Wacka ma wat holen
Wer in Business-Hotels privat übernachtet, genießt den Vorteil, am Frühstücksbuffet zu sein, wenn der Großteil der Messe-, Tagungs- oder Geschäftsreisenden längst dem Tagewerk frönt. Dann herrscht Ruhe, die Platzauswahl ist immens und so entschließen wir uns, als wir vor kurzem in Hagen in einem solchen Hotel zu Gast waren, den lauschigen Vierertisch in der Ecke zu nehmen.
Dieser Ecktisch hat nicht nur den Vorteil, dass er einigermaßen Schutz bietet. Wer kennt nicht das unbehagliche Gefühl, mitten im Raum zu sitzen und keine Wand im Rücken zu haben, stattdessen vielleicht sogar noch die Tür?
Das kann Dich, wenn es dumm läuft und bei Wild Bill Hickok lief es saudumm, das Leben kosten. Ungefähr so verhielt es nämlich, als er mit zwei Assen (oder waren es zwei Buben?), zwei Achten und einer Dame pokernderweise in der Goldgräberstadt Deadwood in einem Saloon über den Haufen geschossen wurde und damit dieser Kartenkombinaton den bezeichnenden Namen Dead Man’s Hand den überaus passenden Namen gab.
Zurück zum Thema: Der zweite Vorteil ist, dass das Buffet in großer Nähe zu unserem Tisch ist. Die Wege sind kurz und da sich außer uns kaum noch wer im Restaurant befindet, verspürt man auch nicht die Belästigung durch das Gedränge und Geschiebe am Buffet, das sich bisweilen bis zu den Sitzplätzen an den Tischen ausdehnt. Jetzt aber herrscht großzügige Leere.
Bleibt der dritte und eigentlich relevanteste aller Vorteile: Am Nebentisch sitzen Harald und Renate.
Wir erkennen das auf den ersten Blick. Man entwickelt für Renates eine gewisse Routine, wie ja viele der Stammleser das mittlerweile auch haben. Und in Hagen scheint die Renate-Dichte exorbitant hoch. Dabei gehört das im Hotel entdeckte Exemplar sicher nicht zu den Einwohnern. Sonst würden Renate und Harald wohl kaum ein Wochenende im Hotel verbringen. Aber wer weiß das schon?
Auf jeden Fall aber müssen wir uns natürlich direkt daneben setzen, das bin ich als Chronist meinen Lesern schuldig.
Harald und Renate haben sich hinter Zeitungen verschanzt. Jeder liest einen Teil. Plötzlich faltet Renate ihren zusammen und bemerkt: „Ich geh ma wacka wat vom Obst holen!“
Damit outet sie sich als Hiesige bzw. Dortige, denn wacka ma wat holen sagt man nirgends sonst in der Welt. Nur im Revier und den angrenzenden Gemeinden.
Spricht’s, erhebt sich und stapft in ihren Sandalen (keine Trekkingsandalen!), ihren weinflaschengrünen Shorts, aus der gut eingewachsene, üppig behaarte Beine herausragen und ihrem roten schulterfreien Top zum Buffet.
Harald brummelt ein „Ist gut“ hinter der Zeitung hervor.
Ich beobachte ein wenig fassungslos Renate, wie sie an unserem Tisch vorbei zum Buffet geht.
„Moment…“, denke ich. „Wir sind doch nicht auf Malle!“ Wo eine Stunde zuvor noch Business-Chic im Sparkassen-Dresscode-Charme herrschte (gedeckte Kombination mit hellblauem Kurzarmhemd wegen der Hitze, das Sakko ordentlich über der Stuhllehne gehängt) schlurft jetzt Renate durch den Raum wie ein gruppenreisender Pauschaltourist.
Soll sie. Hier darf sie das, in jeder anderen Stadt wäre sie in einem Hotel dieser Kategorie vollkommen underdressed und würde mit abschätzigen und vernichtenden Blicken der anderen Gäste und des Personals bedacht werden… bis doch noch einer eine Bemerkung macht. Nicht so in Hagen. Da ist man das offensichtlich gewohnt.
Ich erhebe mich und folge, denn ich könnte eigentlich auch wacka ma wat von dat Obst holen, kriegse ja sons nich und is doch auch lecka. Während ich Renate folge erinnere ich mich an große Schilder in diversen Urlaubsgebieten, die sich an die Touristen richten, um ihnen klar zu machen, dass man bestimmte Gebäude oder auch Stadtviertel modestly dressed zu beteten habe.
Und ich denke daran, wenn derzeit über ein Hotpants-Verbot für Mädchen in Schulen diskutiert wird, weil das angeblich so übererregend ist, dass man vielleicht auch Kleidervorschriften für die etwas reifere Person erlassen könnte, denn auch dieser Anblick ist leicht übererregend – wobei es sich selbstverständlich um eine andere Form der Erregung handelt.
Ich komme schräg hinter Renate am Buffet zu stehen. Sonst ist niemand da. In einer Viertelstunde endet die Frühstückszeit. Renate haut sich zwei große Löffel Joghurt in die Schüssel, dann plündert sie den Obstsalat.
Nun gehört es zum Prinzip eines frischen Obstsalats, mehrere Arten von Früchten hineinzuverarbeiten. Die einen sind eher schnöder Füllstoff (z.B. Äpfel), die anderen sind sozusagen die Rosinen (Erdbeeren, Wassermelonenstückchen usw).
Ich diesem Fall stimmt sogar auf’s Wort, nur dass die zukünftigen Rosinen noch nicht getrocknet sind, sondern es sich um frische, dunkle Weinbeeren handelt. Noch bevor sie aber so vertrocknet sind wie Renate und in die Tüte kommen, wurden sie von der Traube gepflückt und werden jetzt zur Vernaschung dargereicht.
Und die Beeren scheinen es Renate besonders angetan zu haben. Also fischt sie in der Schüssel jede einzelne noch verbliebene Frucht heraus. Mühsam schichtet sie den Salat um, gräbt und sucht penibel, ob nicht irgendwo noch ein Beerchen sich ihrem Zugriff verweigert haben könnte. Natürlich hat sie mich dabei längst wahrgenommen, sie sieht, dass ich warte, auch zum Zuge zu kommen.
Das ficht sie aber nicht an. Es wird weiter gegraben. Hier noch eine, da noch eine… und dann ist sie fertig. Jetzt hat sie sie alle. Schnell greift sie noch die beiden letzten verbliebenen drei Scheiben Wassermelone von der Platte daneben, dann hat sie ganze Arbeit geleistet.
Während sie sich zurück zu ihrem Mann und ihrem Sitzplatz geht, starre ich betrübt auf den zerpflückten Salat.
So ein paar Beeren hätte ich auch gern gehabt. Angesichts der fortgerückten Zeit ist die Wahrscheinlichkeit allerdings gering, dass die vorhandene noch einmal gegen eine frische und vor allem gefüllte Schüssel ausgewechselt wird. Ich lasse jede Hoffnung fahren.
Bleibt für mich die Füllmasse: Apfelstücke, ein paar Honigmelonen-Stückchen und irgendein undefinierbares weiteres tropisches Obst.
That’s life… First comes Renate, than the rest.
Danke, liebe Renate, wir Zukurzgekommenen lieben Dich.
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T´scha Lutz, hättste ma wacka wat von dat Obst vor Renate holen sollen, musste mal ein bissken fixer sein.
Gruß Kurt