Auf „Heimaturlaub“ (#02): Beim Kaiser auf der Hohensyburg
Streng schauen sie auf der Hohensyburg, die Herren Helmuth von Moltke und Otto von Bismarck (s.u.), so streng, dass man als Kind eine gewisse Ehrfurcht entwickelt. Das war wohl auch beabsichtigt, und nicht nur bei den Kindern. Der Kaiser hingegen schaut fast schon milde und lächelnd hinab ins Ruhrtal, weit über die Stadt Hagen hinweg hinein bis ins Sauerland.
So konzipiert steht noch heute das 1902 errichtete Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf den Höhen des Ardeygebirges am Südrand Dortmunds in Nähe der Hohensyburg hoch über der zum Hengsteysee erweiterten Ruhr.
Ein Park, eine Minigolfanlage, Kioske, der Vincke-Turm, Aussichtsterrassen, eine uralte Kirche mit einem Friedhof drumherum. Das ist das perfekte Spaziergelände und Ausflugsziel – auch schon lange, bevor es die Spielbank und die Restaurants dort gab.
Mein Großvater, gebürtiger Dortmunder und großer Anhänger des Kaisertums war oft die treibende Kraft, wenn es darum ging, zur Hohensyburg zu fahren. Aber auch mein Vater, vor allem, wenn wir Besuch von Auswärts hatten, denen etwas gezeigt werden sollte. Denn es gibt kaum einen anderen Ort in und um Hagen, der eine so großartige Aussicht bietet und dazu soviel kostenlos besuchbares Sehenswertes. Auch wenn natürlich der Ausblick auf Hagen alles andere als die Schokoladenseite zeigt, nämlich die Industrieanlagen in Kabel am Zusammenfluss von Lenne und Ruhr.
Aber der Reihe nach.
Bei einer Reise nach Hagen statten meine Frau und ich auch der Hohensyburg einen Besuch ab. Ich lasse den Erinnerungen freien Lauf. Dazu ist es wichtig, die drei wichtigsten Stationen in der richtigen Reihenfolge abzugehen. Da es witzlos ist, Wiki-Wissen hier zu wiederholen, empfehle ich allen, die sich ausführlicher über die Geschichte und Bedeutung der Anlagen informieren wollen, den Wiki-Artikel zu lesen.
Die Syburg
Eine alte Burgruine aus der Zeit der Sachsenkriege, dahinter der Vincke-Turm, inmitten der Ruinen ein Kriegerdenkmal aus den frühen 30er Jahren.
Dem steinernen, toten und aufgebahrten Soldaten zu Füßen wacht ein flügellahmer Adler. Ich kenne ihn mit und ohne Kopf, denn der war jahrelang abgeschlagen und verschwunden. Heutzutage sitzt wieder ein Kopf auf dem Hals des Vogels, aber der Schnabel ist schon wieder demoliert. Der Flattermann aber kann sich trösten, dem Soldaten fehlt auch die Nase.
Wenige Spaziergänger sind an diesem Sonntagmorgen dort. Es gelingen viele menschenleere Fotos. So mag ich das.
Eine Renate allerdings, die mitsamt Harald durch die Ruinen schleicht, schickt sich an, mir die Fotos zu zerstören. Denn die beiden betreten ausgerechnet in dem Moment die Ruine, als ich mit Kamera die beste Position für ein Foto suche. Aufmerksam liest der Gatte, der sonst nichts merkt, die langen Namenslisten der in den Kriegen 1870/71, 1914-18 und 1939-45 gefallenen Soldaten der Gemeinde Syburg. Dann aber sieht mich die Frau und herrscht ihren Mann an, er solle jetzt mal zu ihr kommen und damit aus dem Fotomotiv verschwinden. „Jetzt komm mal da weg. Der Mann da will fotografieren. Da sind wir im Weg!“
Es gibt sie eben noch, die sensiblen Menschen, die merken, wenn sie irgendwo stören. Doch keine Renate.
Rote Herbstblätter von den neben der Ruine stehenden Bäumen liegen auf dem Sockel. Im ersten Moment könnte man meinen, irgendwer habe Rosenblüten gestreut. Aber so ist es nicht. Alles wirkt wie ein fast unwirkliches, kulissenartiges Szenario, vor allem an diesem trüben Tag. Sie wäre bestens geeignet für eine monströse Wagner-Oper.
Von der Ruine aus geht es – wie immer, wie früher – Richtung Denkmal am Vincketurm vorbei. Kann man ihn besichtigen? Besteigen? Ich habe keine Ahnung. Ich glaube es aber nicht, ich war noch nie oben.
Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal
Am westlichen Ende der Anlage erhebt sich das Kaiser-Wilhelm-Denkmal, 1902 fertiggestellt, 1935 dem Nazigeschmack angepasst und umgebaut. Gewidmet hat es – so die Inschrift – die dankbare Grafschaft Mark dem Kaiser Wilhelm I. und seinen Helden, gemeint sind die an den Seiten des Denkmals stehenden Kolossalstatuen von Moltke und Bismarck.
Es weht ein scharfer, kalter Wind, den Kaiser scheint das nicht zu stören. Irre ich mich oder war er in den 80ern Opfer diverser Farbbeutel-Anschläge? Wurden nicht von unten dem Pferd weiße, gelbe und rote Farbe entgegengeschleudert?
Wenn ja, ist davon nichts mehr zu sehen.
