Geplauder am Weitsee bei Schnaitsee

Ob ich tauchen war, will der alte Mann wissen, nachdem er mich mit einem freundlichen „Grias Di!“ begrüßt hat. Und schon geht das Geplauder los.
Seine gefühlt ebenso alte Hundedame Trixie schnüffelt kurz an meinen nackten Füßen, dann wackelt sie davon. Ich sitze am Weitsee bei Schnaitsee in der Sonne. 23 °C hat es, nach dem Schwimmen kann ich mich gut aufwärmen.

Gemessene 13° C Wassertemperatur haben mich für eine ausgiebige Runde in den Neo genötigt. Andere (zwei) schwimmen ohne. Aber eben nur einmal kurz hin zum Sprungturm und dann in einer Kurve zurück. Einsam steht das Stahlgestell auf seinem Plateau im Wasser, wer sollte es auch noch Ende Oktober nutzen?

Ich erkläre dem Mann, der mich angesprochen hat, dass ich schwimmen war, etwas länger, daher der Neo. Er nickt interessiert. Wir kommen auf das ungewöhnlich warme Spätoktoberwetter zu sprechen, ich erwähne, dass mir gerade erst ein Foto in die Hand gefallen ist, dass am gleichen Tag vor zehn Jahren aufgenommen wurde. Es zeigt Schnee in München am Prinzregententheater.
„Ja,“ nickt er. „Solche Winter gab es früher öfter. Da gab es auch mal einen…“ Er kommt ins Grübeln, meint, dass es in den 70ern gewesen sein muss, damals, als er noch die Landwirtschaft hatte. Sie hatten zu Bauen begonnen, der Kälteeinbruch legte die Baustelle einen Monat still. Er erzählt von früher und ist offenbar froh, dass ihm einer zuhört und Stichwörter gibt.
Meine Sache ist das ja nicht, vor oder nach dem Schwimmen von fremden Leuten in Gespräche verwickelt zu werden. Aber dieses ist anders. Der Mann ist froh, dass ihm jemand zuhört. Wir sprechen über den trockenen Sommer, vom verdorrten Mais, den er in Württemberg gesehen hat, vom Regen im September, vom viel zu niedrigen Grundwasser, vom Klimawandel und von der Donau, die er doch so gern noch mal befahren würde.
Eigentlich aber ist er es, der spricht. Ich höre nur zu. Wie selbstverständlich duzt er mich und ich ihn. Das ist eben so auf dem Land.

„Weißt,“ meint er plötzlich unvermittelt. „Es is a rechter Scheiß, wenn man allein is!“ Noch bevor ich nachfragen kann, erzählt er von seiner Frau, die seit einigen Monaten im Heim ist. „Schlaganfall! Ganz schlimm.“
Mir bleibt nichts, als zu nicken. Da klopft er mit seinem Gehstock leicht auf sein Knie. „Das will auch nicht mehr so. Mei, wie an altes Auto! Da geht auch allerweil was dahin!“
„Ja, das stimmt!“ erwidere ich. „Aber beim Auto lässt sich manches reparieren. Man auch Teile austauschen!“
„Naaa, beim Auto schon, bei mir ned!“ Er ist 84, will sich auf keinen Fall mehr operieren lassen, er kennt Jüngere, bei denen die Knieoperation daneben gegangen ist. Das will er nicht riskieren, dann lieber mit Spazierstock.  Wie zur Bestätigung des Ganzen hebt der den Stock etwas an. Es ist ein alter Rundhakenstock, mit dessen Spitze er jetzt das Herbstlaub ein wenig hin und her schiebt. So, als suche er etwas darin.
Der Hund schaut auf.
„Ja, Trixie, glei gemma weida!“ ruft er dem Hund zu, der er es sich längst gemütlich gemacht hat in der Sonne.

