Die Moorsoldaten

Ich war nie in Börgermoor, ich habe diese Gedenkdtätte dort nie gesehen und ich habe nur dank Google Maps eine grobe Ahnung davon, wo das genau liegt: Irgendwo im Norden, im flachen Land, im Moor.
Muss ich etwas über den kleinen Ort wissen?
Wenn, dann vor allem, dass hier einst ein Konzentrationslager stand, von dem vor allem eines in der Erinnerungskultur zum festen Bestandteil wurde: Das Lied der Moorsoldaten.

„Texter des Liedes waren der Bergmann Johann Esser und der Schauspieler und Regisseur Wolfgang Langhoff, die Musik stammt vom kaufmännischen Angestellten Rudi Goguel. Das Lied wurde am 27. August 1933 bei einer Veranstaltung namens Zirkus Konzentrazani von 16 Häftlingen, überwiegend ehemaligen Mitgliedern des Solinger Arbeitergesangvereins, aufgeführt.“ So steht es auf Wikipedia. Und weiter: „Die sechzehn Sänger, vorwiegend Mitglieder des Solinger Arbeitergesangsvereins, marschierten in ihren grünen Polizeiuniformen (unsere damalige Häftlingskleidung) mit geschulterten Spaten in die Arena, ich selbst an der Spitze in blauem Trainingsanzug mit einem abgebrochenen Spatenstiel als Taktstock. Wir sangen, und bereits bei der zweiten Strophe begannen die fast 1000 Gefangenen den Refrain mitzusummen. […]

Symbolbild

Von Strophe zu Strophe steigerte sich der Refrain, und bei der letzten Strophe sangen auch die SS-Leute, die mit ihren Kommandanten erschienen waren, einträchtig mit uns mit, offenbar, weil sie sich selbst als ‚Moorsoldaten‘ angesprochen fühlten. […]
Bei den Worten ‚… Dann ziehn die Moorsoldaten nicht mehr mit den Spaten ins Moor‘ stießen die sechzehn Sänger die Spaten in den Sand und marschierten aus der Arena, die Spaten zurücklassend, die nun, in der Moorerde steckend, als Grabkreuze wirkten.“ wird der Komponist Rudi Goguol auf Wikipedia zitiert.
Zwei Tage später wurde das Lied verboten, was aber seine Verbreitung nicht mehr verhindern konnte.

Heute ist es eine Hymne antifaschistischer Musik.
Oder etwa nicht (mehr)?
Wieder einmal stelle ich mir die Frage, ob die Generationen unter mir dieses Lied und seine Geschichte überhaupt noch kennen. Bella Ciao hat sich über die Jahrzehnte gerettet, nur weiß eben auch kaum einer, dass es in der Ursprungsversion ein Lied der Arbeiterbewegung und nicht etwa das der Partisanen war. Und den Party-People auf dem Dancefloor ist das ohnehin egal, wenn ein Hip Hop Remix davon aufgelegt wird. Here’s to you ging mehr oder weniger verloren.

Hannes Wader, mittlerweile 82, hat das Lied in Deutschland zu dem gemacht, was es ist – nicht nur eine Hymne sondern auch ein Lagerfeuerklassiker der 60er und 70er, dort zur Gitarre gesungen oder geschmettert, nicht selten wurde dabei der historische Hintergrund des Liedes ausgeblendet.

Heute daran zu erinnern, weil es das Datum des 27.Augusts gemahnt, lässt mich zweierlei besonders schwer ertragen:

Die Moorsoldaten entstand 1933 und damit bereits ein halbes Jahr nach der Machtergreifung und dem Beginn des nationalsozialistischen Terrorherrschaft über Deutschland. Die Nazis hatten sich unglaublich beeilt Konzentrationslager hochzuziehen, das erste wurde bereits im März in Dachau in Betrieb genommen (das hier gezeigte Stacheldahtfoto entstand dort). Alle, die nicht ihrer Ideologie entsprachen oder zustimmen wollten, wurden hinter Stacheldraht gefangen gehalten, gequält, gefoltert, viele ermordet.

Das ist 91 Jahre her – und man meint oft genug, die Bevölkerung hierzulande habe nichts begriffen und die Gesellschaft steht schon wieder dort. Es sind nicht nur die Töne aus der AfD – rechtspopulistisch tönt es aus der Union genauso, aus der FDP und Aiwangers Freien Wählern sowieso. Thüringen und Sachsen schicken sich an, bei der baldigen Landtagswahl die gesichert rechtsextremen AfD-Neofaschisten zur stärksten Fraktion ihrer Landesparlamente zu wählen. Es ist, als habe einfach kaum irgendwer irgendetwas gelernt. Oder lernen wollen. Gar nichts. Mir will einfach nicht in den Kopf, dass es Menschen gibt, die heutzutage aus Trotz, Empörung und purer Überzeugung faschistischen Parteien ihre Stimme geben, weil sie glauben, dass sie unter deren Regierung zu den Gewinner:innen eines Systemwechsels gehören würden. Wie dumm kann einer sein?

Symbolbild

Wir müssten das Lied der Moorsoldaten wieder viel öfter hören und spielen, darüber nachdenken und uns für unsere freiheitliche Gesellschaft mehr und deutlicher engagieren. Längst sind Forderungen nach staatlich durchgesetzer Zwangsarbeit wieder ebenso laut zu hören wie die Einrichtung von Lagerunterbringung für bestimmte Bevölkerungsgruppen.

Hier der Text:

Wohin auch das Auge blicket
Moor und Heide nur ringsum
Vogelsang uns nicht erquicket
Eichen stehen kahl und krumm

Wir sind die Moorsoldaten
Und ziehen mit dem Spaten
Ins Moor
Wir sind die Moorsoldaten
Und ziehen mit dem Spaten
Ins Moor

Hier in dieser öden Heide
Ist das Lager aufgebaut
Wo wir fern von jeder Freude
Hinter Stacheldraht verstaut

Wir sind die Moorsoldaten

Morgens ziehen die Kolonnen
Durch das Moor zur Arbeit hin
Graben bei dem Brand der Sonne
Doch zur Heimat steht der Sinn

Wir sind die Moorsoldaten

Auf und nieder geh’n die Posten
Keiner, keiner kann hindurch
Flucht wird nur das Leben kosten
Vierfach ist umzäunt die Burg

Wir sind die Moorsoldaten

Doch für uns gibt es kein Klagen
Ewig kann nicht Winter sein!
Einmal werden froh wir sagen
Heimat du bist wieder mein!

Dann zieh’n die Moorsoldaten
Nicht mehr mit dem Spaten
Ins Moor
Dann zieh’n die Moorsoldaten
Nicht mehr mit dem Spaten
Ins Moor


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2 Antworten

  1. Hallo,
    Danke für den Blogbeitrag, das Lied kannte ich nicht. Interessant!.
    Grüße,
    Jürgen

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