Eine historische Einordnung wäre heutzutage nicht schlecht – eine erklärende Tafel, die die Geschichte und die Bedeutung des Monuments über hundert Jahre nach seiner Entstehung erklärt. Gibt es so etwas? Gesehen habe ich es nicht.
Und so überlässt es die Stadt Dortmund den Besuchern, zumeist den Eltern, ihren Kindern zu erklären, wer der Mann auf dem Pferd ist und wer ihm rechts und links pickelhelmtragend zur Seite steht.
St. Peter
Ein wenig abseits steht die uralte Kirche St. Peter. „Ein Ort der Kraft,“ wie eine Frau, die zwischen den Gräbern umherstreift, meiner Frau erzählt. Man könne sie spüren, das könne man lernen. Dabei wedelt sie mit ein paar abgebrochenen Zweigen, die sie in der Armbeuge über einem Korb mit Kräutern trägt. Das Ganze hat schon wieder etwas Unwirkliches, fast könnte es eine Szene aus der britischen Krimiserie Midsomer Murders sein, bei uns bekannt als Inspector Barnaby. Es würde so gut passen. Denn nicht wenige Fälle der Serie beginnen mit Szenen auf solchen alten Friedhöfen und herumstreunenden Menschen mit leicht wirren Gedanken.
Schon sehe ich in meinem Kopfkino eine der berühmt-skurrilen Mordmethoden, danach das Flatterband, Dr. George Bullard über der kunstvoll drapierten Leiche und DCI Barnaby und DS Jones die Ermittlungen übernehmen.
Das Setting wäre perfekt.
Aber das Leben ist kein Kopfkino, zumindest meines nicht. Die Frau, erzählt, dass ihre Großeltern hier geheiratet hätten, sie käme oft hierher, um die Kraft zu spüren, die von dem Ort ausgeht. Als sie aber davon anfängt, meiner Frau zu erklären, man könne diese Lebensenergie nicht nur spüren, sie sei auch messbar und werde in Bovis-Einheiten gemessen, zögere ich, ob ich jemals googeln werde, was das eigentlich sein soll – aus lauter Angst, dass mir anschließend jede Menge esoterischer Unfug in Anzeigen in den sozialen Medien ausgespielt werden. Wer weiß: Wünschelroutengänger, Handyentstörungsaufkleber, Schlafplatzharmonisierungsmatten… vielleicht sogar Aluhüte?
Ich will nicht Teil einer Barnaby-Folge sein, in der es um all diesen Schnickschnack geht, mit dem sich nebenbei bemerkt trefflich Geld verdienen lässt.
Für mich wird Energie in Joule und Kraft in Newton gemessen und zwar nach der Formel Gewicht x Meter durch Sekunde zum Quadrat (trösten Sie sich, wenn Sie das nicht mehr wissen. Ich habe das auch gerade gegoogelt).
Merkwürdige Gestalten laufen einem über den Weg…
Meinem Bruder schicke ich per WhatsApp ein Bild, sofort erinnert er sich an die Familienfahrten zur Hohensyburg, vor allem an die eine, als wir Besuch aus Amerika hatten. Der Bruder meines Vaters war mit seiner zweiten Frau und seiner ältesten Tochter in Deutschland, natürlich wurde ihnen die Burg, das Denkmal, die Kirche und der Friedhof gezeigt. Irgendwer fand es wohl eine lustige Idee, wenn wir uns alle hinter die Grabsteine hocken und dahinter hervor linsen. So entstanden ein paar Bilder, die nicht nur furchtbar gestellt wirken sondern eigentlich auch ein wenig peinlich. Es zeugt nicht gerade von respektvollem Umgang mit Grabsteinen, selbst wenn die auf geschlossener Rasenfläche stehen, die Gräber als solche also nicht erkennbar sind. Ob wir uns wieder hinter die Steine gehockt hätten.
Solche Fotos wurden (und werden vermutlich heute immer noch) eben überall gemacht. Kinder werden auf Burgkanonen gesetzt, in Schilderhäuschen gestellt oder eben hinter Grabsteinen versteckt. Das soll wohl witzig sein. Mein Vater war ein großer Fan davon – ich fand es immer furchtbar. Wie überhaupt, inszeniert fotografiert zu werden.
Nein, haben wir nicht gemacht.
Dann lieber Statist in einer Barnaby-Folge…
Interessant und toll bebildert sind übrigens die beiden Beiträge über die Hohensyburg und den Hengsteysee sowie das Kaiser-Wilhelm-Denkmal im Blog Richards Fotoseite, auf die ich gerne hinweisen möchte.
Auf „Heimaturlaub“ in Hagen (#01): Rund um die Hasper Talsperre – (#02): Auf der Hohensyburg – (#03): Im Freilichtmuseum
Vielen Dank fürs Lesen.
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Ein schöner Bericht, vielen Dank für die Erwähnung meiner Artikel.
Tatsächlich habe ich nach mehr als 40 Jahren vor wenigen Wochen wieder mit einer früheren Schulfreundin „den Kaiser besucht“! Sicher war ich als Kind oder Jugendlicher auch einmal dort, hatte aber nur noch wenig bis keine Erinnerung. Auch – oder gerade – abends sehr beeindruckend (und erfreulich wenig frequentiert). Ich war ebenfalls verwundert, dass es dort keinerlei Hinweistafeln gibt – zum Glück konnten Smartphone und Wikipedia die Frage nach beiden anderen Herren beantworten.