Mediatipps (Teil 22): „Der Friedhof lebt“ von Sigrid Tinz

Wer mein Blog kennt, der weiß, dass ich ein Verfechter von Natur- und Landschaftsschutz bin. Biodiversität, Sport in Naturschutzgebieten sind für mich wichtige Themen – und im Blog die Sensibilität im Umgang mit der Natur und den dort lebenden Tieren und Pflanzen zu wecken.

Wer mein Blog kennt, der weiß auch, dass ich ein gewisses Faible für Friedhöfe habe – Dortmund, Edinburgh, Riem, Wien, Prag, im Weltwald oder im eigenen Dorf. Ich gehe gerne dorthin, schaue mich um – es sind Orte der Ruhe und der Inspiration. Letztlich ist diesem Interesse auch geschuldet, als Autor auf dem Totenhemdblog ein paar Mal im Monat Beiträge beizusteuern.
Über diesen Weg kam auch das Buch Der Friedhof lebt von Sigrid Tinz als Rezensionsexemplar zu mir; ein Buch, dass zwei meiner Interessensfelder aufs Wunderbarste ins Blickfeld gerückt hat.
Nachdem in dieser Reihe enorm viel von diversen Aktivitäten die Rede war (Fußball, Schwimmen. Zelten, Trekking, Hiking, Wandern, Radfahren, Weltreisen) kommt nun erstmalig ein Buch auf meine Empfehlungsliste, in dem es ganz genau um das Gegenteil geht: Um Ruhe, Besinnung, Naturbeobachtung. Und das mitten in der Stadt – auf den großen und kleinen Friedhöfen. Eben jenen Oasen, in denen viele heimische Tier- und Pflanzenarten Rückzugsmöglichkeiten und Überlebensnischen gefunden haben.

Die Geoökologin Sigrid Tinz hat sich auf zahlreichen Friedhöfen umgesehen und ihre Beobachtungen in Text und in vielen Bildern in diesem Buch zusammengefasst. Herausgekommen ist dabei ein Appell zum Schutz dieser Lebensräume. Sie plädiert für einen behutsamen Umbau weg von Funktionalität, Zweckmäßigkeit und der kulturell geprägten Friedhofsgestaltung, in der es geordnet, anständig arrangiert und pietätvoll zugehen muss. Statt dessen darf es etwas wilder zugehen – zugunsten der Biodiversität. Weg vom „Unkrautdenken“ und dem Kampf gegen die tierischen Störenfriede auf den Friedhöfen – hin zu mehr Artenvielfalt. Ein Naturführer oder Artenbestimmbuch ist dabei allerdings nicht entstanden, davon gibt es reichlich, da muss nicht noch ein weiteres hinzukommen. Es ist auch kein Buch über Gräbergestaltung, auch wenn es viele gute Anregungen dazu gibt, oder Sepulkralkultur entstanden, dies wird nur „angerissen“ aber nicht sehr vertieft – denn auch das war im Rahmen dieses Buches nicht geplant. Eine kluge Entscheidung der Autorin und des Verlags.

Der Friedhof lebt ist es ein höchst inspirierendes Lesebuch, ein Bilderbuch, ein Denkanstoß. Es weist uns auf Hummeln und Eidechsen hin, auf Fledermäuse, Ameisen und Schleiereulen, auf Feldhamster, Neuntöter und Eichhörnchen, auf Efeu, Storchenschnabel und Moose.
Warum sind sie dort? Und warum ist es gut, dass sie da sind? Was können wir tun, damit wir diese Lebensräume noch etwas besser gestalten können?
Wie können wir davon „profitieren“?
Zum Beispiel, in dem dort Bänke aufgestellt werden, auf die man sich hinsetzen, seinen Gedanken nachhängen kann, den Vögeln zuhören, die Ameisen zu unseren Füßen beobachten oder den Eichhörnchen oder Schmetterlingen zusehen. Aber auch andere Menschen treffen, Friedhöfe können nämlich auch Orte der Begegnung sein, abseits der hektischen und lauten Alltagswelt.

Gleichzeitig macht die Autorin klar, dass Friedhöfe in erster Linie und ihrer Funktion nach Orte sind, an denen wir unsere Toten bestatten und ihrer gedenken. Ein Friedhof ist weder Park noch Wald noch Naturschutzgebiet. Dass alles kann er sein – und das sollte er auch. Aber in erster Linie ist es eben ein Friedhof mit seinem ganz eigenen Zweck und den daraus resultierenden Gesetzmäßigkeiten.
Das muss einander nicht ausschließen – im Gegenteil.
Mein Vorschlag: Setzen Sie sich auf eine Bank auf einem Friedhof in ihrer Nähe und lesen Sie in diesem Buch. Und danach machen Sie dort einen kleinen Spaziergang. Vielleicht werden Sie plötzlich so viel mehr entdecken als vorher, vielleicht ist es dann gar nicht mehr so wichtig, seinen Blick nur auf Grabsteine und -kreuze zu richten und zu schauen, wer wo bestattet wurde.

Hinweis: Das Foto stammt nicht aus dem Buch – es wurde auf dem Friedhof St. Clemens im Weltwald aufgenommen.

Vielleicht rücken dann auch die Bäume, Sträucher, Hecken, Kräuter, Blumen und Tiere viel stärker in Ihren Blickwinkel und Sie erfreuen sich daran.
Dann hätte das Buch seinen Zweck erfüllt.

Während ich die Zeilen schreibe, fällt mir auf, wie sehr viele all diese verwunschen Ecken auf den Friedhöfen mögen. Überwuchert, verwittert, vergänglich. Von Efeu umrankte Skulpturen und Kreuze, kaum mehr lesbare Inschriften. Malerisch ist das – und weckt die Romantik in uns. Solche Bilder werden in den sozialen Medien regelrecht „abgefeiert“, sie zieren haufenweise Bildbände und Kalender.
Und wie widersprüchlich dazu sehen unsere Gräber dann im November vor Allerheiligen oder dem Totensonntag aus: Geleckt, geharkt, gefegt – hergerichtet bzw. herausgeputzt.
Kein Blatt, kein Kräutlein, nichts. So „aufgmaschelt“ und doch so steril.
Es wird Zeit, manche Traditionen neu zu überdenken. Wie wäre es damit, am Ort der Toten mehr Leben zuzulassen?

Hinweis: Das Foto stammt nicht aus dem Buch – es wurde auf dem Friedhof in unserem Dorf aufgenommen.


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Sigrid Tinz: Der Friedhof lebt! – Orte für Artenvielfalt, Naturschutz und Begegnung

Gebundene Ausgabe / 160 Seiten / Verlag: pala, Darmstadt / Erschienen 21.04.2021 / Sprache: Deutsch / Gedruckt auf recyceltem Papier
ISBN-13: 978-3730705407

Preis: 19,90 €


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1 Antwort

  1. Petra sagt:

    Hallo Lutz,
    das Buch ist wirklich sehr lesenswert … danke für die Verlinkung zum Totenhemd-Blog.

    Ich hatte mich auf eine Bank gesetzt mit dem Buch auf dem Schoß in Frankfurt Bornheim auf dem Friedhof und das Kapitel „Hecken“ aufgeschlagen. Darüber will ich bald bloggen und dann werde ich deinen Artikel gern mit verlinken.

    Vielleicht spazieren wir ja mal irgendwann zu zweit über einen Friedhof. Wer weiß.

    Herzlich. Petra

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