Als Tourist daheim (18): Die letzte Fünfer Runde, jetzt habe ich sie alle (Teil 2)

Teil 1 hier

Teil 3 hier

Während sich noch ein großer Schwung Königssee-Ausflügler:innen auf dem Weg zum Parkplatz am Jenner im Stopp and Go vorwärts bewegt, geht es für mich schon wieder zurück und weiter in meiner Fünf-Seen-Runde, ich fahre zum Hintersee.

Einer freut sich, sofort meinen freigewordenen Parkplatz übernehmen zu können und blinkt ganz aufgeregt.
Auch vom Hintersee erwarte ich eine weitere atemberaubend schöne Landschaft, oft schon habe ich Bilder von dem See gesehen. Der See ist auch ein unbedingtes Muss, auch ein Promi, allerdings ist es dort ganz anderes als am nur 12 Kilometer Luftlinie entfernten Königssee.

3. Hintersee

Schon im 19. Jahrhundert hat der See die Plein Air Maler angelockt, der bayerische Prinzregent Luitpold spazierte hier oft durch die Landschaft, heute ist er ein Ziel vor allem für Wander- und Sapziergänger:innen, Familien, die wegen des nahen Zauberwalds gekommen sind und für Fotograf:innen.
Da er anders als der Königssee nicht auf der Besuchsliste der amerikanischen und asiatischen „Europe in 10 days“-Reisegruppen steht, ist das Klientel hier ziemlich anders. Das Tal ist nicht ganz so auf Massenanstürme und Massenabfertigung ausgerichtet, was auch nicht Not tut. Hier geht alles viel, viel entschleunigter, entspannter und ruhiger zu. Hier quetscht sich nicht Souvenirbude an Souvenirbude. Zwar gibt es auf dem Malerpfad um den See auch einen, den (!) Foto-Punkt, an dem man förmlich Schlange steht, um sein Bild zu machen, aber ansonsten ist es doch sehr viel gemütlicher. Manchmal ist man bei seinem Weg sogar einen Moment ganz allein. Ob das im Sommer an einem Wochenende in der Hauptsaison auch so ist?

An dem besagten Hot Spot kann es etwas dauern, bis man zum Zuge kommt. Denn neben den Spaziergänger:innen sind auch reichlich hochambitionierte Fotograf:innen mit Kamera und Stativ angerückt. Sie warten wohl auf irgendeinen „Once in a lifetime“ Fotomoment. Das wird bestimmt ein tolles Foto, nur, dass dann eben alle das identische Motiv haben werden. Das ist ähnlich wie mit der St. Sebastian Kirche in Ramsau, an der ich auf dem Weg vorbeigekommen bin und mir fest vornehme, auf dem Rückweg zu halten, um genau das Foto zu machen, das alle machen. Auch die Kirche ist ein A-Promi.

Die modernen Fotofreunde befinden sich in bester Tradition. Den Weg um den See säumen Schilder, die auf die Landschaftsmaler der deutschen Romantik hinweisen, die in Scharen im 19. Jahrhundert hierhergekommen sind. Dort, wo sie einst ihre Staffeleien aufgebaut und den Hintersee samt der Berge ringsum auf Leinwand gebracht haben, stehen heute stabile Staffeleien aus Balken und Hinweistafeln mit Erklärungen, auf denen auch das damals gemalte Bild abgedruckt ist.
Ich kann deren Begeisterung sehr gut nachvollziehen.
Selten bin ich so langsam um ein Gewässer gewandert wie hier. Es lohnt sich, alle paar Meter stehen zu bleiben und einfach nur zu schauen.

Im vergangenen Jahr hat Freund Alex, der als Plein Air Maler mit seiner Frau die Region bewandert und war auch am Hintersee und in Ramsau, wovon er in diesem YT-Video erzählt. Irgendwie schreitet er oft per pedes die Pfade ab, die ich später wesentlich bequemer als Touri per PKW zu gleichen Zielen absolviere. Während er Berge, Seen und Kirchen auf Leinwand oder Bierfilze malt, drücke ich einfach zigmal auf den Auslöser meiner Kamera. Ich lasse mich gern von seinen Ausflügen inspirieren (wie auch den zur Disney Kapelle am Lautersee, die ich auch im Rahmen einer anderen Fünfer-Tour gesehen habe.) Ob dereinst auch für ihn am Hintersee ein Schild aufgestellt wird?

