Wieder am Brunnen – und am Basalt

Brunnen in Hagen

Was hat er sich nicht aufgeregt, der Herbert Peter Reuter über die Fußgängerzone in meiner alten Heimatstadt Hagen. Kaum ein Meter, der nicht direkt nach seiner etappenweisen Fertigstellung vom Leiter der Lokalredaktion der Westfalenpost in Grund und Boden geschmäht wurde. Seine Häme war riesig, seine Vorurteile aber waren es auch – vor allem auch sein mangelnder Wille, sich in irgendeiner Art und Weise zu öffnen für Ideen, für Abstraktes, für Modernes.
So war es damals kein Wunder, dass er tobte, als im Teilabschnitt zwischen Kampstraße und Karl-Marx-Straße am Adolf-Nassau-Platz ein Brunnen errichtet wurde: Vier mächtige Basaltlava-Blöcke, hoch aufgerichtet, verbunden mit Stahl, aus denen Wasser quillt, das in einen gemeinsamen Ablauf plätschert.
Von einem Ungetüm sprach er, versperrte es doch die Sichtachse nach Westen in der ansonsten ziemlich gerade verlaufenen Straße. Er verglich den Brunnen mit der Berliner Mauer, ein Schandfleck das eine wie das andere.
Er begriff nicht (oder wollte nicht begreifen), was der Recklinghäuser Künstler Klaus Noculak in Zusammenarbeit mit Eva Niestrath-Berger mit dem Brunnen zur Sprache bringen wollte. Das schwere Gestein: Basalt, dazwischen der Stahl – für Hagen typisch, verrostend mit der Zeit, wie auch die Ära der Stahlwerke sich im Ruhrgebiet dem Ende neigte.
Dazwischen die vier Flüsse: Volme und Lenne auf der einen, Ennepe auf der anderen Seite. Volme und Lenne ergießen sich in der Ruhr, die das Stadtgebiet ebenfalls durchfließt. Beide Flussmündungen auf Hagener Gebiet.
Der Reuter meinte, die Leute würden das sowieso nicht verstehen – warum also sollte er sich bemühen? Dann lieber sticheln und höhnen. Denn das konnte er perfekt.

Brunnen in Hagen

Ein Rondell aus einer Mauer mit Buschwerk, Bäumen umringt den Brunnen, dazu Bänke – eine Verweilzone zum Rasten und Reden. Und die wird oft genutzt. Knapp 40 Jahre ist es her (1983), das der Teil der Fußgängerzone eröffnet wurde. Bäume und Sträucher sind hoch gewachsen. Mal sammelt sich mehr, mal weniger Müll im Rondell. Hagen eben.
Immer wieder gab es Versuche, den Basalt anzusprühen, mit Grafittis zu versehen, der Stein ist geduldig und hart. Spuren des versuchten Vandalismus erträgt er gelassen.

Brunnen in Hagen

Noch immer hockt die Kröte auf dem Basalt. Warum auch nicht? Wo sollte sie, das metallene Tier, auch hin? Noch immer machen Eltern ihre Kinder auf die Kröte aufmerksam, noch immer sind die Kinder begeistert, manch Knirps versucht, sie kletternd zu erreichen.

Brunnen in Hagen

Und warum erzähle ich das alles?

Weil mir der Brunnen schon immer gefallen hat

Brunnen in Hagen

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Vielleicht auch, weil ich offen bin für Kunst, die den Kopf herausfordert und nicht nur nach Kriterien „gefällt mir / gefällt mir nicht“ beurteilt werden will: Sperrige Kunst, und das ist hier sogar ganz wörtlich zu verstehen.
Vielleicht, weil ich 20 Minuten an dem Brunnen verbringe, 20 Minuten, die mir die Gelegenheit geben, ihn zu betrachten. Sitzend auf den Bänken im Rondell im Schatten der Bäume richte ich die Kamera wieder und wieder auf den Brunnen, suche und entdecke Details im Basalt. Ich experimentiere mit Blenden und Belichtungszeiten wie vor einiger Zeit in Erding und warte auf meine Familie.
Das Fotografieren hier ist kein Zeitvertreib, ich muss die Zeit nicht vertreiben, rumbringen, umbringen, während ich warte.
Im Gegenteil: Ich nutze sie höchst kreativ und produktiv. So jedenfalls meine Meinung. Und ganz abgesehen davon ist es höchst kontemplativ, dem Wasser beim Fließen zuzusehen. Und wenn es nur kleine Rinnsale sind, die aus dem Brunnen austreten.
πάντα ῥεῖ (alles fließt) – Genauso ist es. „Aufhalten“ lässt sich der Fluss höchstens in einem Foto mit einer Belichtungszeit von 1/8000 Sekunden. Und genau das probiere ich. Dann verwandeln sich die Rinnsale in einzelne Tropfen, die – eine nach dem anderen – unten im Wasser aufschlagen.
Es ist mir dabei vollkommen egal, dass mich andere Menschen, die dort sitzen, völlig unverständlich beobachten und sich fragen, was ich da mache und vor allem: Warum?
Selten, dass mal irgendwo irgendwer gefragt hat – und hier schon gar nicht. Aber das finde ich persönlich auch sehr angenehm.
Der Reuter, der hätte das nicht gekonnt – einfach dasitzen, schauen, sinnieren. Immer war er in Eile, voller Energie, voller Ungeduld. Er hat etwas verpasst in seinem Leben. Die Muße.

Nachsatz: Man mag einen Brunnen als zu groß geratene Vogeltränke bezeichnen, wenn man den Sinn hinter dem ganzen nicht versteht oder verstehen will.
Das ist in der Realität sicher nicht ganz falsch, allerdings auch nicht das Schlechteste, zu was ein Brunnen nützlich sein kann: Vögeln im Stadtgebiet Wasser zu spenden.


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