Sommer: Gerumpel mit Renate

Sommer ist’s, an Weihern und Seen lagert es sich dicht. Zögerlich benimmt sich der Deutsche, wenn es um Auslandsurlaube geht, man bleibt heuer lieber daheim und Markus Söder, der bayerische Oberzuchtmeister, hat die Nation eingeladen, im schönen Bayern Urlaub zu machen.
Ist ja eigentlich egal, ob man sich am Ballermann oder am Ammersee drängt, die Bretagne oder das Oberland stürmt. Ein Finger zeigt auf Brighton und die Briten, ein weiterer auf Haffkrug und Scharbeutz an der Ostsee, wo die Strände komplett überrannt werden. Als wäre es am Chiemsee unwesentlich anders… Aber dann fließt wenigstens die Kohle in den Freisaaat statt zum Mittelmeer. A Hund is er scho, a der Söder.
Und so stopft es sich auch abseits der Urlaubsreviere im Speckgürtel Münchens mit Einheimischen voll, die keine Lust auf Tegern-, Chiem- und Ammersee haben, ist ja alles überrannt von die Preißn.
Die lokale Zeitung wird nicht müde, Geheimtipps zu verbreiten, Begehrlichkeiten nach Gewässern, die kaum einer kennt zu provozieren, auf dass es am nächsten Wochenende auch da knackig voll zugeht wie in so einem von Ausflüglern ordentlich gestürmten Gebirgsdorf. Was die Medien, die nicht unschuldig an dem ganzen sind, dann wieder eine propere Story über den Ausnahmezustand beschert. Ein mediales Loch im Sommer will eben auch gestopft werden.

Sommer, Weiher, Urlaub daheim

Irgendwas läuft mächtig falsch im Söderland, und nicht nur da.
Auch bei Renate läuft einiges schief, um endlich zum Thema zu kommen.

Die nämlich ist dieses Jahr auch weder in Prag, noch in der Toskana vor den Renaissance-Gemälden, nicht auf dem Jakobsweg in Trekkingsandalen und nicht im Biospährenreservat Carmague unterwegs. Die bleibt vorbildlich daheim, trägt zur Restabilisierung der heimischen Wirtschaft bei und lässt sich nur sehr gelegentlich in der Öffentlichkeit blicken. Überall lauern Superspreader, Hotspots, Ungemach.

Bei 30 °C aber drängt es auch Renate ins kühle Nass und so macht sie sich an einem Sonntag zum hiesigen Weiher auf. Mit zwei Schwimmnudeln sind schnell die Reviere markiert, wenn Harald schon an der Ostsee keine Sandburg um den Strandkorb bauen kann, dann muss es eben so gehen. Wehe, es kommt jemand der karogemusterten Picknickdecke oder der Kühlbox zu nahe oder lagert sich direkt daneben. Nur Freundin Heidrun darf das. Und als die beiden Ladies vom Schweiße geplagt, Erholung im kühlen Nass des Weihers suchen, paddeln sie ohne Schwimmnudeln, denn die sollen ja Bollwerke gegen ständig neu ankommende Badegäste bieten, am Kiesstrand des Weihers hin und her.

Menschen am Ufer am Weiher im Sommer

„Ich schwimme immer nur dort, wo ich stehen kann“, erklärt Renate ihrer Freundin Heidrun. Sie begründet das damit, dass sie zum einen im tiefen und vor allem trüben Wasser unsicher wird, zum anderen damit, dass „draußen das Wasser viel, viel kälter ist!“
Das ist es nicht – Renate müsste das nur einmal ausprobieren. Sicher, das Wasser am Rand ist flach und daher schneller warm. Aber die vielen Kinder, die dort toben, die Badegäste, die rein und raus laufen, wirbeln das Wasser ganz schön durch. Wirklich warm sind die Flachwasserbereiche nur dort, wo eben nicht reger Betrieb herrscht.
Das aber weiß Renate nicht, denn dort, wo kein Badebetrieb herrscht, findet man sie schließlich nicht. Nun kann jeder schwimmen, wo er will – bzw. wo sie will, also Renate.
Seit geraumer Zeit nämlich beobachtet Renate einen Schwimmer, der sich langsam aber zielstrebig auf genau diesen Uferabschnitt zubewegt. Unschwer zuerkennen, denn er schleppt eine dieser orangen Bojen mit. Nicht, weil er Angst hat im großen, tiefen Weiher, sondern ganz einfach, damit er gesehen wird. Schon manches Mal ist er mit einem manövrierunfähigem Schlauchboot zusammengestoßen, auch mit Stand-Up-Paddlern gab es schon diverse Beinahe-Zusammenstöße. Denn das Wasser ist für den Schwimmer genauso trüb, da er krault und zur Seite atmet (so macht man das) hat er nur alle paar Dutzend Züge einen Blick auf das, was vor ihm liegt und seine Bahn kreuzen könnte. Dafür schleppt er schließlich eine Boje und das Ganze klappt weidlich gut. Immer mehr Sportler nutzen diese, denn ein Zusammenstoß mit einem Board oder ein Schlag mit einem Paddel kann schon erhebliche Kopfschmerzen zur Folge haben. Da kann so ein oranges Ding echt eine große Hilfe sein.

