Spaziergänge (#07): Wir haben erst Februar…
„Wir haben erst Februar“, erwidern die einen, nachdem die anderen sich beschwert haben, dass es schon wieder geschneit hat.
„Mal ehrlich… das hätt’s jetzt nicht mehr gebraucht, oder?“ raunt mir Günther zu, als ich am Sonntagmorgen den Schnee aus er Einfahrt schaufle und er die Frühstückssemmeln holt.
„Nein“, antworte ich, „wahrlich nicht.“
Sehnsüchtig erwarten alle den Frühling. Ein paar Vögel haben schon mal keck gezwitschert, es ist morgens und abends länger hell. Schneeglöckchen, Winterlinge und Krokusse wurden beim Blühen ertappt… und dann das. Einen Samstag lang schneit’s und wieder liegen das Dorf und das Land unter einer weißen Decke.
„Wir haben erst Februar…“ will ich sagen, doch die Alten würden einwerfen, dass es früher bis weit in den März geschneit hat. „Ja sogar im April noch.“
„Und sogar noch im Mai…“ will sich einer erinnern und erzählt von dem Früher. Das tun die Alten immer.
Früher, das war, als die Winter noch richtige Winter waren, man zufrieden mit dem Wenigen und Kargen war, was man hatte, wenn man denn überhaupt etwas hatte.
„Wir hatten ja nichts!“ So hört man es dann und wagt nicht den Einwurf: „Doch: Schnee. Bis weit in den April.. Und einen Wald, wo man Holz holen konnte, wenn man sich ein paar Schuhe schnitzen sollte.“
Statt über den Schnee zu fluchen und wie so ein Autofahrer zu lamentieren kann man sich auch einfach der Witterung stellen, dicke Schuhe und eine Jacke anziehen, und spazieren gehen. Es reicht, morgen früh wieder auf der Autobahn rumzumeckern, dass es den Schnee nun wirklich nicht mehr gebraucht hätte, und warum wieder so viele Idioten unterwegs sind, die einfach nicht Auto fahren können.
Nichts liegt Sonntag Mittag ferner als der Montag. Also: Ab ins Holz und einen sonntäglichen Mittagsspaziergang machen. Wenige Schritte trennen uns. Es ist jedes Mal ein Eintauchen in eine andere Welt – und die liegt direkt vor unserer Haustür. Da kann man noch so oft im Holz spazieren gehen, mit dem Bike herumflitzen, joggen, jeden Weg und jeden Winkel kennen – der Wald ändert sich ständig, hält immer wieder Überraschungen bereit. Das gilt erst recht, wenn er unter schwerem, nassen Schnee zugedeckt ist. Dumpf wird alles, weich. Kein Murmeln der Bäche ist zu hören.Kein Rauschen des Windes in den Baumwipfeln, kein Knacken dürrer Äste, auf die man getreten hat. Ein leises Knirschen bei jedem Schritt, das ist alles. Oft ist es nicht mal das. Von der Staatsstraße ist auch nichts zu hören. Nur einmal ein Flieger, der zur Landung auf den nahegelegenen Flughafen München ansetzt. Gelegentliches Husten unterbricht die Stille. Eine Erkältung droht, sich festzusetzen. Die kalte, feuchte Luft tut erstaunlich gut. Das Husten wird weniger, wird leiser. Es war klug, heute nicht schwimmen zu gehen.
Warum kann man nicht immer so leise husten wie im Wald? Warum nicht im Kino und erst recht nicht im Theater?
Der Schnee drückt die Zweige herunter, so manches Mal müssen wir uns sehr bücken, um den Pfad zu passieren.
Spuren von Hasen und Rehen sind im Schnee zu sehen. Und Fußabdrücke. Wir sind nicht die ersten, die heute hier spazieren gehen. Irgendwer war schon da.
Aus den Baumkronen und -wipfeln fällt immer wieder Schnee herunter, mal wie ein silbrig flirrender Staub, ein Vorhang fast. Dann wieder Klumpen, dass man meinen könne, jemand habe einen Schneeball geworfen.
Milchig grau ist der Himmel, ein Hauch von Blau, die Sonne müht sich redlich, zu uns durchzustoßen, es will ihr nur für wenige Momente gelingen. Aber sie gibt nicht auf.
Nicht weit entfernt schlägt die Kirchturmglocke, erst vier mal, dann einmal dumpf: Ein Uhr.
Ein Blick aus dem Wald heraus über die kahlen Felder. Das Dorf. Es ist nicht weit bis daheim, aber das war es nie. Außer vielleicht in unserer Phantasie… Da sind wir ganz woanders. Im Wald. In einer anderen Welt.
An einem Sonntag im Februar.
Vielen Dank fürs Lesen.
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Sehr schön! Und genau, meckern können wir morgen wieder.