Kälte und Grauen – eine Stippvisite in Hinterkaifeck
Die Tage nach Ostern 2021: Kalt ist es, 2 °C zeigt das Thermometer, selbst wenn die Sonne gelegentlich zwischen den Wolken hervorkommt, wärmt sie nicht wirklich. Der Nordwestwind ist eisig und schneidend, immer wieder weht er Graupel heran, in der Nacht auch Schnee. Kälte kriecht durch alle Ritzen, wenn die Jacke nicht richtig geschlossen ist. Aber Kälte strahlt auch der Ort aus. Eiseskälte. Grabeskälte. Und das ist kein Wunder:
Vor 99 Jahren war es auch kalt in den Tagen um Ostern. Schnee lag am Waldrand, der Bauer Andreas Gruber fand am Karfreitag frische Fußspuren hinter seinem Hof, er sah auch in der Ferne zwischen den Bäumen jemanden stehen, der aber, kaum dass er sich bemerkt fühlte, wieder verschwand.
Es war der 31.03.1922 – der Tag, auf den eine grauenhafte Mordnacht folgen sollte. Denn in der Nacht zum 01. April wurden nacheinander der Bauer, seine Frau Cäcilia, ihre Tochter Viktoria und deren Kinder Cilli und Josef umgebracht. Auch die Magd Maria, die erst kurz zuvor den Dienst auf dem kleinen, eher schäbigen und heruntergekommenen Hof von Hinterkaifeck den Dienst begonnen hatte, wurde brutal ermordet. Mit bis zu neun Schlägen mit einer Hacke drosch der Mörder bestialisch auf seine Opfer ein, danach versteckte er die Leichen im Stall im Stroh. Nur das Kind und die Magd blieben erschlagen in ihren Betten im Haus.
Der oder die Mörder wurden nie gefunden. Bis heute ranken sich Geschichten und Spekulationen, Verdächtigungen und Gerüchte um dieses unaufgeklärte Verbrechen.
Viel wurde über diesen Mord geschrieben, er diente als Vorlage für den Roman Tannöd, dessen Verfilmung sowie ein gutes Dutzend weiterer Filme, in denen die Geschichte der unglückseligen Familie Gruber geschildert wird.
Das eigentlich Gruselige an der Geschichte aber ist, dass der oder die Mörder es sich auf dem Dachboden gemütlich gemacht haben, bevor sie in der Nacht zuschlugen. Vier Tage blieb die Tat unentdeckt. Dann erst fand man die Leichenund der Verdacht kam auf, dass die Täter noch längere Zeit auf dem Hof zugebracht haben musste(n).
Ging es um Geld? Wohl nicht, denn das gesamte Ersparte der Grubers fand sich später im Haus. Ging es um Eifersucht? Um Rache?
1923 wurde der Hof abgerissen, heute erinnert ein Martel an die Stelle, an der er gestanden hat. Vier Kilometer weiter liegen die Körper der Ermordeten auf dem Friedhof von Waidhofen. Kopflos.
Denn die Schädel hatte man ihnen im Zuge der polizeilichen Untersuchungen abgetrennt. Mit Hilfe eines Spiritisten, dem man die Köpfe zur Verfügung stellte, hoffte die Polizei, den Täter doch noch dingfest zu machen, nachdem nach unzähligen Ermittlungspannen und -fehlern sich jede Spur im Sande verlor und jeder Hinweis aus der Bevölkerung auf umherziehende Tagelöhner und Vagabundierer sich als falsch erwies.
Die Köpfe der Toten wurden in Augsburg im kriminalistischen Institut verwahrt, statt auch sie zu beerdigen. Warum auch immer.
Ein Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg zerstörte das Gebäude und alles, was darinnen war. Darum müssen die sechs Mordopfer noch immer kopflos in der Erde ruhen und dem jüngsten Gericht entgegenharren. Unter ihnen der zweieinhalbjährige Josef, der in dem Fall möglicherweise eine Schlüsselrolle einnimmt, bzw. die Frage, wer der Vater des kleinen Josef war, denn der Mann von Viktoria Gabriel war im Ersten Weltkrieg gefallen, lange bevor das Kind zur Welt kam.
War es ein Mann aus dem nahegelegenen Weiler Gröbern? War es vielleicht sogar der eigene Vater Andreas Gruber? Es gab viel Gerede, viele Verdächtigungen.
Alles ist gruselig an dem Fall, den besonders ausgiebig Peter Leuschner erforscht und in seinem Buch Hinterkaifeck – Deutschlands geheimnisvollster Mordfall (Afiliate Link zu Amazon) sehr detailliert und kenntnisreich darstellt – inklusive der nachgelagerten Ermittlungen, die sich über Jahrzehnte hinstrecken sollten.
Die Geschichte von Hinterkaifeck ist an sich spannend, besonders aber, da sie eines meiner Buchprojekte, das viel zu lange schon auf Realisierung wartet, streift. