Pappe weg – Teil 1: Von der Amtsstube in die S-Bahn

Zimmer 115. Das muss es sein.
Ich klopfe und öffne zaghaft die Tür.
„Guten Morgen“, sage ich mit dem Blick eines Fragenden, der nicht sicher ist, ob er richtig ist und ob er nicht stört. Hinzu kommt der zerknirschte Gesichtsausdruck des Büßers, so als sei man auf Knien her gerutscht, wie damals nach Canossa.
„Guten Morgen“, antwortet der Amtsmann und blickt von seinem Kaffee auf. „Was machen Sie denn schon hier?“
„Ähmm… ich möchte…“ Doch bevor ich mein Verslein loswerde, kommt die nächste Frage.
„Wer hat Sie denn überhaupt herein gelassen?“
„Also ich war unten an der Pförtnerloge“, antworte ich. „Ihre Kollegin hat gesagt, ich dürfe ruhig schon heraufgehen. Sie wären ja schon da.“
Der Amtmann brummt missgelaunt. Kunststück. Bürgersprechstunde ist ab 08.00 Uhr. Das nimmt man im Rathaus sehr genau. Vor allem im Ordnungsamt. Denn schließlich muss alles seine Ordnung haben. Auch das ist Deutschland. Wo kämen wir denn dahin, wenn der Amtsstuhlinhaber nicht genügend Rüstzeit hätte seinen Kaffee zu trinken, den Rechner hochzufahren, den Drucker warmlaufen zu lassen, die Jalousien vor den Fenstern zu öffnen, die Blumen zu gießen usw. usw. bevor die Bürger in Scharen sein Büro stürmen?
„Das ist jetzt nichts gegen Sie“, versichert er freundlich. „Aber mit der Kollegin da unten muss ich ernsthaft sprechen. Das geht doch nicht, dass sie einfach jemanden ins Gebäude lässt.“
Schlagwörter wie Offenes Rathaus und Bürgernähe fallen mir ein, oder ganz einfach Service und Freundlichkeit. Aber ich halte mich zurück. Schließlich möchte ich meine Angelegenheit schnell erledigt wissen. Außerdem war es ja mein Fehler, dass ich schon um 07.46 Uhr das Rathaus betreten habe. Schließlich kann ich auch nicht erwarten, wenn der Metzger um 08.00 Uhr aufsperrt, dass ich um 07.46 Uhr schon an der Wursttheke bedient werde, nur weil mich wer hat in den Laden huschen lassen.
Nun hinkt der Vergleich ein wenig. Der Metzger könnte ja, da er Umsatz erwartet und einen Kunden, der vielleicht wieder kommen wird, in mir sieht, entsprechend flexibel reagieren – ganz im Sinne gesteigerter Tageseinnahmen.
Auf Einnahmen muss der nette Herr in der Amtsstube nicht achten, denn er wird heute keinen Umsatz mit mir machen, das ist bereits geschehen, ich habe bereits seiner Aufforderung Folge geleistet und meinen Obolus überwiesen. Er wird mir nichts verkaufen, keine Gebühren erheben und ich werde auch nichts mitnehmen, im Gegenteil: Ich werde etwas abliefern, meinen Führerschein.
Während der gute Mann sich also – jetzt wieder sehr freundlich, denn ich kann ja wie er mir noch einmal versichert nichts dafür und nun sei ich ja schon mal da – anschickt, das Formular am Bildschirm auszufüllen, überbrücken wir die Wartezeit des Einfingertippens und blenden zurück…

Zwei Wochen vorher.
Geschmeidig und damit zu schnell passiere ich bei der Durchfahrt eines Örtchens eine Radarfalle. Es gibt einen kurzen Blitz und ein sofortiger Blick auf den Tacho verrät mir, dass das ein böses Ende nehmen wird. Wie konnte es dazu kommen? Dieses Nest besteht laut meiner Google-Recherche aus genau zweieinhalb Bauernhöfen:Radar2

