Für ein paar Euro „Bella Ciao“

Heute vor einem Jahr überfiel Russland seinen Nachbarn, die Ukraine, mit Krieg, mit Bomben und Terror, Folter, Vergewaltigungen, Verschleppungen und Tod. Das Leben in Europa hat seitdem eine andere Richtung genommen. Das Vertrauen in den Frieden durch starke wirtschaftliche Verflechtungen ist ebenso dahin wie das Vertrauen in die Vernunft von Staatslenkern.
Wieder strömen Flüchtlinge zu Tausenden in unser Land, wieder fühlt sich der rechte Rand gemüßigt, Das Boot ist voll zu krakeelen. Die Energiepreise und Lebenshaltungskosten explodieren, nicht selten steckt bloße Gewinnmaximierung der Unternehmen dahinter.
Derweil fallen in der Ukraine weiter Bomben, wird um Waffenlieferungen diskutiert und gestritten, droht die russische Regierung mal mehr mal weniger unverhohlen dem Westen und all das veranlasst die Medien zu immer neuen, bisweilen mächtig absurden Meldungen und Schlagzeilen, die bestens geeignet sind, Kriegsangst zu schüren. Denn die Medien, wer wüsste es nicht?, leben davon, Horrormeldungen zu verbreiten.

Es ist kein Geheimnis und regelmäßige Blogbesucher wie auch Leute, die mich kennen, wissen, dass ich ein Faible für das Lied Bella Ciao habe. So gibt es zum Beispiel eine Spotify Playlist, in die ich jede Fassung, die mir gefällt, einsortiere: Von Wader bis Waits, von Milva bis Bregovic, von Montand bis zu Pollina/Schmidtbauer/Kälberer. Nicht jede Fassung wird dort aufgenommen, denn einige nerven mich kolossal, vor allem die, die aus dem Song einen Partyhit gemacht haben.
Aber darum soll es hier gar nicht gehen.
Meine Erinnerungen reichen zurück ins Jahr 2010 als wir auf Korsika waren und ich vollkommen fasziniert einer Straßenmusikerin in L’Ile Rousse zuhörte, die Bella Ciao durchs Akkordeon jagte.
Sie war die erste, die nur für dieses eine Stück, das sie spielte, ein paar Münzen in den Instrumentenkoffer bekam. Weil sie es spielte, genau das.
Es blieb nicht dabei.

Bella Ciao in München

Wann immer ich Straßenmusiker sehe, was nicht allzu oft vorkommt, denn ich lebe auf dem Land, die Bella Ciao spielen, geht erst mein Herz und dann mein Portemonnaie auf. Ich bleibe einen Moment stehen, lausche und freue mich.

Nicht nur, aber auch, weil ich dieses Lied liebe, obwohl es musikalisch eigentlich nicht besonders raffiniert ist, was es dann aber wieder einfacher macht, es in unendlich vielen Versionen zu interpretieren. Es hat das Zeug zum Gassenhauer, zum Mitsingen oder Mitklatschen, und ist doch ein Lied, das eine immense politische Aussagekraft besitzt, ob nun in der alten und ursprünglichen Textversion oder der neueren. Sei es, dass die harte Arbeit auf den Reisfeldern besungen wird, sei es das Partisanenlied aus dem Zweiten Weltkrieg, sei es die ukrainische Version aus einer Befestigungsanlage gesungen. Welch ein gesungener Widerstand gegen den kriegerischen Überfall Russlands.
Bella Ciao verstand sich immer als die Hymne der Guten, zumindest, wenn es im Wissen um seine Bedeutung gesungen oder gespielt wird.

Und das kann man nicht oft genug machen. Auch oder vor allem im öffentlichen Raum. Ein Lied kann keinen Krieg stoppen, verhindert keine Gewalt, keine Raserei. Aber ein Lied kann ein Herz erwärmen und daran erinnern, für was es schlagen sollte.

Also bekommt auch der Straßenmusiker in Paphos auf Zypern seinen Obolus für seine hinreißend gefiedelte Version, die mich aufhorchen lässt, als wir durch die zyprische Stadt bummeln. Er legt sein Instrument über die Fassung von Goran Bregovic, die aus seiner Box tönt und hinüber in die mittelalterliche Befestigungsanlage schallt. Kurz schaut er auf, lächelt, nickt mir ein „Danke zu“ während der Geigenbogen ohne Unterbrechung über die Saiten saust.

Bella Ciao auf Zypern

Gern habe ich ihm Geld gegeben. Weil er es verdient hat, und es mir gut tut!
Einmal mehr nehme ich mir vor, jedem Straßenmusikantin und jedem Straßenmusikanten, die Bella Ciao singen oder spielen, Geld dafür zu geben. Ab jetzt ganz bestimmt.

Tutte le genti che passeranno,
Mi diranno che bel fior!


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2 Antworten

  1. Ein wunderschönes Lied, das ich oft auf irgendwelchen Festen zur Gitarre in italienisch oder auch in Deutsch gespielt und gesungen habe. Sehr gut erinnere ich mich an einen Abend auf einem Campingplatz in Volterra. Ich bin eine Woche lang zu Fuß durch die Toskana gewandert und kam abends mit Rucksack auf besagtem Campingplatz an als ich eine Gruppe junger Italiener traf, die gerade dabei waren Bella Ciao anzustimmen. Noch mit dem Gepäck auf den Schultern stimmte ich ein. ;-)
    https://www.czyslansky.net/wp-content/uploads/2023/02/Bella-Ciao-scaled.jpg

  2. Piet sagt:

    Von Talco gibt es eine Ska-Punk Version, die ich live zum ersten mal auf dem Jahrhundertkonzert am Millerntor gesehen habe. Hundert Jahre St. Pauli, Aufstiegssaison, 2010. Ich liebe diese Version, weil sie das Lebensgefühl dieser Zeit, die Kraft, die Energie, die Entschlossenheit, aber auch die Lust und die Freude ausdrückt, die dieses Viertel und seinen Verein ausmachen.

    https://m.youtube.com/watch?v=vl9XCaK3FkU

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