Was ist ein Dark Room?

Charlie, nennen wir ihn mal so, rödelt, was das Zeug hält. Die Temperatur steigt, Dampfschaden wabern durch den dunklen, mit schummrigen Rot spärlich erleuchteten Raum. Der Schweiß rinnt in Strömen. Die ersten ächzen, andere brummen wohlig. Einige Burschen quatschen lautstark und erzählen sich Dinge, die angesichts der fremden Sprache, die sie benutzen, niemand versteht. Vielleicht ist das auch besser so, das gelegentliche Lachen lässt erahnen, dass es ziemlich zotig sein muss, was sie von sich geben.
Charlie, mittlerweile mit hochrotem Kopf, schwitzt und kämpft. Aber er macht weiter. Er will, das ist sein erklärtes Ziel, mindestens einen der Buschen in die Knie zwingen, zum Aufgeben nötigen.

Es ist ein ganz normaler Sonntagnachmittag im Erdinger Schwimmbad. So ganz normal allerdings nicht, es ist der letzte Tag der Saison. Danach schließt das Hallenbad den Sommer über. Charlie gibt noch einmal alles und tatsächlich schafft er es, zwei der fünf Burschen dermaßen einzuheizen, dass sie aufgeben, aufstehen und gehen.
Mein Pech, ich sitze direkt neben der Gruppe. und mir wird es nun auch zu heiß. Als ich aufstehe und das Dampfbad verlasse, folgt Charlie mir nach. Er ist offensichtlich am Ende seiner Kräfte. Aber er hat sich eben auch richtig reingehängt.

Gerade als er hinter mir durch den Ausgang schlüpft, kommen uns ein etwa sechs- oder siebenjähriger Junge und sein Vater entgegen.
„Papa, gehn wir da rei-hei-ein,“ leiert der Kleine das Wort rein, wie es nur ein Kind machen kann, dass es gewohnt ist, wenn ihm seine Bitten öfter mal abgeschlagen werden.

„Nein“, antwortet der Vater und begründet das so, dass in mir sofort ein winzig kleiner, höllisch garstiger Teufel erwacht: „Das ist ein Dark Room.“

Dark room

Noch bevor ich den inneren Dämon an die Leine nehmen kann, schlupft mir die Bemerkung raus, dass ich sehr gespannt sei, wie der Herr Vater jetzt seinem Sohn erklären wird, was ein Dark Room ist. Das sage ich zwar zu Charlie gewandt, aber eben so laut, dass Vater und Sohn das hören können. Ich wünsche mir, dass die beiden das tatsächlich mitbekommen und der Sohn die Frage aller Fragen stellt, was das eigentlich ist. Immerhin: Das Kerlchen hat gerade mal ein oder zwei Jahre Grundschule hinter sich.
Aber noch bevor der Junge fragt, erwidert Charlie, ebenfalls unüberhörbar laut, dass das mitnichten ein Dark Room sei.
„Wäre das nämlich einer, dann wären ja drinnen alle nackig!“
Er sagt nackig, statt nackt. Dafür liebe ich ihn fast.
Gleichzeitig hat sich mein böser Dämon verkrümelt, so dass ich beschwichtigend, aber immer nur laut genug, bemerke, dass der Junge vielleicht doch etwas zu jung wäre, um zu erfahren, was denn ein Dark Room sei.
„Ach was“, erwidert Charlie, „man kann nicht früh genug anfangen, seine Kinder mit der Wirklichkeit zu konfrontieren und aufzuklären.“

Der Vater, schweigend bisher, hat längst seinen Sohn hinter sich her gezogen Richtung Dusche und Klo. Aber aus der Nummer kommt er trotzdem nicht mehr raus.
„Selbst schuld“, denke ich, „was gibst Du Deinem Bub auch so dämliche Antworten?“
Und dann kommt, laut und vernehmlich aus der Toilette samt der offenstehenden Tür die Frage vom Sohnemann: „Papa, was ist ein Daaaak Ruuuum?“

Jubelt der Dämon in mir?

Ja, laut und vernehmlich. Geschafft. Sieg durch technischen K.O.

Der Herr Vater hat sich in eine etwas blöde Situation manövriert. Zu gerne würde ich jetzt belauschen, wie er dem Sohn die dunklen Seiten promisker Sexualität erklärt, kindgerecht für einen Siebenjährigen, und möglichst zu verhindern, dass das jetzt ein ellenlanges Gespräch unter den Ohren Dritter wird, weil der Bub Fragen über Fragen hat. Zugleich muss der Vater dem Sohne klar zu machen, dass er, was er ihm jetzt erklärt hat, besser für sich behält, keinesfalls den Schulfreunden davon berichtet und noch viel weniger gegenüber von deren Eltern oder der gestrengen Frau Lehrerin von einem Dark Room erzählt, möglichst noch von dem, in den er am Wochenende nicht hineindurfte, weil der Papa das nicht wollte.

„Na ja“, nehme ich den Gesprächsfaden Richtung Charlie noch mal auf. „Schon richtig, aber für solche speziellen Themen hat es vielleicht dann doch noch etwas Zeit.“
„Ja o“, pflichtet mir Chardlie bei. „Aber spätestens mit 12, 13 wissen die doch sowieso alles.“
Ich nicke weise in bester SmallTalk Manier. „Ja, vermutlich noch viel mehr als wir Alten.“

Während ich mich verabschiede, sinniere ich, wann ich das erste Mal das Wort Dark Room gehört habe und in Erfahrung gebracht habe, was das eigentlich ist. Sicher nicht im Alter von 12 oder 13 Jahren. Vermutlich lag das auch daran, dass mein Vater solche Antworten nie gegeben hätte. Aber der wusste, als ich ein Kind war, vermutlich selbst nicht, dass es Dark Rooms überhaupt gibt. Es waren halt andere Zeiten.

Dark room

 


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