Ein Besuch in der KZ Gedenkstätte Dachau

Heute vor 78 Jahren befreite die 7. US Armee das Konzentrationslager Dachau. Damit endete ein kaum vorstellbares Kapitel des Grauens, der Brutalität, Menschenverachtung, der Morde und Kriegsverbrechen, die die Deutschen während dieser Zeit begangen haben. Es gilt, sich daran zu erinnern – nicht, um Verantwortung zu übernehmen für das, was war, das können und müssen wir Nachgeborenen nicht, wie es Max Mannheimer so trefflich formulierte. Aber die besondere Verantwortung, dass dies sich in unserem Land niemals wiederholt.

Es gibt wohl wenig Orte auf der Welt, die so eindringlich für das Grauen wie gleichermaßen das Böse stehen, wie die Konzentrationslager der Nationalsozialisten während des Dritten Reiches.
Wer heute Gedenkstätten besucht, die auf dem Gelände eines solchen Lagers errichtet wurden, der tut dies mit einer großen zeitlichen Distanz. Im März, auf den Tag genau vor 90 Jahren, an dem die Bilder für diesen Beitrag standen, wurden die ersten Gefangenen nach Dachau gebracht, 12 Jahre später wurde das Lager von der amerikanischen Armee befreit. Dazwischen liegt ein Alptraum für Tausende von Menschen, ein Alptraum, den rund 41.500 Menschen nicht überleben. So hoch ist etwa die Zahl der dort Ermordeten. Die Geschichte und die Geschehnisse dort sind dokumentiert und unter anderem auf der Webseite der KZ Gedenkstätte nachzulesen. Es ist also nicht notwendig, dies hier zu wiederholen.

Warum nach Dachau?
Es ist knapp 40 Jahre her, dass ich das erste und das einzige Mal die Gedenkstätte besucht habe. Es verlangt dringend nach einer Auffrischung. Ein Besuch eines solchen Ortes stärkt außerdem die Abwehrkräfte gegen jedwede Form von Faschismus, Rassismus und Antisemitismus. Es schärft nicht nur das politische Bewusstsein sondern auch die eigene Position. Meine.
Anfang März besuchte ich den Mühldofer Hart, eines der Außenlager des KZs Dachau. Davon ist hier zu lesen. Der Besuch war nicht nur aufwühlend, er führte auch zu einigen Diskussionen im sozialen Netz, als ich dort die Bilder aus der Hart und den Link in meine Beitragsserie veröffentlichte. Diskussionen, auf die ich in diesem Nachtrag reagierte. Allein die Belehrung, wo das Thema KZ hinpasst und wo nicht, macht mich bockig.
Aber es gibt noch einen weiteren Grund: Ein Kommentar von Oli zum Beitrag über das Massengrab im Hart macht mich sehr nachdenklich. Es geht um die Scheu, sich an solchen Orten mit der Kamera zu bewegen, weil diese Orte es dem Fotografen nicht leicht machen, sie sind zu intim, was ich als zu beklemmend und zu persönlich übersetzen möchte, als Orte, die einen immens sensiblen Umgang und ein entsprechendes Verhalten verlangen, auch kann die Betroffenheit der Besucher, das Aufgewühltsein dem Fotografen schwer zu schaffen machen. Das sind Gedanken, die ich sehr gut nachvollziehen kann.

Trotzdem
wage ich es. Ich fahre hin, und das gleich zweimal innerhalb kurzer Zeit. Das erste Mal allein, bei diesem Besuch möchte diesen Ort auf mich wirken lassen und in Bilder bringen, in Fotos, die ich unter anderem hier zeigen möchte.
Ich weiß aus einigen Erfahrungen, dass mich die Kamera schnell auf eine große Distanz bringt. Es hilft, meinen Blick wie auch meine Gedanken schweifen zu lassen, die fürchterliche Banalität des Bösen, wie Hannah Arendt es angesichts der Eichmann Prozesse einst formulierte, auch hier zu erkennen. Ich suche nicht nach dem möglichst „spektakulären“ Motiv, nicht nach verstörenden Bildern, es käme mir falsch vor. Einen Moment überlege ich sogar, ob man Dachau auch ohne Stacheldraht zeigen könnte; schon, um nicht wieder ein Klischee zu bemühen, schon, um nicht auch über eine Symbolisierung und Ästhetisierung der Motive in der Fotografie das Furchtbare des KZs zu mindern. Denn es besteht meiner Meinung nach durchaus die Gefahr, dass eine bestimmte Art der Fotografuäie das grauenhafte Geschehen vor 80 Jahren abmildern, relativieren, die Wirklichkeit verzerren, fast verkitschen könnte. Dann besser kein Stacheldraht?
Doch. Denn es ist kein Klischee, es war brutale Wirklichkeit. Und kaum ein Symbol könnte stärker sein für eingesperrte Menschen als Stacheldraht.

