Die graue Pappe: Endgültig ungültig!

Pappe „Geh mal los und lass Passbilder machen,“ mahnte mein Vater mich, nicht ohne mir den Rat zu geben, zu einem Fotografen zu gehen und nicht einfach nur in irgendeinen dieser Automaten, die überall in der Stadt aufgestellt waren. „Du brauchst ein ordentliches Bild, das muss schließlich für den Rest Deines Lebens halten. Und wenn du demnächst gefragt wirst, hast du wieder keines!“

Er sollte Recht behalten, denn ich wurde gefragt und zwar schon ein paar Tage später. Ein Passbild sollte ich abgeben für die Pappe in der Fahrschule, denn die praktische Prüfung des Führerscheins rückte näher und nach dem Absolvieren der Selbigen würde man mir, so ich denn bestehe, den Führerschein gleich aushändigen.
Natürlich hatte ich kein „ordentliches Passbild“. Vielleicht aus Trotz gegen die fortwährend kommenden ungefragten Ratschläge, vielleicht aus mangelnder Motivation in die Stadt zu fahren. Und dann fehlte es plötzlich an der Zeit. Denn es wäre überhaupt keine Option gewesen, wegen des fehlenden Bildes den Führerschein erst später beim Straßenverkehrsamt abzuholen, weil er nicht rechtzeitig fertig geworden war.
Und natürlich ärgerte ich mich, dass mein Vater wieder mal recht hatte. Ich kramte ein etwa drei bis vier Jahre altes Foto raus, das einen wenig begeisterten Teenager zeigt, mit dem ich als 18jähriger noch eine gewisse Ähnlichkeit hatte. Denn ich sah damals für mein Alter zu jung aus. So musste ich zum Beispiel mit über 20 immer wieder den Ausweis zücken, selbst beim Bierkauf, was ja schon ab 16 erlaubt war.
Ich wusste, mein Vater würde sich als Allererstes den Führerschein zeigen lassen, wenn ich heimkäme. Er würde das Foto sehen, einen langen Sermon lostreten, dass er es ja gleich gesagt hätte und das ganze Bla bla, dass ich jetzt bei jeder Führerscheinkontrolle für den Rest meines Lebens dieses furchtbare Bild darin hätte.
Und so kam es.
Das Bla bla nervte mich weitaus mehr als ein definitiv adäquates Foto in der Pappe, das ihm recht geben und mir diesen Vortrag anhören müssen.
Denn mit dem Bild konnte ich gut leben. Erstens, weil ich keine Wahl hatte, und zweitens, weil es letztlich wieder mal als purer Trotz und Provokation aufgefasst wurde. Und das war, selbst wenn es nicht so war, dennoch gut so.

Pappe und Platik
Und es kam auch so, dass ich bei vielen Führerscheinkontrollen im herangereiften Alter das Grinsen im Gesicht der Polizeibeamten erkennen konnte, so gut sie es auch zu verbergen meinten. Gelegentlich erbat ich mir „bitte keinen Kommentar zum Bild!“, wenn ich ihn hervor kramte, vor allem, als ich ihn nach einem einmonatigen Entzug zurückbekam und im Rathaus abholen musste.
Was aber nicht so kam: Den Führerschein für den Rest meines Lebens zu behalten. Dabei hatte ich ihn doch so gehütet, den grauen Lappen. Andere hatten ihn längst verloren, verbummelt, mitgewaschen, was weiß ich nicht alles. Und viele, die oft mit Mietwagen im Ausland unterwegs waren, hatten ihn gegen ein neueres Modell eingetauscht, weil einfach nirgendwo mehr das Uralt-Dokument akzeptiert wird.

Ich nicht. Bis jetzt. Denn der Gesetzgeber hat eine große Pflicht-Umtauschaktion eingeleitet: Alte Führerscheine gegen die neuen EU-Fahrerlaubnisse im Scheckkartenformat. Jetzt also ist es um die Pappe geschehen. Beim Umtausch wurde, noch bevor mich der neue erreichte, der alte auf eine Gültigkeit für nur noch drei Monate beschränkt. Jetzt ist er praktisch wertlos. Außer natürlich in puncto höchster Emotionalität und Nostalgie.
Klar hebe ich die Pappe auf, ich lege sie zu dem alten, grauen Personalausweis, den allerersten, den ich bekam. Den habe ich nämlich aufgehoben, wie auch Skipässe, Schwimm- und Tanzschulausweis, Presse-, Reise- und Studentenausweise und überhaupt vieles. Natürlich.
Wie auch der arg ramponierte Perso entwertet wurde, erging es auch dem Führerschein. Der aber ist immerhin nur gestempelt und nicht auch noch gelocht.

So ändern sich die Zeiten. Und damit das Bild im Dokument.
Aus Pappe ist die Pappe selbstverständlich auch nicht mehr, jetzt ist sie aus Plastik.
Von wegen: „Ein Leben lang!“ Pah! Etwas mehr als ein halbes vielleicht.
Oder so.

Pappe ist ungültig

 


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3 Antworten

  1. piri sagt:

    Oh, für mich war das auch sehr wehmütig als ich meinen grauen Lappen gegen diese seelenlose Karte eingetauscht habe. Dieses junge Mädchen gibts aber noch – tief in mir drin.

  2. Tobias sagt:

    Das ist auch ein Stück eigene Geschichte, die da verloren geht.

  3. Axel sagt:

    Meiner wurde eingezogen als ich den Schweizer Führerausweis bekam. Der heisst übrigens FAK (Führerausweis im Kreditkartenformat) ist aber Fuck gegen die alte Pappe. Nun bin ich per Ausweis ein Führer. Naja – wer’s braucht

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