Betr.: Wildtiere fotografieren (Teil 6): Inszenierung & Anthropomorphisierung

Gottesanbeterin in Dalmatien

Dieser Beitrag ist Teil der Reihe über Nachhaltigkeit und Verantwortlichkeit beim Bloggen. Bitte beachten Sie die Linksammlung am Ende des Beitrags, denn das Thema  „Wildtiere fotografieren“ kommt in einer eigenen kleinen Serie innerhalb der Reihe zur Sprache. Es ist zu komplex, um es in nur einem Blogpost zur Sprache zu bringen.

Im Blog des Weltenbummlers perpetual fragments lese ich einen interessanten Beitrag über die Ethik und Wildtierfotografie  der ursprünglich als 8 Common Ethical Mistakes in Wildlife Photography (And How to Fix Them) von Ellyn Kail auf Feature Shoot veröffentlicht wurde.
Ein äußerst spannendes Thema, zu dem es in der Tat lohnt, sich Gedanken zu machen. Was mich betrifft, habe ich eine klare Meinung zu den meisten Punkten, die dort Erwähnung finden und ich halte damit nicht hinterm Berg.
Hier Teil 6 – zugleich der letzte.

 

 

 

 

7. Inszenierte Fotos

„In der Wildlife-Fotografie kommt es leider immer wieder zu Fälschungen: Fotografen inszenieren Szenen und stellen sie dann fälschlicherweise als echte Naturereignisse dar“.

Ja, das stimmt. Die Versuchung ist groß. Riesengroß: Schnell die Schnecke aufheben, woanders wieder absetzen, wo das Licht besser ist, die Umgebung passender fürs Foto oder das Motiv höher, dass man nicht auf allen vieren auf der Erde vor dem Tier herumkriechen muss. Warum nicht?
Das mag ein „lässliches ethisches Vergehen“ sein, aber empfindet es die Schnecke auch so?
Signalisiert nicht viel mehr ihr Instinkt, dass sie sich in einer höchst bedrohlichen, lebensgefährlichen Lage befindet?


Aber mal ehrlich: Wer ist frei davon, so etwas nicht schon einmal gemacht zu haben, wenn er Tiere fotografiert und sie so besser ins Bild rücken kann? Freilich, das geht nicht bei vielen Arten, die meisten lassen sich nicht einfach so in ein anderes Szenario transportieren, kaum, dass man sie fangen könnte, wenn man es denn wollte. Aber es gibt nun mal Tierarten, bei denen das geht. Dazu gehören auch die öfter in dieser Serie bereits erwähnten Europäischen Schildkrötenarten.
Gerade bei dieser Art weiß ich sehr genau, wie sie darauf reagieren, wenn ich sie hochhebe. Die eigenen Tiere sind dies gewohnt, es gibt nicht viele, aber es gibt immer wieder Gründe, sie hochzuheben, sei es für die jährlichen Fotodokumentationen, sei es, um gelegentlich auch ihren Bauchpanzer in Augenschein zu nehmen oder um sie zu wiegen, was einem ersten Gesundheitscheck entspricht. Was jetzt nicht heißt, dass ich sie nach Lust und Laune anhebe.
Weil die Tiere das gewohnt sind, reagieren sie relativ entspannt. Setze ich sie behutsam wieder ab, laufen sie einfach weiter, als wenn nichts gewesen wäre.

Griechische Landschildkröte im eigenen Garten im Freilandgehege

Wildtiere reagieren da ganz anders – und ja, ich habe auch von diesen welche in die Hand genommen. Entweder, wenn ich sie von der Straße geholt habe oder weil ich wissen wollte, welches Geschlecht sie haben. Das nämlich erfährt man nur durchs Umdrehen.
Sie reagieren hektisch, versuchen, sich mit dem Kratzen der Krallen zu wehren und wenn man sie absetzt, ziehen sie Kopf, Schwanz und alle Extremitäten ein und verharren regungslos im Panzer. Sicher ist sicher.

Allerdings halte ich es für vollkommen unangemessen, bei meiner Suche und Fotografie wildlebender Tiere solche aufzuheben, mal hierhin, mal dahin zu setzen und womöglich noch kreuz und quer durch die Gegend zu tragen auf der Suche nach dem besten Szenario. Zudem laufe ich Gefahr, die Tiere dann dahin zu setzen, wo sie freiwillig nicht hingehen würden. Entweder, weil ich es nicht besser weiß oder weil ich so ein vermeintlich ganz besonderes Foto meine machen zu können.
Denn das ist weder im Sinne der Tiere noch der Fotografen. Denn das „beste“ Bild ist eigentlich nichts wert, wenn es nicht die Wirklichkeit widerspiegelt.

Wie lange aber soll ich warten, bis ich eine Schildkröte inmitten einer illegalen Sperrmüllablagerung fotografieren kann, weil ich genau so ein Bild machen will für einen Beitrag in einer Schildkrötenfachzeitschrift? Wird es mir irgendwann gelingen? Wird ein Tier freiwillig an dem alten Bettgestell vorbeilaufen?

Darf ich ein Tier, das ich ganz in der Nähe finde, sanft in die Richtung drängen? Hochheben und umsetzen? Ist es das Foto, das ich unbedingt machen möchte, wert, um einen Beitrag über die Verwüstung natürlicher Lebensräume von Wildtieren zu illustrieren? Und wenn: Wie weit darf ich gehen? Darf ich das Tier auch oben auf den alten Schaumstoff setzen, wohl wissend, dass es niemals freiwillig da hinauf geklettert wäre? Das Bild wäre dann noch um einiges „härter“ in der Wirkung. Aber eben auch eine Verfälschung der Wirklichkeit.