Normalerweise gehört es sich, dass so ein Weiler als nicht (!!!) geschlossene Ortschaft mit grünem Ortsschild eingestuft wird. Dieses Kaff  aber ist lächerlicherweise ein eigener Stadtteil unserer Kreisstadt – eine geschlossene Ortschaft. Das kann man an obigem Bild sehr gut sehen.
Es ist nicht so, dass ich das nicht gewusst hätte. Ich fahre die Strecke öfter. Es ist auch nicht so, dass die Kommunale Verkehrsüberwachung nicht das Recht hätte, dort eine Radarfalle aufzustellen.
Denn immerhin sind in diesem Nest innerhalb eines Jahres sieben Katzen überfahren worden, vielleicht auch ein Huhn und im Frühjahr die eine oder andere Erdkröte auf ihrer Wanderung. Das dürfte es dann aber auch gewesen sein. Ich verstehe die Bauer auf der westlichen Straßenseite. Wollen sie zum Hof auf der östlichen Seite und es donnert ein Auto mit Tempo 100 dadurch, ist das dramatisch gefährlich. Auch der Bauer zur Rechten möchte vielleicht mal irgendwann mit seinem Mähdrescher vom Hof auf die Straße abbiegen können. Aber schon wieder donnert so ein Irrer mit Vollgas durch die Straßenschluchten. Ist der aber vorbeigefahren könnten sich beide Landwirte auf den Weg machen. Denn dann kommt gefühlte 40 Minuten kein weiteres Auto mehr vorbei. Will sagen: Der Durchgangsverkehr dürfte in diesem Kaff, das noch verlassener ist als jedes Spaghetti-Western-Dorf vernachlässigbar gering sein im Vergleich zu dem Verkehr, der sich täglich durch unser Dorf wälzt. Ok: Auch bei uns wird geblitzt. Davon höre ich manchmal vorab und warnend im Radio, manchmal einige Tage später per Briefpost.
So gesehen könnte man schon fast von Wegelagerei sprechen, wenn samstags nachmittags in diesem erbärmlichen Nest eine Radarfalle aufgestellt wird. Man könnte Mitleid mit dem Beamten bekommen, der stundenlang auf der Lauer liegt, ganz so wie ein Schmuckhornfrosch im Morast. Beide waren sehnsüchtig und mit einer Engelsgeduld, dass ihnen jemand vor die Schnauze (dem Frosch) bzw. das Radar (den Beamten) kommt.
Aber muss das genau dann sein, wenn ich auf dem Weg zum Erdinger Schwimmbad bin? Stopp – ich muss mich beherrschen. Ich spreche nicht von Wegelagerei oder Beute machen wollen. Das ist unehrenhaft. Denn natürlich weiß ich, dass die Kommunale Verkehrsüberwachung der Disziplinierung der Autoraser und der allgemeinen Verkehrssicherheit dient. Und genau dort ist ein echter Brennpunkt, das sehe ich ein. Sie doch sicher auch…

Wie dem auch sei: Die Pappe ist weg. Dagegen gibt es nichts einzuwenden. Ich möchte auch nicht die Verhältnisse umdrehen und mich zum Opfer behördlicher Wegelagerei stilisieren, so reizvoll der Gedanke auch ist. Der Missetäter bin schon ich. Ich gestehe alles!

Jetzt heißt es: Ein paar Wochen lang muss ich bis zur Grenze der Devotheit innerhalb der Familie um die eine oder andere Taxifahrt bitten – nein, so schlimm wird es (hoffentlich) nicht. Ganz sicher nicht! Und ich werde wohl gehörig oft die Busse, S-Bahnen und Straßenbahnen im Großraum München benutzen. Das wird ganz sicher eine hochspannende Erfahrung, irgendwie freue ich mich fast schon darauf. Denn ich hoffe auf viele, viele Begegnungen mit den Renates dieser Welt und mit anderen skurrilen Zeitgenossen, die mir reichlich Blogstoff liefern werden. Dann hat sich die ganze Chose wenigstens gelohnt. Eine Bilanz ziehe ich dann im Oktober, wenn der Monat um ist.

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Einen ersten Anfang habe ich heute schon gemacht! Die Pappe liegt im Amt, ich bin morgens und abends mit S- und Straßenbahn unterwegs. Da drinnen menschelt es schon ganz gewaltig, aber das war zu erwarten. Ich fange an, Stoff zu sammeln. Es gibt reichlich. Dass gleich am ersten Tag auf dem Heimweg die S-Bahn eine halbe Stunde Verspätung hat und ich den Bus nach Hause verpassen werde, nehme ich gelassen. Eine Renate gibt’s zwar nicht – aber andere sehens- bzw. bemerkenswerte Gestalten. Davon später mehr…


Pappe weg! Alle Teile:

Teil 1 – Von der Amtsstube in die S-Bahn
Teil 2 – Empty Spaces
Teil 3 – Sein Leben in den Griff bekommen
Teil 4 – Wer schreibt, der bleibt

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2 Antworten

  1. mikausch sagt:

    Ich hoffe, das Photo ist wenigstens gut geworden. Ich werde immer von rechts geblitzt. Und das geht gar nicht. Das ist nicht die Photo-Seite. Aber diesbezügliche Hinweise werden leider nicht in eine professionellere Arbeit der grünen Blitzbildner umgesetzt.

  1. 9. Juli 2015

    […] und staulos, wie wir Landeier nun mal sind, geben wir Gas, oftmals bis zum Führerscheinentzug. Das droht den Münchnern eher, wenn sie mal über eine rote Ampel fahren. Denn Gas geben kann der […]