Ich mache natürlich auch ein Foto vom Hintersee mitsamt kleiner Felsinsel und Schärtenspitze und Steinberg im Hintergrund. Aber mich reizt dieses überstrapazierte Motiv eher nicht. Entsprechend lieblos fange ich es auch ein.

Viel spannender finde ich den Blick über den See auf den Hohen Göll drüben in Österreich, das Teufelshorn, den Eisberg und wie sie alle heißen… Auf diesen einen perfekten Moment warte ich gar nicht erst. Mutmaßlich kann ich dann nämlich stundenlang hier stehen und dazu habe ich gar keine Lust, Geduld oder Muße.

Mein Weg führt mich vom Parkplatz nahe dem Alpenhof einmal herum um den See, was in knapp einer Stunde erledigt sein könnte, würde ich nicht dauernd stehen bleiben. Es herrscht reger Verkehr auf dem Prinz-Luitpold-Weg, ich hatte nichts anderes erwartet, zumal der erste Parkplatz am Zauberwald bereits wegen Überfüllung gesperrt war.

Ein Badeplatz für den Sommer ist schnell erspäht. Zum Schwimmen ist der See vermutlich kein Knaller, noch dazu vermutlich ziemlich frisch, aber das wird sich später zeigen. Aber die Kulisse ist überaus famos und dann werde ich mir auch Zeit für den Zauberwald nehmen, den ich heute auslasse.

An einer flachen Stelle am Ufer hat es sich auf einer Bank eine Familie gemütlich gemacht, Oma bespaßt das Enkelkind, Vater und Opa sinnieren über den kommenden Trainer des FC Bayern bzw. wer das alles nicht werden kann oder will. Mama hat etwas Zeit für sich und jagt mit ihrem Handy einem Schmetterling hinter her. Der setzt sich immer wieder auf der Erde an die Matschlöcher, fliegt aber nervös auf, sobald Mama sich über ihn beugt. Ein Foto gelingt ihr so kaum.

„Ist das jetzt ein Falter oder ein Schmetterling“ fragt sie in die Familie, keiner antwortet. Ich, der den Schmetterling ebenfalls fotografieren möchte, allerdings auch nicht. Soll ich ihr jetzt den Unterschied zwischen Schmetterling und Falter erklären? Nö.
Sie kann das ja selbst googeln.
Das macht sie dann auch und versucht auch zu identifizieren, was sie da entdeckt hat. Aber ihr Handy hilft ihr wenig bei der Bestimmung der Art, die sie nicht kennt und ich das allererste Mal selbst in freier Natur sehe: Es ist ein Segelfalter. Nach dem Feuersalamander am Obersee nun zweites tolles Viecherl. Wie großartig.

Dank bei der Gelegenheit an Obsidentify – es ist so wichtig, die richtigen Apps auf dem Telefonino zu haben.

Weiter geht’s zurück zum Ausgangspunkt. Am Alpenhof wartet eine Sonnenterrasse und auf dieser eine kleine Mahlzeit. Immerhin ist ja schon wieder einige Zeit vergangen, seit ich bei St. Bartholomä Brotzeit gemacht habe. Außerdem:

Kuchen mit Aussicht geht immer. Den lasse ich mir dann in Form eines frischen Apfelstrudels und einer Kugel Vanilleeis servieren, dazu einen großen Milchkaffee.
Die Sonne scheint mir ins Gesicht und ins Gemüt. Ich spüre, wie mich eine große Ruhe überkommt. Einfach dasitzen reicht jetzt vollkommenaus. Keine Eile, kein Stress, keine Anspannung, keine Hektik. Mit dem Hintersee habe ich den letzten prominenten See, der mir noch fehlte fotografiert. Der frühe Start hat sich gelohnt. Was jetzt noch auf dem Zettel steht, ist das „Beiprogramm“ auf der Rückfahrt, das ich mehr oder weniger im Vorbeigehen erledigen kann.

Ich schaue auf dem Kameradisplay die Fotos durch, sinniere, was mein Favorit ist, vergleiche, was Google mir an typischen Bildern zum Hintersee zeigt und merke: Wir liegen weit auseinander. Und das ist gut so.

Intermezzo in Ramsau

Auf dem Rückweg halte ich tatsächlich in Ramsau und mache das Foto, das alle machen. Zumindest habe ich den Eindruck, dass jede/r, der hier vorbeikommt, das tut. Die Traumhaftes Bayern Facebook Gruppe ist gesteckt voll damit und die Gemeinde Ramsau knallt alle 10 Sekunden ein neues Livebild aus der Webcam auf ihre Internetseite, aus denen ich dann eine digitale Grußkarte generieren und diese in der Weltgeschichte herumschicken kann.
Also dann:
3…2…1 – fertig.