Ja, es gibt natürlich auch die Handyfotografen, die alles und jedes schnell ablichten – erstaunlicherweise aber nur wenige dabei sich selbst.
Die ganze Zeit auf dem Gelände, auch in der Nähe vieler Schulklassen, wagt kaum einer in Selfie oder lässt sich von einem Anderen fotografieren. Ja, es kommt vor, dass sich jemand vor das große Mahnmal stellt und sich fotografieren lässt. Aber das machen weitaus weniger als von mir erwartet. Dachau ist eben kein exotischer Ort, um sich selbst stolz zu präsentieren, dass man dort gewesen ist . Nichts, womit man glänzen kann.

Der mahnende in einen Stein gravierte Satz Denket daran wie wir hier starben verfehlt seine Wirkung nicht.

Die Menschen bewegen sich erstaunlich leise übers Gelände, selten ist mein Verhalten mehr von dem geprägt, als Fotograf gar nicht erst wahrgenommen werden zu wollen, nicht störend zu wirken, als hier. Und gleichzeitig gebe ich mir die Mühe größtmöglicher Professionalität, um gar nicht erst wie ein Schnappschuss-Tourist zu wirken. Aber die gibt es hier sowieso kaum. Spätestens beim etwas abseits gelegenen Krematorium und der Gaskammer ist ein äußerst sensibler Umgang bei allen, die eine Kamera in der Hand haben, zu spüren.
Fotografieren ist im Gebäude verboten, ein Hinweisschild dazu gibt es nicht, davon lese ich erst sehr viel später auf der Webseite. Aber da ist es schon zu spät, da sind bereits Bilder gemacht.

Was nicht geht
Ich sortiere diese Bilder wieder aus, zeige sie hier nicht, denn ich verstehe das Ansinnen, dass dahinter steckt. Es ist zutiefst beklemmend, in einem Raum zu stehen, in dem vor 80 Jahren tausende Menschen ermordet wurden, wenn auch nicht in den Dimensionen der Vernichtungslager wie Auschwitz, so wurden doch auch hier Menschen in ein „Brausebad“ geführt, vermeintliche Duschköpfe unter der Decke sollten sie beschwichtigen, dass sie sich nicht weigern, den Raum zu betreten. Welch Perfidie.

Und gleich nebenan standen die Öfen bereit. Es ist kaum zu beschreiben, wie sehr mich auch die Obszönität wie auch Banalität dieser hemmungslosen Brutalität irritiert, um noch einmal auf Hannah Arendt zurückzukommen. Ich bringe nicht zusammen, wie Menschen ohne mit der Wimper zu zucken, zu solchen Taten fähig sind. Vielleicht ist es wirklich besser, dass in diesem Raum nicht fotografiert werden darf, obwohl es eigentlich gar nichts zu sehen gibt, er ist in all seiner Furchtbarkeit unspektakulär.
Aber das Wissen abzurufen, genau dort zu stehen, wo vor 80 Jahren tausende von Menschen grausamst ermordet wurden und die Bilder im Kopf, wie man sie von historischen Dokumenten kennt und die Schilderungen von Menschen, die den Todeskampf in den Gaskammern durch Gucklöcher beobachtet haben oder Leichen hinterher aus den Kammern holen mussten, lösen Fassungslosigkeit aus. Draußen vor dem Gebäude sehen Bänke, es tut gut, sich nach der Besichtigung einen Moment hinzusetzen und in den blauen Himmel zu schauen; hinauf zu den Toten, zu ihrem Grab in den Lüften, wie es Paul Celan in der Todesfuge schrieb.
Und ihrer in Stille zu gedenken. Das geht ohne feuchte Augen nur schwer.

Da die Türen des Krematoriums sperrangelweit aufstehen, ist ein Blick auf die Öfen aber auch von außerhalb des Gebäudes möglich, auch davon ist ein Foto entstanden, wie auch eines der Einwurfschächte, durch die die tödlichen Kristalle in die Gaskammer geschüttet wurden.

Den Abschluss meines Rundgangs bildet der „Bunker“, das Lagergefängnis, in dem unter anderem die Sonderhäftlinge untergebracht waren, unter ihnen auch Georg Elser, der Hitlerattentäter von 1938, der am 09. April 1945 in Dachau erschossen wurde.
Wer sich dazu näher informieren will, dem sei die BR-Podcastfolge Theodor Eicke und das KZ Dachau – Die grausame Herrschaft der SS aus der Serie Tatort Geschichte empfohlen. Darin erzählen die beiden Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt von der Ludwig-Maximilians-Universität über das Konzentrationslager Dachau, Georg Elser, sein Hitlerattentat, seine Ermordung durch Theodor Bongartz und Theodor Eicke, der maßgeblich an der Entwicklung des „Modells Dachau“ und seinen mörderischen Methoden der Konzentrationslager beteiligt war.

Bei meinem zweiten Besuch im der Gedenkstätte eine Woche später treffe ich mich mit einem Freund, der seit vielen Jahren auf dem Gelände Führungen für Besuchergruppen veranstaltet. Gemeinsam gehen wir über das Gelände und unterhalten uns. Ein unglaublich wichtiges, tiefes, wertvolles Gespräch. Die Kamera bleibt dabei ungenutzt. Heute geht es weniger um Bilder. Heute geht es ums Begreifen, das Sortieren der Gedanken, von denen einige hier jetzt zu lesen sind.

