Wer kennt noch Nicola und Bart?

Wer kennt noch Nicola und Bart?

Bei einer Kaffeeplauderei mit Kolleginnen und Kollegen, allesamt um die 30, stelle ich fest: Nicola Sacco und Bartholomeo Vanzetti kennt heute kaum jemand mehr. Zumindest nicht eine Generation unter mir.

Das ist natürlich ein subjektiver Eindruck, aber ich wäre schon sehr überrascht, wenn der mich trügt. Jede Generation hat ihre eigenen Helden und Säulenheiligen, die beiden am 27. August 1927 in Charleston/Massachusetts hingerichteten italienischen Einwanderer, die zu Arbeiterführern wurden, gehören offenbar nicht mehr dazu.


Dass Sacco und Vanzetti, ihr Fall, ihre Schaugerichtsverhandlung und ihre Verurteilung für einen Mord, den sie nicht begangen haben, heute drohen, in Vergessenheit zu geraten, hat mich im ersten Moment sehr verwundert. Wie, das ist nicht mehr Allgemeinbildung?
Aber bei näherer Betrachtung ist das ganz logisch. Denn der größte „Transporteur“ der Geschichte dieses Justizmordes hinüber in die 70er und frühen 80er Jahre war die Protestbewegung. Das war der Song Here’s to you, von dem jeder wusste, worum es geht. Es war einer von drei Lieder aus dem Kinofilm von Giuliano Montaldo von 1971, komponiert von Ennio Morricone und gesungen von Joan Baez. Dieser Song wurde zeitweilig zur Hymne. In viele Sprachen übersetzt und von vielen Sängerinnen und Sängern interpretiert wurde Here`s to you ein Kampf- und Protestlied im Gedenken an die beiden hingerichteten Anarchisten.

Here’s to you, Nicola and Bart
Rest forever here in our hearts
The last and final moment is yours
That agony is your triumph

Die Liste der Sängerinnen und Sänger, selbst zum Teil zentrale Figuren in der Protestbewegung, ist lang, sie reicht von Georges Moustaki bis zu Franz Josef Degenhardt; und weiter bis hinein zu den in Deutschland nur als Schlagerinterpretinnen bekannten Mireille Matthieu und Daliah Lavi.
Konstantin Wecker widmete Sacco und Vanzetti in seinem Hexeneinmaleins ein paar Zeilen, als er das faustsche Einmaleins mit Motiven der Hexenverfolgung sowie der modernen Verdächtigung, Verfolgung, Hass, Diffamierung, Hetze politisch Andersdenkender kombinierte:

Sacco und Vanzetti, keiner rothaarig.
Nie mischten sie Zaubertränke um Mitternacht.
Auch des Nachbarn Kühe gediehen vortrefflich.
Trotzdem wurden sie niedergemetzelt
von den Schergen der Mickey Mouse.

Nun sind die Heroen der Protestbewegung der 70er, die politischen Liedermacherinnen und Liedermacher, selbst mehr oder weniger in Vergessenheit geraten bzw. bei der jüngeren Generation nicht mehr allzu bekannt.
Wie gesagt: Jede Generation lässt sich von ihren eigenen Themen und Helden prägen. Zu Recht sollten heutzutage eher Songs wie Baraye von Shervin Haji Aghapour oder die von Rana Mansour adaptierte englischsprachige Fassung For Woman, Life, Liberty gehört und gesungen werden. Sie sind jetzt relevant und ihre Botschaften sind wichtiger.

Aus aktuellem Anlass empfiehlt sich auch Yael Deckelbaums Prayer Of The Mothers, das die Israelin zusammen mit Amyra León, Lubna Salame, Anat Malamud, Maysa Daw, Daniel Rubin, Miriam Toukan und dem Rana Chor aufnahm und in das Ausschnitte einer Rede der Friedensnobelpreisträgerin Leymah Gbowee eingearbeitet sind.

2016 war das, dass israelische und palästinensische Frauen gemeinsam für ihre Sehnsucht nach Frieden auf die Straße gingen und protestierten. Auch wenn sich diese Hoffnung brutal und mörderisch zerschlagen hat, darf sie, so schwer es auch ist, dennoch nie aufgegeben werden.

Die Frage ist vielleicht am Ende doch eine andere: Nicht etwa Wer kennt noch Nicola und Bart? sondern: Wie relevant ist das heute noch?
Aber schaden kann es nun auch nicht, wenn einem auch heute noch ihre Namen etwas sagen und man den Song mal gehört hat.

Allein die Spielfilmszene mit Riccardo Cucciolla und Gian Maria Volonté, in der der Song zu hören ist, hat es nach wie vor in sich:


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