Iiiiihh gibt es bei uns nicht!
Iiiiihh gab es bei uns nicht, als wir Kinder waren. Grundsätzlich nicht.
Meine Mutter verbat sich diese Bemerkung, ganz gleich, welches Essen auf dem Tisch stand. „Du kannst sagen, dass Du es nicht magst. Das ist in Ordnung, aber Iiiiihh gibt es hier nicht!“
Sie fand es eine kolossale Respektlosigkeit gegenüber dem, der in der Küche gestanden und das Essen zubereitet hatte, oft mit viel Arbeit und manchmal mit ebensoviel Hingabe. Also eine Respektlosigkeit gegenüber ihr. Das monierte sie vollkommen zu Recht.
„Iiiiihh!“ war allerdings auch eine Respektlosigkeit gegenüber denen, die das Essen nicht nur tapfer in sich hineinpressten sondern vor allem denen, denen es richtig gut schmeckte.
Iiiiihh gab es natürlich trotzdem, es durfte nur nicht so genannt werden. Sei es der Kolarabi (Iiiiihh), die Linsensuppe (Iiiiihh), andere Gemüseteintöpfe (Iiiiihh), die Sardellen, die mein Vater sich aus dem Glas fischte und aufs Brot legte (Iiiiihh), oder die Sardellenpaste aus der Tube (Iiiiihh). Und Iiiiihh war auch die gebratene Leber, die mein Großvater so gerne aß, meine Großmutter aber sich weigerte, auf den Tisch zu bringen, weshalb mein Opa gelegentlich von meiner Mutter zum Leber-Essen zu uns eingeladen wurde. Ohne meine Oma. Die nämlich fand das… Sie ahnen es: Iiiiihh.
Ich war und bin ein sehr heikler Esser – zugegeben. Und das mit einer bisweilen selbstschädigenden Konsequenz, in der ich kategorisch bestimmte Dinge nicht esse. Was mich heutzutage nicht davon abhält, Sterne-Küche zu genießen. Denn ich weiß: „Iiiiihh!“ kommt nirgends auf den Teller oder in das höchst liebevoll arrangierte Arrangement diverser Köstlichkeiten.
Höchstens ein „Danke nein, für mich bitte nicht!“
Gedachtes Iiiiihh gibt es in der Weltküche zuhauf. Ein höchst interessantes Fachbuch zum Thema trägt passenderweise den Titel „Igitt – Was Menschen alles essen“. Es stammt von Neil Setchfield, ist im Knesebeck-Verlag erschienen und mit etwas Glück oder Geschick antiquarisch zu beziehen. Dieses Buch vereinigt auf 238 Seiten Kulinarisches aus aller Welt, bei dem wohl nahezu jede/r von uns mit Recht „Iiiiihh!“ denkt.
Und um es gleich zu sagen, es sind auch Gerichte der Europäischen Küche dabei, auch der deutschen.
Denken kann jeder, was er will – aber einen Koch, eine Küche oder einen Gourmet mit einem „Iiiiihh!“ herabzuwürdigen, weil die eigenen Essgewohnheiten, Nahrungstabus, Erziehung, soziokulturelle Prägung usw. oder einfach nur der Geschmack etwas eklig finden, was andere mit Hingabe verzehren: Ich weiß nicht, ob das eine angemessene Reaktion ist.
Als ich im Sommer (oder den paar Tagen, die wir dafür hielten) ein Foto einer Schale Freibad-Pommes bei Facebook hochlud, begegnete mir sehr viel Sympathie und Verständnis für dieses außerordentliche Gericht, das eigentlich nicht wirklich lecker ist, es sei denn, man sitzt vor dem Kiosk im Freibad. Zeit wurde es, dem ein öffentliches Bekenntnis anzuhängen. Freibad Pommes – Eine längst überfällige Liebeserklärung.
Aber damals gab es auch einen Kommentar, der mir diese Zeilen hier abverlangt hat: Iiiiihh. Mehr nicht.
Darum wiederhole ich es gerne noch einmal:
„Du kannst sagen, dass Du es nicht magst. Das ist in Ordnung, aber Iiiiihh gibt es hier nicht!“
Also ran an die Fritten. Oder die Austern.
Vielen Dank fürs Lesen.
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Ein schöner Beitrag mit viel Respekt zum Essen. Man schaue sich nur die täglichen Beiträge, in den Medien, zum Thema Nahrung und Hunger an. Dann im Gegensatz wieviel Nahrung hier weggeworfen wird. Viele sollten sich schämen.
LG und schönes WE.
Dein Beitrag gefällt mir sehr gut 👍
So war es auch bei uns.
Liebe Grüße Brigitte