Noch absurder wird es, wenn ich zum Beispiel besagte Schnecke auf den Panzer der Schildkröte setze und dann beide gemeinsam fotografiere. Ja, mag sein, dass so etwas wirklich mal vorkommen kann und dann fotografiert wird. Solche Bilder im Netz, tausendfach verbreitet, animieren allerdings Leute dazu, solche und noch absurdere Szenarien für ein Foto zu arrangieren.

Nein – entweder ich habe Glück und kann Blässhühner am Weiher beim Synchronschwimmen fotografieren, oder eben nicht. So einfach ist das.


Ich gebe zu: Ich hebe auch Wildtiere auf: Erdkröten zum Beispiel. Sicher stresst sie das. Aber von einem Auto, das mit Tempo 100 auf unseren Ort zubraust, erfasst zu werden, ist in diesem Fall sicher der größere Stress – und der finale.

8. Anthrophomorphisierung

Anthropomorphisierung bedeutet die Zuschreibung von menschlichen Eigenschaften hinsichtlich der Gestalt oder des Verhaltens auf alles Nichtmenschliche wie zum Beispiel Maschinen, Pflanzen, Computer oder eben auch Tiere. Tiere werden in der Fotografie bewusst vermenschlicht, entweder gleich so inszeniert oder es wird in das Verhalten der Tiere etwas Menschelndes hineininterpretiert. Das Problem stellt sich allerdings weitaus mehr bei Haustieren, die oft genug verkleidet und vermenschlicht ein digitales „Eigenleben“ entwickeln, wenn ihre Eigentümer diesen Tieren einen „eigenen“ Account in den sozialen Medien einrichten und zur Freude und Belustigung der Follower Hund oder Katze „sprechen“ lassen – garniert mir Bildern, die zwar instagramable sind, mit dem Tierwohl aber nur noch sehr wenig gemein haben.

Auch wenn ich selbst meine Tiere nicht so inszeniere und Wildtiere noch viel weniger, denn das geht in aller Regel nicht, sind viele Fotos, vor allem, wenn sie hier im Blog gezeigt werden, in einem vermenschlichendem Kontext. Ich hoffe aber, die Leserinnen und Leser wissen dies richtig einzuordnen, vor allem den ironischen Unterton zu erfassen. Dazu eine kleine Bilderserie:

Nein: Das ist kein Liebespaar in inniger Umarmung. Das weiß ich selbst. Innig vielleicht, aber triebgesteuert und für die weiblichen Kröten überaus anstrengend. Ich blogge relativ häufig über Erdkröten, Krötenzäune und -rettung, denn ich hoffe, so ein wenig Sympathie für diese Tiere, die die meisten ziemlich abstoßend finden, wecken zu können. Zur Not eben auch mit etwas Anthropomorphisierung.

Erdkröten im Paarungsgriff im Weiher in unserem Dorf

Nein: Das ist kein eifersüchtiger Grauganter, der einen Rivalen von seiner Liebsten fernhält. Doch. Das ist genau das. Aber hier eine Amour Fou hineinzuinterpretieren oder ein bühnenreifes Eifersuchtsdrama  wäre falsch. Aber witzig. Genau darum habe ich das gemacht. Denn ich erhebe nicht den Anspruch, in meinem Beitrag über Herrn Ganter nur annährend seriös das Verhalten der Gänse biologisch richtig zu schildern. Und wer das liest, weiß das auch. Zumindest hoffe ich das.

Streitende Graugänse am Speichersee Finsing

Nein, das ist keine sturmerprobte trotzige und willensstarke Meise, die da im April bei plötzlich einsetzendem Schnee und Sturm im Geäst unserer Blutpflaume sitzt. Ein Meise: Ja. Aber alles andere ist Anthropomorphisierung.

Blaumeise im Schneesturm im April

Nein, das ist kein Kormoran, der mir achselzuckend mitteilen will: „Ich weiß es doch auch nicht!“ Viele Kormorane nehmen diese Sitzhaltung ein, wenn sie sich auf Steinen oder Zweigen niederlassen.

Nein, der Frosch grinst nicht. Mag sein, dass es so aussieht.

Und auch diese Muräne lacht nicht:

Das alles sind Beispiele der Anthropomorphisierung, allerdings kann ich an dieser Stelle noch immer sagen, dass ich die Tiere so fotografiert habe, wie ich sie gefunden habe und nur ihr Verhalten oder ihre Mimik vermenschelnd interpretiere.
Dem Tier ist das vermutlich vollkommen egal. Es schadet ihnen nicht. Was anderes ist es vielleicht, wenn ich die Tiere „verkleide“. Ob es ihnen schadet oder nicht, ließe sich diskutieren, zumindest ist es eine herabwürdigende Zurschaustellung. Das allerdings ist im Rahmen der Wildtierhaltung eher seltener das Problem. Das betrifft dann wohl eher die Haustiere.

 


 

Text und alle Bilder: Lutz Prauser. Alle Rechte beim Autor

Interessiert Sie das Thema?

Dann empfehle ich die kleine Beitragsserie, bereits erschienene Beiträge sind verlinkt, alle anderen Beiträge werden noch veröffentlicht.

  1. Wildtiere mit Ködern locken
  2. Unüberlegter Einsatz von Blitzlicht
  3. Alles mit Geotags versehen
  4. Zu nah herangehen
  5. Nicht seine Hausaufgaben machen
  6. Besuch von Zoos und Wildpark
  7. Inszenierte Fotos
  8. Anthrophomorphisierung

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