Am Höglinger Weiher in den Tagen der Entscheidungslosigkeit
Es sind diese Tage der Entscheidungslosigkeit, die einen ein wenig ratlos machen. Der Kalender kann sich nicht entscheiden, ob er nun Spätsommer oder Frühherbst heißen will. Demzufolge kann sich auch das Wetter nicht entscheiden. Es regnet, dann wieder nicht, das Thermometer klettert auf 25° C, dann wieder stoppt es bei 14 °C. Fenster auf – Fenster zu. T-Shirt oder Pullover, lange oder kurze Hose.
So sitze ich an einem freien Freitag morgens da, schaue nach draußen und grüble, ob der Hochnebel nun verschwindet oder nicht. Und wenn er das tut, fahr ich an einen See oder zum letzten Wochenende ins Erdinger Freibad. Und wenn der Hochnebel nicht verschwindet?
Und wenn ich an einen See fahre, dann an welchen?
Es gäbe noch immer so viele, die ich nicht kenne aber auch immer etwa zwei Dutzend, die ich erst zweimal besucht habe.
Schließlich: Ich kann ja nicht ewig warten und zögern. Also schnappe ich mir die Schwimmsachen, werfe sie ins Auto und will schon los, da fällt mir ein, es wäre vielleicht besser, mal für alle Fälle den Neoprenanzug mitzunehmen.
Irgendwer raunte im Netz etwas von 19 °C Wassertemperatur im Ammersee. Da will ich zwar jetzt nicht hin, aber andernorts wird es wahrscheinlich nicht viel wärmer sein. Immerhin gehört der Ammersee eher zu den Warmbadewannen des Alpenvorlandes als zu den Eisbechern.
Fahr ich nach Süden? Da ist es noch immer wolkig. Nach Osten?
Die Wahl fällt letztlich auf Süden und den Höglinger Weiher bei Bruckmühl, den kenne ich noch nicht. Mehrfach aber ist er mir in den vergangenen Wochen nahe gelegt worden. Jahrelang hörte ich nie etwas davon, nun aber mehren sich Meldungen von Leuten, die dort schwimmen waren oder regelmäßig gehen. Vielleicht ist das nur eine subjektive Wahrnehmung, wenn man mal einen See oder Weiher im Hinterkopf abspeichert, dann fällt einem plötzlich auf, dass andere den kennen und Stammgast dort sind. Vorher war es ein einfaches „Nie gehört!“ Das ändere ich jetzt ganz furchtbar spontan.
Als ich ankomme, sind die Wolken zwar noch nicht verschwunden, aber nur noch locker, weiß-blaues Bayernhimmelwetter. Ich nehme meine Schwimmsachen und stapfe vom Parkplatz zum Ufer über die menschenleere Liegewiese, um mir zunächst einen kleinen Überblick zu verschaffen.
Eine Gruppe Senioren und Seniorinnen schwimmt gemütlich zum Geländer am Ausstieg. Also ist da doch jemand.
Ein paar Schritte können nicht schaden. Also schlendere ich los und schaue mich um.
Als ich zurückkomme, haben die Leutchen das Wasser verlassen, sind bereits abgetrocknet und umgezogen, stehen da und ratschen, können sich aber nicht voneinander trennen, aber es hetzt sie ja auch niemand.
„Wollen Sie nicht schwimmen gehen?“ fragt mich eine der Frauen und versichert, wie herrlich es im Wasser sei. „Aber schon ganz schön kühl!“
„Doch, doch“, erwidere ich, „dafür bin ich ja hergekommen.“
Ich erkundige mich, wie kalt das Wasser ist. Das weiß niemand so genau. Ein Mann meint 20 °C vielleicht, eine andere Frau merkt an: „Jedenfalls nicht so kalt, dass man erfriert. Wie Sie sehen: Wir leben ja noch!“
Ich bedanke und verabschiede mich. Die Leutchen nehmen das zum Anlass sich nun endlich auf den Heimweg zu begeben. Als ich mich umziehe, fällt mir ein, es wäre vielleicht besser, die Boje umzuschnallen.
