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht hinkommen werde. Und es gibt Regionen, Sehenswürdigkeiten und Angebote wie den Orangenexpress, die mich sehr ansprechen. Davon war in dem Blog schon öfter die Rede und wird es gelegentlich auch wieder sein – anders als bei der Bosnien-Rundreise jedoch nicht als zusammenhängende Serie.
Es gibt ja solche Touristen, die sich zwischen Schinkenstraße, Schwarzwaldmädel, Sangria und Thüringer Bratwurst wohl fühlen und solche, die das nicht tun. Zu der zweitgenannten Kategorie gehören wir.

Und so treffen wir uns mit Freunden, die zufällig zur gleichen Zeit auf der Insel sind (irgendwie wird das zur schönen Regel, dass immer wer dort ist, den wir kennen, wenn wir auch dort sind) zu einer gemütlichen Bahnfahrt. Denn das Wetter im Oktober ist ausnahmsweise mal nicht schokoladenseitig Wolkenverhangen und mit etwas Regen präsentiert sich die Gebirgskette Tramuntana. Ein Tag für den Zug.

1912 wurde eine Bahn von Sóller nach Palma gebaut, ursprünglich, um die Zitrusfrüchte aus dem Tal im Norden zur Verschiffung in die Hauptstadt zu bringen, daher der Name. Das passiert schon lange nicht mehr. Heute zuckeln urgemütlich die Touristen auf Holzbänken in den Waggons hin und her.

Bunyola -> Sóller

Von Palma nach Port de Sóller, was wirklich einmal quer bzw. eher längs über die Insel bedeutet, lässt es sich gemütlich und sehr entschleunigt auf Schienen tuckern. Den ersten Abschnitt aber sparen wir, steigen erst in Bunyola dem Zug zu, etwas mehr als eine halbe Stunde dauert die Fahrt nach Sóller. Hinauf schrauben sich die Schienen an den Jardines de Alfabia vorbei und dann wieder hinab in den Talkessel.
Wir haben sogar einen früheren Zug als geplant erwischt, alles geht so schnell, dass ich in Bunyola noch nicht mal Zeit habe, die Kamera herauszuholen und auch nur ein einziges Bild vom Bahnhof oder dem einfahrenden Zug zu machen. Erst im Waggon entstehen die ersten Fotos durch das Fenster.

Da die Trasse einspurig ist, gibt es oben auf halber Strecke einen kleinen Perron, an dem der Zug stehen bleibt. Der Zug nach Norden lässt den nach Süden passieren, bevor er selbst in den Tunnel einfährt und dann vor Sóller wieder ans Tageslicht zurückkehrt.
Kaum, dass der Orangenexpress anhält, stürzen die Leute nach draußen und fotografieren ins Tal, den Zug, viele aber nur sich selbst.

Ich mache da keine Ausnahme, fotografiere den Zug, die Leute, Sóller im Tal im Dunst.

Gleichwohl verzichte ich darauf, mich selbst zu fotografieren, statt dessen knipse ich die drei im Zug verbliebenen Teilnehmer unserer Minigruppe. Sie winken freundlich zum Fenster hinaus. Dann schlendere ich am Zug entlang.

Da stößt mich plötzlich der Herr Kondukteur leicht von hinten auf die Schulter und beginnt, spanisch auf mich einzureden. Er, so interpretiere ich das, möchte wohl, dass wir alle einsteigen, es geht weiter. Aber das ist mitnichten der Fall. Er bedeutet mir, dem Spanisch nicht mächtigen Touri, ganz an das vordere Ende des Bahnsteigs zu gehen, eine weitere Geste verstehe ich so, dass es dort etwas zu fotografieren gäbe. Also mache ich das und bin froh, dass ich einer der ersten war, dem der Mann nonverbal Bescheid gibt. Vielleicht liegt das daran, dass ich einer der wenigen bin, die mit Kamera und nicht mit Handy fotografieren?

Ich stehe also an der schmalen Stelle quasi in Pole Position, die anderen gruppieren sich um mich, aber eher hinter mir, und blicke in die Röhre, als der Gegenzug aus dem Tunnel heraus kommt. Wir fotografieren was das Zeug hält. Als ich meine Bilder habe, nicke dem Schaffner dankbar zu, der breit grinsend eine Art „Na sag ich doch“ Gesicht auflegt und begebe mich zurück in den Waggon.

Dann macht der Schaffner auf dem Bahnsteig, die anderen auf sich aufmerksam. Gestikulierend für die meisten, auf spanisch für die wenigen, fordert er die Fahrgäste auf, den Zug zu besteigen. Es geht weiter.

