Wiesn ohne Wiesn*

Nichts los auf der Wiesn ohne Wiesn*?
Dass das mitnichten der Fall ist, hat die Münchner Fotografin Ursula Zeidler dokumentiert. Zweimal habe ich die Ausstellung Münchner Freiheiten gesehen, einmal in Burghausen und einmal in München, das dazugehörige Buch ist hier vorgestellt. Zwei Jahre ist Zeidler immer wieder auf die Münchner Theresienwiese gekommen und hat fotografiert. Auch in der wiesnlosen Zeit, auch und vor allem während der Corona-Zeit mit all seinen Beschränkungen.
Etwa 42 Hektar ist das Gelände groß, eine leere, unbebaute Fläche inmitten der Stadt, eine Festwiese, nach der immer wieder Investoren die Finger ausgestreckt haben, bestes Bauland. Aber die Stadt München denkt gar nicht daran, dieses Gelände freizugeben, und es wäre vermutlich auch einer der größten Fehler, die sie machen könnte. Denn natürlich ist die Theresienwiese Ort des weltberühmten Oktoberfests, darüber hinaus aber auch des Frühlingsfests, Landwirtschaftsfest, von Wintertollwood, Zirkusgastspielen und einem der größten Flohmärkte der Stadt. Zumeist aber liegt diese Fläche zumindest auf den ersten Blick einfach nur da wie ein Stück Brachland.

Wiesn ohne Wiesn

Dass die Wiesn aber auch in der veranstaltungslosen Zeit genutzt wird, hat Zeidler in ihren Fotos gezeigt. Beispielhaft ist das auch für Berlin, wo über das Tempelhofer Feld diskutiert wird, das laut FDP-Cheflobbyist Christian Lindner sinnvollerweise zugebaut würde, aber der Mann hat immer schon die Prioritäten sehr einseitig, an den Bedürfnissen der normalen Bevölkerung vorbei und damit falsch gesetzt. Was aber ein anderes Thema ist.

Zurück also zur Wiesn ohne Wiesn.
Nach einem Termin auf der Schwanthaler Höhe und angesichts des guten Vorfrühlingwetters entscheide ich mich spontan, nun auch mal kamerabewaffnet über das Wiesngelände zu streifen, auf der Suche nach Motiven und inspiriert von den großartigen Fotos Zeidlers.
Schnell aber merke ich, dass ich mit einer Stippvisite nicht annähernd dahin komme, wohin ich möchte – und mich eigentlich die wenigen Menschen, die das Gelände an diesem frühen Mittag nutzen, gar nicht so sehr interessieren. Mich fasziniert die Leere der Fläche viel mehr.

Wiesn ohne Wiesn

Zunächst richtet sich der Blick und damit die Kamera auf die beiden markantesten Bauwerke am Rand des Areals. Da wäre zum einen die mächtige, neugotische Kirche St. Paul, in deren Turm 1960 bei dichtem Nebel ein Flugzeug krachte, ein Unglück, das 52 Menschen das Leben kostete.

Viel markanter und bekannter aber sind natürlich die Bavaria und Ruhmeshalle, die mir nach Ostern einen weiteren Besuch abnötigen, wenn beide wieder geöffnet haben. Jetzt bleibt mir nur die Außenansicht und ein paar Versuche, dem selbstbeweihräucherndem Bauwerk aus der Zeit Ludwigs I., mit dem ich nicht wirklich warm werden will, gerecht zu werden.

Und wie so oft lasse ich mich antreiben von dem schier aussichtslosen Unterfangen, das Ganze auch zumindest einmal ohne einen einzigen Menschen zu fotografieren, was mich sehr von Zeidler unterscheidet, die ganz andere Motive bevorzugt: Eben die mit Menschen.

Ja, Bilder von und mit Menschen gibt es auch, ich widerstehe auch nicht der Versuchung, die in Schwarzweiß zu konvertieren und in der digitalen Dunkelkammer an Helligkeit Kontrasten und Ausschnitten herumzuspielen.
Nach wie vor ist Schwarzweiß im Bereich Street Photography sehr häufig anzutreffen. Weil es authentischer ist? Weil es einem künstlerisch wertvoller oder ambitionierter erscheint? Weil es stärker stilisiert? Weil man so an die Tradition weltberühmter Fotografen besser anknüpfen kann?
Warum auch immer. Die Gründe mögen vielfältig sein. Die ganze Serie gibt es auch in schwarzweiß, einige Bilder gewinnen durch die Konversion, einige nicht. Nun gut, es ist ein Versuch. Also stelle ich die Menschenbilder schwarzweiß den anderen farbigen Motiven gegenüber.

Wiesn ohne Wiesn

Wiesn ohne Wiesn

Wiesn ohne Wiesn

Wiesn ohne Wiesn

In diesem Kontext kommt es mir trotzdem ein wenig zu verkünstelt und auch überambitioniert vor. Aber einen Versuch war’s wert. Wie auch den Versuch, einen Eindruck von der Wiesn ohne Wiesn im Februar zu gewinnen.

Auf dem Weg zur U-Bahn halte ich inne. Mag sein, es ist skurril, aber fasziniert schaue ich zu, wie der Wind immer wieder Blätter den Zugang hinunter weht und die Rolltreppe diese unermüdlich immer wieder nach oben transportiert. Da die Blätter es aber nicht schaffen, über die winzige Schwelle oben an der Rolltreppe zu kommen, sammeln sie sich dort, bis ein Windstoß sie wieder hinunter bläst, sie wieder hinauf befördert werden und das Ganze sich wieder und wieder wiederholt.
Warum genau finde ich das viel interessanter und beobachtenswerter als die Menschen, die vereinzelt auch die Rolltreppe hinauf kommen?

Und warum warte ich wieder auf den Moment, in dem einfach niemand die Rolltreppe rauf oder runterfährt, als ich sie benutze und fotografiere?

  • Wiesn ohne Wiesn, sinngemäß in etwa: Theresienwiese ohne Oktoberfest.

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2 Antworten

  1. Bernhard sagt:

    Du hast die WIesn ohne Fest schön beschrieben und in Szene gesetzt.

    LG Bernhard

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