Ich könnte mein Foto auch bei Facebook hochladen und mit dem Hinweis zu versehen, das Motiv wäre zwar schon zigtausend mal gezeigt worden, aber eben noch nicht von allen, jetzt also auch von mir. Und erst wenn alle anderen über 100.000 Mitglieder das auch gemacht haben, könnten wir ja endlich St. Sebastian ad acta legen.

Das mache ich natürlich nicht, denn letztlich ist dieses Sticheln so sinn- wie witzlos.
Ich schlendere über den Weg an der Ramsauer Ache entlang, quere die Straße im Dorf und betrete den kleinen Friedhof unterhalb der Kirche.
St. Sebastian gehört ganz sicher zu den meist fotografierten und damit zu den prominentesten Sakralbauten Bayerns. Das ist allerdings weniger ihrer kunsthistorischen Bedeutung geschuldet, ihrer beeindruckenden Architektur oder dem Umstand, dass sie einen ganz besonders relevanten historischen Hintergrund aufweisen kann: Kein Wallfahrtsort, kein Gedenkort, kein Heiliger, dessen Gebeine hier angebetet werden.
Es ist eine ganz einfache Pfarrkirche in Oberbayern: Eher klein, hell getüncht, mit Zwiebelturm, innen sogar relativ bescheiden ausgestattet, zumindest im Vergleich zu anderen Kirchen mit barocker Ausstattung. Trotzdem.
Ihre Prominenz verdankt sie ihrer ungemein pittoresken Lage inmitten des kleinen Ortes im Berchtesgadener Land. Die Ramsauer Ache fließt durchs Dorf, von Dutzenden alter Holzbrücken ist sie überspannt, das Bergpanorama im Hintergrund ist beeindruckend.
Das alles reicht aus, um diese Kirche zu einer Bilderbuch Bayern Ikone zu machen. Und wie das nun mal so ist: Die Kirche muss nur oft genug gezeigt werden, dann wird sie zum Must See, dann muss jede/r dahin, um immer das gleiche Bild von immer der gleichen Stelle zu machen: Variierend nur darin, dass sie mal sommers mal winters, bei Sonne oder Schnee, bei Regen, mit Herbstlaub, in der Abendsonne, Morgenröte… wie auch immer, fotografiert wird. Das Motiv ist trotzdem immer das Gleiche: Because it’s so fucking instagramable.
Möge dieser Beitrag das Ganze noch ein wenig befeuern. Los Leute, fahrt dorthin, schaut Euch das an. Ach nee: Nicht anschauen. Foto machen reicht.

Denn ich wage zu vermuten, dass von den Tausenden, die das immer nahezu gleiche Bild ins Netz stellen, kaum jemand die Kirche betritt, geschweige den dahinter liegenden Friedhof. Beides schaue ich mir an. Als einer der wenigen, während sich unten am Foto Point wieder die Leute stauen, denn natürlich möchte jeder ein Bild maximal mit sich selbst aber ohne andere Menschen im Vordergrund.
Zwischen den Gräbern entdecke ich eine ältere Frau. Eher irritiert blickt sie mich an, während sie die Blumen auf einem Grab gießt, noch irritierter ist sie, als ich ein „Grüß Gott“ sage. Das scheint sie nicht gewohnt zu sein. Dann fotografiert er den Friedhof, wovon an anderer Stelle etwas zu lesen und zu sehen ist.
Ein asiatisches Ehepaar taucht nun auch auf dem Friedhof auf. Der Mann fotografiert seine immer wieder zwischen anderen Grabsteinen posierende Frau, ich finde das Verhalten eher unangemessen, aufdringlich und irgendwie übergriffig und ziehe ich mich in die Kirche zurück.
Die schwere Tür knarzt, als ich sie öffne, viel lauter als erwartet fällt sie wieder ins Schloss. Unangenehm laut. Ich drücke die Klinke herunter, öffne sie erneut für ein Foto, für meine Verweildauer in der Kirche lasse ich sie auch geöffnet.

Der Innenraum ist für eine Kirche aus der Barockzeit erstaunlich wenig prunkvoll ausgestaltet, eher nüchtern wirkt er auf mich, was der Schönheit der kleinen Kirche keinen Abbruch tut.


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