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Meine Fotos habe ich in einer Galerie angeordnet und mit minimalen Erklärungen versehen.

Es sind Bilder der Lagergebäude: Wirtschaftsgebäude und Jourhaus, dazu die Nachbildung des Lagertors (das Original wurde 2015 gestohlen, 2017 in Norwegen entdeckt, zurückgebracht und steht heute alarmgesichert in der Ausstellung), die Nachbauten der Baracken, das Krematorium von außen, Türme, Zäune, Stacheldraht und den „Bunker“, das Lagergefängnis.

Ein Foto zeigt die Öfen des Krematoriums, für dessen Abriss 1955 der damalige CSU Landrat sich vor dem Bayerischen Landtag stark machte. Ich habe sie aus der Distanz durch die geöffneten Türen fotografiert, einen Ausschnitt angefertigt und zeige ihn hier trotz aller Bedenken. Mir ist bewusst, dass ich so das eigentliche Fotografierverbot innerhalb der Gebäude so quasi ausheble. Aber ich kann und will das nicht aussparen. Nichts darf verschwiegen werden.
NIE WIEDER!


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8 Antworten

  1. Belana Hermine sagt:

    Das „like“ bedeutet: „Danke fürs Zeigen!“ Ich finde es gut, dass Du die Bilder zeigst, und denke, dass professionelles Fotografieren durchaus etwas Anderes ist als Schnäppchenschießen…

    • Lutz Prauser sagt:

      Ich danke Dir für Deinen Zuspruch, denn ich habe lange darüber nachgedacht, was ich tun soll. Ob das richtig ist.

  2. Kurt Schaller sagt:

    Vielen Dank Lutz für diesen Bericht. Ich habe das Lager vor 45 Jahren besucht und das Grauen von damals hat sich beim Betrachten wiederholt. Diese unmenschliche Grausamkeit kann ich auch nicht verstehen. Aber eines der grausamsten Bilder hat sich mir vom damaligen Besuch unvergessen ins Gedächnis gebrand. Eine Gruppe Japaner hat einen der ihren in den Verbrennungsofen geschoben und dann standen sie lachend und grinsend um seinen ebenfalls grinsenden Kopf herum und machten Bilder ohne Ende. Ich muß heute noch ko… wenn ich daran denke. Ich weiß nicht ob damals das fotografieren schon verboten war, ich konnte es jedenfalls nicht. Wohl aus den selben Gründen wie du deine Srupel hattest. Aber wenn keine Bilder gemacht werden dann verschwindet die Mahnung und bleibt nur bei den Besuchern hängen. Deswegen ist es gut wie du es gemacht hast, denn jedes Bild erschüttert auf´s Neue. LG Kurt

    • Lutz Prauser sagt:

      Vielen Dank, lieber Kurt.
      Heute wäre so ein „Scherz“ wie der von Dir geschilderte nicht mehr möglich. Und das ist gut so. Es ist unfassbar, wie man überhaupt auf eine solche Idee kommen konnte.
      Das zieht mir gerade den Boden unter den Füßen weg.

  3. Danke – ich empfinde das so wie Belana und denke auch, dass wir das nie vergessen dürfen, auch wenn wir nicht in dieser Zeit gelebt haben. Ich habe Auschwitz, Buchenwald und andere von diesen schrecklichen Höllen gesehen und werde nie und niemals begreifen, wie man andere Menschen mit dieser Planmäßigkeit umbringen kann, nur weil sie ein anderes Volk sind oder eine andere Meinung und Gesinnung haben. – Nur leider ist es so, Menschen mit ähnlicher Gesinnung in unserer Zeit lesen hier nicht – und würden sich davon auch nicht beeindrucken lassen.

    • Lutz Prauser sagt:

      Vielen Dank liebe Clara,
      Ich stimme Dir zu, Menschen mit einer faschistischen Gesinnung lesen das hier nicht und es beeindruckt sie auch nicht. Aber es stärkt die Abwehrkräfte derer, die eben auf der anderen Seite stehen, so einer Gesinnung entgegenzutreten. Und vielleicht weckt es bei denen, denen das eigentlich vollkommen wurscht ist (Ist ja lange her, haben wir nichts mehr mit zu tun) doch ein gewisses Nachdenken, dass wir eben doch was damit zu tun haben.

  4. Oli sagt:

    Danke. Sehr gefühlvoll und angemessen. Bin noch immer nicht bereit.

    • Lutz Prauser sagt:

      Danke lieber Oli, das freut mich.
      Ich kann das sehr gut verstehen und sehr gut nachvollziehen. Es hat mir sehr viel Nachdenken bereitet, ob ich das machen kann und will. Ja, es ging. Und ja, ich merke, dass es mir ein großes Bedürfnis war und auch bleiben wird.
      Aber ich will Dich weder drängen noch nötigen noch überreden. Vielleicht hast Du eines Tages auch das Bedürfnis. Und wenn nicht, ist das auch ok. Ich für meine Fälle möchte das Terrain nicht den Selfie-Machern überlassen, nicht den „Touris“ und nicht denen, denen das alles eigentlich am A… vorbei geht.

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