Die totale Anarchie am Baggersee

Den Besuch am Mallertshofer See im Norden Münchens meldete und kommentierte ich im August im Netz mit meiner Freude an „ungeordneter Erholungsnutzung“

Ich liebe diese Formulierung, seit ich sie vor Kurzem gelesen habe. Ein Rathausbediensteter verwendte sie in einem Zeitungsinterview um das vollkommen entspannte und dennoch regelfreieTreiben an einer aufgelassenen Kiesgrube zu beschreiben, die demnächst wohl zu einem Naherholungsgebiet umgebaut werden soll.

Diese Formulierung ist so durch und durch amtsdeutsch, nicht nur sprachlich, sondern auch von der Denke her, die dahinter steckt.

Aber noch mehr mag ich, was sie beschreibt: Die totale Anarchie am Baggersee, dieses vollkommen regellose Miteinander, wie es am Mallertshofer aber auch am Moosacher Weiher, an der Kiesgrube des Kronthaler Werks, am Böhmerweiher sowie vielen anderen ehemaligen Kiesgruben der Fall ist:
Die einen bringen Hunde mit, die anderen nicht, die einen hüpfen mit, die anderen ohne Hüllen ins Wasser oder liegen in der Sonne. Gegrillt wird, wo man will und es die Natur ohne Feuergefahr zulässt. Einige machen, andere hören Musik. Man bringt seine Brotzeit hin und nimmt seinen Müll wieder mit. Regeln? Fehlanzeige. Und, oh Wunder! Es funktioniert aufs Vortrefflichste.

Man kickt oder kickt auch nicht, man schwimmt oder lässt es, badet, planscht oder sonnt sich nur. An einigen Weihern kann man sich auf höchst intime Genüsslichkeiten hinterm blickdichten Gebüsch freuen, so Mann oder Frau denn Bedarf danach hat. Ok, das gib es anderswo auch, nicht nur, wo ungeordnete Erholungsnutzung stattfindet.

Alles ruckelt sich irgendwann ein. Nicht immer und nicht überall gefällt allen alles, aber man gewöhnt sich daran, toleriert sich durch großzügiges Wegsehen, Weghören oder zur Not Weggehen und sich 50 Meter weiter wieder niederzulassen.
Wege gibt es keine, nur Trampelpfade, aber nichts Gekiestes oder sogar Geharktes. Keine millimetergenau geschnittenen Grasflächen mit Grillzonen, keinen Kiosk, allerdings auch keine Toiletten (was unter Umständen nicht ganz so klasse ist). Es gibt keine Parkplätze, nur wildes Abstellen der Fahrzeuge am Straßenrand. Und es gibt keine Meckerfritzen. Das ist das Beste.

Anarchie aber ist hierzulande nicht erwünscht Regelloses Verhalten? Ungeordnete Nutzung von irgendwas?
DAS! GEHT! GAR! NICHT! Wo kommen wir denn dahin?

Also greift die Kommune ein, wenn ihr nicht irgendein Fischerverein zuvorgekommen ist, den Weiher pachtet, überall „Betreten verboten“ Schilder in die Erde rammt und das Gewässer nur noch dieser einzigen Nutzung zuführt: „Angeln nur für Vereinsmitglieder“.
Übernimmt aber die Kommune das Gelände, entsteht gerne ein Naherholungsgebiet mit munter geschlungenen Pfaden, Wiesen, einem Kiosk oder Biergarten, mit Mülleimern, Bänken, Buschgruppen, Badesteg und -insel, Tischtennisplatten, manchmal einem Beachvolleyball-Feld und einem Platz zum Kicken. Selbiges bitte nur dort! Hinzu kommt eine Wasserwachtstation. Fertig ist das kleine Paradies, samt den Cherubim vor dem Tor, die peinlichst auf Einhaltung aller Regeln achten.

Und damit das so paradiesisch bleibt, lässt die Kommune Schilder mit langen Regelwerken aufstellen, was man alles darf und vor allem, was alles nicht. Meist ist es deutlich mehr, was man alles nicht darf. Gelegentlich ist sogar die Nutzung der Badeinsel im Wasser untersagt.
Mitarbeiter des Ordnungsamts patrouillieren mancherorts und sorgen für die Einhaltung der Regeln. Die Nackten hierhin, die Konfektionierten dorthin, die Hunde gar nicht, die Griller nur dort und die Bluetooth-Boxen nur auf leiseste Lautstärke. Kein Zelten, keine Wohnmobile, kein Kicken auf der Wiese, kein Kacken ins Gebüsch (ok, das braucht es wirklich nicht).
Andernfalls drohen Bußgelder. Das Ganze nennt man dann eine geordnete Erholungsnutzung im Gegensatz zur weiter oben geschilderten ungeordneten.
Von diesen Begriffen weiß ich auch erst seit ein paar Wochen.
Angesichts der Massen, die aus den Ballungsgebieten an besonders schönen Tagen diese Erholungsgebiete stürmen, und dem rücksichtlosen Verhalten so mancher Zeitgenossen geht es eben nicht anders. Schon klar.
Aber ein wenig mehr Anarchie und ungeordnete Erholungsnutzung am See oder Weiher wären vielleicht auch mal ganz nett.

Ich wäre jedenfalls bereit dafür. Aber ich will ja auch nur schwimmen. Das reicht an Erholung. Mehr suche ich nicht.


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