Geplauder am Weitsee bei Schnaitsee

„Von Schnaitsee bist aber ned, oda?“ fragt er und ich antworte. „Nein, aus Erding!“ Das stimmt zwar nicht so ganz, aber mit Erding kann jeder hier in der Region was anfangen, weiß zumindest ungefähr, wo das ist. Anders als bei unserem Dorfnamen.
„Ah, Ading!“ nickt er anerkennend und erzählt, dass er dort zur Lehre gegangen ist. Auf einem Geflügelhof, den es längst nicht mehr gibt. Aber vielleicht fährt er noch mal hin, schaut sich die Stadt noch mal an. das Gasthof zur Post, wo sie immer Mittag gegessen haben. Da, wo der Barras war, wo die Amerikaner…

Viel wird er vom alten Erding nicht mehr wiedererkennen, merke ich an. „Der Flughafen hat alles kolossal verändert.“  Aber das weiß er selbst. Er kramt in den Erinnerungen, ich sitze in der Sonne und muss daran denken, wie anders das ist, wenn man hier, irgendwo fern der Stadt mit fremden Menschen redet. Nicht immer ganz leicht, alles zu verstehen, der Dialekt ist schon heftig, die Hinweise auf Dörfer und Weiler lassen sich oft nicht einordnen. Aber trotzdem. Es ist irgendwie schön.Mir fallen die Gestalten am Deininger ein, an dem ich exakt eine Woche vorher war. Aufgeblasene Wichtigtuer, Schwätzer, Großkopferte. Im Anschluss habe ich ein wenig mit anderen darüber diskutiert, wie das so ist, wenn man vor oder nach dem Schwimmen in Gespräche verwickelt wird. Einige mögen das andere nicht. Ich zum Beispiel kann dem wenig abgewinnen. Aber heute ist es anders.
Ich unterhalte mich mit einem alten Mann, einem Bauer, der was zu erzählen hat, der froh ist, in der Herbstsonne einen Ratsch halten zu können. Mehrmals verspricht er Trixie, gleich weiterzugehen, macht aber keine Anstalten.  Offenbar tut es ihm gut, noch nicht zum Auto zurückzukehren und heim zu fahren.

Geplauder am Weitsee bei Schnaitsee
Dass er mit dem Auto herkommt, ist ihm irgendwie etwas unangenehm. Wo er doch früher zweimal von Schnaitsee aus nach Erding mit dem Fahrrad gefahren ist. Nicht etwa mit dem Motorradl, das hätt er gern gehabt, aber dafür langte das Geld nicht. Ich nehme mir vor, daheim mal zu schauen, wie weit das ist (zwischen 55 und 60 km – je nach Strecke, Fahrzeit etwa dreieinhalb Stunden).
Aber jetzt fährt er selbst die kurze Strecke zum See. „Weißt, da brauch I nachher nimma übern Buckl.“ Er deutet wieder aufs Knie, die Anhöhe hinauf nach Schnaitsee kann er sich so sparen. Dazu hat er alles Recht dieser Welt.

Geplauder am Weitsee bei Schnaitsee

Es ist nicht der erste, der mich an diesem Tag an dem kleinen See anspricht.
Als ich vor dem Schwimmen mit der Kamera den See vors Objektiv nehme, fragt mich eine Frau, die in der Sonne sitzt mit einer Mischung aus Stolz und Sorge, ob ich die Fotos für die Zeitung mache.
„Ist schon schön hier!“ will sie von mir bestätigt wissen, stolz ist sie, den kleinen See  quasi vor der Haustür zu haben.
„Es kommt halt keiner her, keine Urlauber, nur Leute von hier! Da braucht man gar nicht zum Chiemsee zu fahren! Da ist eh alles überlaufen.“
Ich bestätige, dass ich die Bilder nur privat mache, vielleicht erscheint aber später mal eines in einem Buch.
Das beruhigt sie, denn sie möchte natürlich nicht, dass von diesem schönen See irgendetwas zu lesen ist. „Nachher kommen dann alle! Und dann ist es vorbei mit der Ruhe“

Geplauder am Weitsee bei Schnaitsee
Das kann ich nachvollziehen, aber vielleicht irrt die Frau ein wenig, wie groß die Medienwirksamkeit einer Zeitung heute ist, wenn es darum geht, Leute an bestimmte Orte zu locken. Viel gefährlicher ist es, solche verschwiegenen Plätze bei Instagram rauszuposaunen, wenn man einen Massenaccount hat. Aber das mache ich ja nicht. Nur hier im Blog, da sind wir schließlich unter uns…

Geplauder am Weitsee bei Schnaitsee


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