The lost place – Der Seehamer See (Challenge 2019/8)
Gibt es unter den Seen so etwas wie einen Lost Place?
Wenn ja, dann ist der Seehamer See bei Weyarn so einer. Nicht, dass nicht auf den angrenzenden Campingplätzen das Leben tobt, nicht, dass nicht die Seeterrasse des Gasthauses bevölkert wäre, nicht, dass Grabesstille über dem See liegt, dafür sorgt schon die dicht am See entlang laufende Autobahn München-Salzburg.
Trotzdem: Seit vor Jahren multiresistente Keime im Wasser gefunden wurden, weichen Naherholungssuchende wie Urlauber lieber auf andere Gewässer aus. Im und auf dem Wasser tut sich fast gar nichts mehr. Selten wagt sich jemand hinein – die Armada an Stand-Up-Paddlern, die man auf anderen Seen findet, sucht man hier vergebens.
Zumindest sehe ich nur drei oder vier an einem brütend heißen Junitag, als ich am Ufer stehe, zögerlich auf das Wasser schaue und mich frage: „Soll ich?“
Schon einmal – im vegangenen Jahr – habe ich mich abschrecken lassen, wovon hier zu lesen ist.
Und dieses Jahr?
Verführerisch liegt der See in all seiner Stille vor mir. Wäre da nicht diese klumpige Ansammlung von Schwebstoffen und Algen. Sie ist einfach, soweit ich das überblicken kann, überall, nicht nur im warmen Flachwasser.
Aber da ich nun mal da bin, da uns der Chef um 15.00 Uhr mit den Worten „Hitzefrei, Geht heim!“ aus dem Büro gescheucht hat und da ich dem See in meiner Zusammenstellung der Aufgaben explizit Genugtuung versprochen habe, steige ich über rutschiges Gestein ins Wasser. Es ist warm, fast zu warm, aber kaum, dass ich etwas tiefere Bereiche durchschwimme kühlt es deutlich ab. Blasen steigen immer wieder aus der Tiefe. Noch immer also fault die bedauernswerte Theodolinde irgendwo auf dem Grund des Sees vor sich hin und entlässt ihre Gase.
Mit jedem Zug mache ich Strecke – mir kommt es so vor, als schwimme ich hier schneller als in den Seen zuvor. Bald habe ich das dem Startplatz im Norddosten gegenüberliegende, bewaldete Ufer erreicht.
Ich folge dem Uferverlauf, umschwimme Baumleichen, quere Wasserpflanzen, die sich bei jedem Kraulzug hin und her bewegen. Die Augen sind nach unten gerichtet. Immer wieder überschwimme ich Holz, ganze Baumstümpfe ragen empor, da ist Vorsicht geboten.
Sehe ich Fische? Gar einen Süßwasserkreb?. Das wäre zu schön. Ist aber nicht so. Nur Schalen schnöder Teichmuscheln liegen unter mir im schwefelgelben Sediment.
Das Wasser ist erstaunlich klar, sieh auf den Bildern gallig grüngelb aus, was aber nicht stimmt, die Farbe rührt vom Untergrund des knapp einen Meter tiefen Uferbereichs her. Hier ist es auch wieder sehr warm. Zwei Schwäne beobachten mich, bleiben auf Distanz, wollen nicht fotografiert werden.
Bald erreiche ich die erste, die kleinste der Inseln im See. Zwischen Ufer und Insel lässt es sich nicht durchschwimmen, das Wasser ist zu flach. Also wende ich mich westwärts zu den größeren beiden, zwischen denen ich hindurch bis an den Rand der Naturschutzzone und dann parallel zur Bojenkette zum Westufer schwimmen werde. Es ist in etwa genau die gleiche Route wie bei meinem ersten Besuch des Sees.
Endlich begegne ich einem anderen Schwimmer, sehe am Ufer Kinder mit Schwimmflügeln im flachen Wasser, höre ihr Kreischen. Eine Frau auf einem Board paddelt vorbei, dann noch eine. Ich bin also doch nicht ganz allein. Aber vom rummeligen Badebetrieb, wie man es angesichts der Witterung erwarten könnte, ist nichts zu sehen. Ein Lost Place.
Wieder häufen sich die Klumpen an der Wasseroberfläche. Das ist nicht weiter schlimm, aber auch nicht unbedingt besonders reizvoll.
Rings um die westlichste Insel liegen Stämme kreuz und quer im Wasser, vor allem unterhalb der Oberfläche. Ein wenig unheimlich, ein wenig gruselig für Menschen, die dafür empfänglich sind.
Dafür ist es oberhalb der Wasserkante äußerst erbaulich, die ersten Alpengipfel spitzen in der Ferne hervor.
Hier merke ich mal wieder, wie schnell sich das Wasser an der Oberfläche aufwärmt, aber, wenn es nicht verwirbelt wird, schon dreißig Zentimeter tiefer deutlich kühler wird. Es ist ein sonderbares Empfinden, ein wenig fröstelt es mich auf der Bauchseite, derweil es an Rücken, Arme, Beine und Kopf schön warm ist.
Fast bin ich gewillt, diesem Lost Place Gewässer beim nächsten Ranking ziemlich weit oben zu platzieren. Da aber die Summe aller subjektiven Eindrücke zählt, muss ich auch diesen mit einfließen lassen:
Als ich am nächsten Morgen Badehose, UV-Shirt und Handtuch von der Leine nehme, wo sie zum Trocknen über nach Hingen, müffelt vor allem das Shirt extrem nach See und Algen.
Ich weiß, das ist Natur und das ist auch nicht weiter dramatisch. Trotzdem möchte ich den Geruch nicht schon am frühen Morgen in der Nase haben.
Natürlich hätte ich daheim das Handtuch in die Waschmaschine stopfen und Shirt und Badehose unter Leitungswasser ausspülen können. Aber: Hätte, hätte, Fahrradkette. Also Abzüge.
- Fünf neue Seen: noch 3 / noch 2 / noch 1
- Fünf Wiederentdeckungen: noch 3 / noch 2 / noch 1
- Und außerdem: Jahressoll 480 km / ein fremdes Freibad / Ranking aktualisieren / Langbürgner See / Badehosen ausmisten / Ab in die Alz / Vollmond-Schwimmen / Goldene Stunde / 100km im Freiwasser / Herbstlaubschwimmen
Erledigt:
- Fünf neue Seen: Thuner See / Tachinger See
- Fünf Wiederentdeckungen: Riemer See / Echinger See
- Und außerdem: Ein 5.000er / ein fremdes Hallenbad / Chiemsee – Ostufer / Seehamer See
Vielen Dank fürs Lesen.
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Das hat sicherlich viel Spaß gemacht und war auch erfrischend.
Ja, sowohl das eine als auch das andere.
Auch wenn die Klamotten hinterher nach „Tümpel“ müffeln.