Also laufe ich nochmal zum Auto in Jammer-Badehose, hole die Boje und stehe ein paar Minuten später wieder am Ufer. Rein?
Klar. Trotzdem zögere ich.
Eine Brise weht plötzlich kalten Wind heran, die Sonne ist hinter einer Wolke. Das Schilf wogt, der Herbst ist da.
Also wiedee zurück zum Auto, den Neo holen.
Die Badehose wechseln, im Neo nur altes Zeugs. Dann den Neo anziehen? Es ist nur keiner da, der den Rückenreißverschluss schließen könnte. Das ist jetzt blöd.
Aber der Wind hat wieder ausgesetzt, die Sonne strahlt, es ist warm.
Der Sommer ist plötzlich noch einmal da, der Neo bleibt aus. Zum Auto bringe ich ihn jetzt allerdings nicht mehr. Auch die olle Badebuxe bleibt an, es ist eh niemand da, den das interessieren könnte, wobei es ja prinzipiell niemanden etwas angeht, in welcher Badehose ich wann und wo ins Wasser steige, so lange sie all das bedeckt, was ich nicht der Öffentlichkeit zeigen sollte.
Ab jetzt ins Wasser. Schluss mit dem ganzen Hin und Her. Ich habe viel zu lange gezögert.
In der Tat ist es nicht so kalt, wie ich befürchtet hatte.
Was den Högliner Weiher reizvoll macht, ist, dass er aus mehreren ehemaligen Kiesgruben besteht, entsprechend verbuchtelt ist und eine weitere Grube wird sicher noch dazu kommen. Man kann schon direkt neben der Baywatch-Wasserwacht hineinschwimmen.
Mach ich aber nicht. Ich quere den Weiher bis zum hintersten Eck, bleibe immer in Ufernähe, da ist das Wasser wärmer. Denn mit der Zeit ist es schon ein wenig frischlich.
Der Höglinger Weiher beweist wieder mal: Kennst Du eine Kiesgrube, kennst Du noch lange nicht alle anderen. Denn jede hat ihren ganz individuellen Charakter und Charme, ob nun mit angelegtem Naherholungsbereich, Liegewiese, Spielplatz und Gedöns oder sich selbst und damit der ungeordneten Erholungsnutzung überlassen.
Diesen hier werde ich ganz sicher noch einmal ausgiebiger erkunden, da war ich sicher nicht das letzte Mal.
Lange her, dass ich im Wasser ein Selfie gemacht habe – ok heute mal wieder eines im Höglinger. Wenigstens das ist schnell entschieden.
Als ich den Weiher verlassen habe, ist es so warm, dass ich mich ärgere, keine kurze Hose sondern einen wärmenden Pullover mitgenommen zu haben. Eine falsche Entscheidung – obwohl ich doch intensiv hin und her überlegt hatte.
Aber ich habe ja noch die Jammer, die könnte auch als Radlerhose ohne Polster durchgehen. In der also spaziere ich ein wenig am Ufer entlang, bevor ich den Heimweg antreten werde. In Badehose dann nach Hause fahren? Warum nicht? Ist ja auch nicht das erste Mal und auch das bekommt ja niemand mit.
Eine fette Raupe eines Weidenbohrers quert meinen kleinen Spazierweg – zügig kriecht sie von einer Weide zur Nächsten. Kiesgrubenufer mit Ruderalpflanzen sind für sie sicher ein Eldorado, wachsen doch Weiden hier in großer Zahl. Warum haben eigentlich die unscheinbarsten Schmetterlinge die schönsten Raupen und warum die schönsten Schmetterlinge oft so unattraktive Raupen?
Gute Frage, oder?
Der Weidenbohrerraupe ist diese Frage wurscht. Sie denkt nur ans Fressen. Vermutlich weiß sie vor lauter Nahrungsüberangebot allerdings nicht, in welche Weide sie sich als Nächstes bohren soll.
Immer diese Qual der Wahl, immer diese Entscheidungen…
Vielen Dank fürs Lesen.
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