Ein Tunnel, ein paar Kurven, einige Fotos aus dem Fenster, dann ist Sóller erreicht. Die Fahrt mit dem Orangenexpress ist beendet.

Angetan hat es mir ja in Der Bahnhofshalle der Hinweis auf den alten Billett-Verkaufsschalter, der Schalter selbst ist geschlossen.

Zuerst besuchen wir das kleine, entzückende Miró-Museum. Dann streifen wir ein wenig durch die Stadt und steuern ein Café an, schließlich geht es weiter nach Norden zum Meer.

Bunyola -> Sóller -> Port de Sóller

Sóller verlassen wir per Straßenbahn zum stolzen Ticketpreis von acht Euro pro Mensch. Wahrlich, das ist kein Schnäppchen, aber die Straßenbahn ist nun auch nicht in erster Linie ein ÖPN-Verkehrsmittel sondern ebenfalls eine Touristenattraktion.
Entsprechend gestopft voll mit Touristen ist sie auch.

Noch hängen Wolken im Gebirge, der Regen aber hat aufgehört, es ist ein diffuses Licht, hin und wieder glänzt die Sonne, der zweite Teil des Tages verspricht, wärmer zu werden und trocken zu bleiben. Die Regenjacken können wir ausziehen, die Schirme sind längst geschlossen.

Ich ergattere wieder einen Fensterplatz, gut fürs Fotografieren. Das Hinauslehnen ist aus gutem Grund verboten, obwohl die Bahn furchtbar langsam fährt und immer wieder laut auf sich aufmerksam macht. Denn sie fährt den Menschen in den Cafés sonst fast über die Füße oder einen transusigen Urlauber, der auf sein Handy starrt, über den Haufen.

Ich halte die Kamera aus dem Fenster, gar nicht so einfach, sie einigermaßen gerade zu halten, dass es nicht aussieht, als neige sich die Bahn in den Kurven seitwärts wie ein Motorradfahrer.
Da mir das nicht gelingt, drehe ich die Bilder halt in der digitalen Nachbearbeitung wieder zurück, auch wenn dadurch einiges an allen vier Seiten abgeschnitten werden muss.

Als wir über die Plaça de la Constitució fahren, zücken überall die Leute ihre Handys, um die Straßenbahn zu fotografieren (was ich, als wir das erste Mal in Sóller waren, auch nicht anders gemacht habe). Die Leute draußen fotografieren rein, die von drinnen raus. Motivgeber und Motivnehmer sind wir also alle miteinander.

Nachdem wir Sóller hinter uns gelassen haben, geht es das Tal hinab vorbei an Gärten, Pferdekoppeln, kleinen Höfen und Zitrusplantagen. Das Schild, dass das Pflücken von Zitronen aus der fahrenden Bahn heraus verboten ist, ergibt hier einen Sinn. So langsam, wie sie fährt, so nah, wie wir an den Bäumen entlang kommen, ist sicher schon oft einer auf diese Idee gekommen. Es gilt auch hier: Kein Schild ohne Geschichte.

In Port de Sóller schwenkt die Bahn auf den Boulevard ein. Zwischen Meer und Geschäften zuckelt sie im Schritttempo dem Endbahnhof entgegen. Das ist quasi das große Finale.

Voll ist es nicht auf dem Boulevard, die Saison ist reichlich fortgeschritten, das Wetter noch immer etwas unentschlossen. Auch hier bleiben die Passanten stehen und fotografieren die Straßenbahn, das werde ich später auch machen.

Die Fahrgäste ihrerseits fotografieren, so sie in der Bahn auf der linken Seite sitzen, aus den Fenstern heraus die Marina. Auch das mache ich.

Ich gebe gern zu: Ich mag, wenn es nicht übervoll ist oder man stundenlang unterwegs ist, diese langsamen Züge nur für uns Urlauber. Hier geht es viel mehr ums Fahren als ums Ankommen, ob nun im rasenden Roland auf Rügen oder im Orangenexpress auf Mallorca. Das ist Entschleunigung, das ist Erholung, das ist Urlaub.


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1 Antwort

  1. Vor genau 28 Jahren bin ich auch mit dieser Bahn gefahren – allein, da mein Lieblingsmensch von den zwei Wochen Mallorca eine Woche mit Freunden auf einem großen Segelschiff als „Kapitän“ zugebracht hat.
    Aber bei solch schöner Gegend und (nicht gepflückten) Zitronen konnte mir gar nicht langweilig werden.
    Fotos habe ich keine – ich weiß gar nicht, ob ich 1995 schon einen Apparat hatte.
    Danke für die Erinnerung

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