Wenn die Wirklichkeit mehr liefert als alle Klischees: Am Höglwörther See

Wenn die Wirklichkeit mehr liefert als alle Klischees, wenn Du ein Bergpanorama, weißblauen Himmel, einen See, tiefgrüne Wälder und eine barocke Kirche mit Zwiebelturm erwartest, komm nach Oberbayern. Du träumst Dir eine Idylle zusammen, wie man sie tatsächlich im bayerischen Alpenvorland finden kann.
Nein, nicht da, wo alle hinfahren, wo Remmidemmi ist, sich lange PKW-Schlangen die Täler hinauf schieben und sich auf Parkplätzen um die letzte freie Lücke gestritten wird, wo Reisebusse Menschenmassen ausspeien und zwei bis drei Stunden später wieder verschlucken.
Fahr woanders hin. Da, wo keiner ist – oder zumindest fast keiner.


Wenn Du so etwas im Kopf hast, kommt der Höglwörther See vorbei und sagt: „Hold my beer!“ und übertrifft alles, was Du Dir ausgemalt hast. Aber es ist eben nicht Klischee, nicht operettenhaft inszeniert und arrangiert. Es ist wirklich so.

Nach mittlerweile (diesen schon mit eingerechnet 99 verschiedenen Seen, Weihern und Flüssen) die ich im Regierungsbezirk Oberbayern abgeklappert habe, muss ich sagen, ich bin überrascht, immer wieder für mich einen See zu entdecken, der quasi aus dem Rahmen fällt. Hier ist es ein ungemein idyllisches Fleckchen Erde im nördlichen Berchtesgadener Land.
Ja, es geht wohl auch anders: Auch hier fahren Ausflugsbusse hin, vornehmlich Seniorinnen und Senioren werden dort hingekarrt. Man spaziert gemächlich die kleine Runde um den See, dann geht es in den Biergarten oder ins Seecafé. Das ist Bayernromantik pur für betagte Tagestouren aus München, Rosenheim usw., und das ist auch völlig in Ordnung so.
Mit dem Höglwörther See verändert sich in meiner Liste auch der „östlichste“ See im Bezirk Oberbayern, das war bisher der Waginger See, jetzt ist es dieser. Zudem ist es der erste im Landkreis Berchtesgaden


Davon aber ist bei meinem Besuch rein gar nichts zu sehen. Ich bin überrascht, an einem Samstag Mittag nicht nur einen Parkplatz fast vor dem Loch zu finden, sondern auch eine fast leere Freizeitwiese an einem der vier offiziellen Badeplätze, kaum Leute sind am oder im Wasser, nicht mal ein Dutzend, die meisten betagte Genussbrustschwimmer. Die Jugend findet offenbar seltener ihren Weg an den Höglwörther See, vielleicht auch, weil es hier sehr behäbig zugeht – keine Action, keine Party, keine Beachbarstimmung, keine Rutschen, kein Sprungturm, keine Badeinsel, kein Volleyballfeld, keine SUPs, kein Dies nicht und kein Das nicht.
Wesentliche Teile des Ufers sind Schutzzonen. Was will man da?


Meine Antwort wäre: Schwimmen, baden, genießen, abschalten, eintauchen in eine Idylle, eine gewisse Zeit lang mal den ganzen Alltagsscheiß komplett hinter sich lassen.
Ich entscheide mich, auf dem Rundweg an der Freizeitwiese am Strandcafé Halt zu machen, im weiten Bogen zu den anderen Badeplätzen zu schwimmen, dann noch ein wenig mehr und anschließend auf der waldigen Südseite des Sees zum Parkplatz zurückzulaufen.

Nahezu menschenleer sind der Badeplatz und die Freizeitwiese. So mag ich das. Das Wasser ist angenehm warm und ziemlich klar. Immer wieder schwimme ich über Teppiche aus Unterwasserpflanzen, die Licht und Luft entgegenstreben.

Mein Schwimmweg hat zur Folge, dass ich die Halbinsel, auf der ein barockes, ehemaliges Kloster steht, umschwimme. Das alte Kloster, das 1817 säkularisiert wurde und heute einer Brauerei gehört, dominiert das Bild, die ehemalige Klosterkirche gehört jetzt als Filialkirche zur Gemeinde Anger, der übrige Teil des Klosters schaut allerdings etwas „heruntergekommen“ aus, soweit ich das vom Wasser aus beurteilen kann. Aber der Blick ist einfach phantastisch.

Fast ist man versucht, das Ganze als vollendeten Disneyland-Kitsch abzutun – wäre es nicht echt. Aus dieser Perspektive, direkt am östlichen Badeplatz ist das Kloster sicher schon tausende Male fotografiert worden, macht nichts, ich ergänze es um weitere 50 Bilder, die sich vielleicht von den meisten anderen nur dadurch unterscheiden, dass sie nicht vom Land sondern vom Wasser aus gemacht wurden.
Mit dem Höglwörther See verändert sich auch der „östlichste“ See im Bezirk Oberbayern, das war bisher der Waginger See. Zudem ist es der erste im Landkreis Berchtesgaden. Es ist halt nicht mehr gerade so ums Eck.

Dann geht es wieder zurück durch den See. Mittlerweile steht ein Sonnenschirm auf dem kleinen Steg, tatsächlich sind ein paar Menschen gekommen, die es sich vermutlich genauso wie ich, einfach gut gehen lassen wollen.
Für mich bedeutet das nach dem Abtrocknen einen Milchkaffee und ein Stück Kuchen auf der Terrasse des Strandcafes zu mir zu nehmen, die fulminante Aussicht inklusive.

Bleibt die Frage: Wenn Nr. 99 schon so die Wucht war, wie wird dann erst der Hundertste?
Das sollte schon ein ganz besonderer See sein, ich weiß noch immer nicht, welchem ich die Ehre gebe bzw. er mir.


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2 Antworten

  1. Linsenfutter sagt:

    Klasse Bilder. Super getroffen.
    LG Jürgen

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