Geduld - hilft auch nicht immer. Sommer

Renate braucht so etwas nicht, sie hat ja freies Sichtfeld. Denn Renate und Heidrun achten tunlichst darauf, dass ihr Haupthaar nicht unter Wasser gerät. Da wird auch schon mal eine Gruppe Teenager hart zurechtgewiesen. Einen Ball werfen sie sich zu, einer scheitert beim Fangen, der Ball tischt aufs Wasser, der Jugendliche wirft sich im Hechtsprung hinterher. Das verursacht Spritzwasser – so etwas mag

Renate nicht. Und Kopfunter geht grundsätzlich nicht. Das wäre schlecht für die Frisur, noch schlechter aber für die Sonnenbrillen, die die beiden tragen – natürlich Designermodelle mit Schliff. Denn ohne sind sie genauso blind wie der Schwimmer, wenn er nach unten schaut. 50 Zentimeter, danach undurchdringliche Trübnis und Verschwommenheit. Gesichert sind die Brillen nicht – ein Brillenkettchen, dass die teuren Modelle, sollten sie von der Nase fallen und zum Weihergrund sinken, sähe ja auch viel zu sehr nach Oma aus. Reicht ja, wenn sie wie eine brüstelt.

Frauen, so lernte ich Anfang des Jahres, können mit Brillen enorm eigen sein.

Es kommt, was zwangsläufig passieren muss – Murphys Gesetz will es so. Keine fünfzig Zentimeter von den Spitzen der Finger am ausgestreckten Arm nimmt der Schwimmer Renate wahr. Sie aber hat ihn schon längst auf dem Kicker.

Erschreckt zuckt er, reißt den Arm zurück und versucht, mit einer Drehung des Oberkörpers zur Seite, das Hindernis zu umschwimmen. Das klappt auch einigermaßen, wenn auch unelegant.

Da vernimmt er ihr Fauchen: „Ich hab mich schon gefragt, wann sie ausweichen oder ob Sie einen Zusammenstoß provozieren wollen!“

Natürlich wollte er nicht. Er hat sie nur eben viel zu spät gesehen, sie ihn aber schon länger.
„Sorry“ schnauft er ausatmend und speit das Weiherwasser, dass ihm dabei in den Mund gelaufen ist, gleich wieder aus.
Renate, die das nicht wahrnimmt, zetert noch ein wenig, dass es ja vollkommen nötig sei, jemandem so auf die Pelle zu rücken und ihr so die Bahn zu schneiden. Fast führt sie sich auf, als sei da Stück Ufer ihr Privatstrand, alle anderen dort ausnahmsweise geduldet aber in jedem Fall ausweichpflichtig. an sich aber ist es eine bodenlose Unverschämtheit, dass es jemand wagt, ihren – ja IHREN! – Weg zu kreuzen.
Aber insgeheim fragt der brave Schwimmer sich, warum er es eigentlich nicht hat auf einen Zusammenstoß ankommen lassen.
Einmal gehörig mit Renate zusammenrumpeln – und im schnellen Wegschwimmen noch ihre Flanke als Abstoß verwenden. Mit beiden Füßen und kraftvoll. Wie bei einer Wende am Schwimmbeckenrand.
Das wär’s. Aber das traut er sich nicht, dazu ist er einfach viel zu höflich, zu duldsam und wohlerzogen.
Denn Renate hätte schließlich genauso gut ausweichen können. Schließlich war sie es ja, die die bessere Weitsicht hatte.
Allerdings nur im wörtlichen Sinn. Aber Ausweichen ist Renates Sache nicht. Wozu auch?
„Wenn Sie so Auto fahren würden, wie sie schwimmen, wären Sie Ihren Führerschein schon lange los!“ möchte er ihr noch nachrufen. Das hat er vor einigen Jahren in einer Schwimmhalle mal einer anderen Renate vor lauter Wut gegen den Kopf geschleudert.  Es hätte fast zu einem Tumult geführt.
Genützt hat es freilich nichts – Renate ist unbelehrbar.
Dabei könnte alles so friedlich sein.
Im Sommer. Am Weiher.


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3 Antworten

  1. Wer hätte das vor einem Jahr gedacht. Wie schnell kann sich alles ändern. Es geht auch ohne Ballermann, ohne Flugzeug. Nur die Maske muß mit,
    wenn es heißt … mir reicht der Baggersee. Dort trifft man dann – Luise, Gertrud und … Renate.

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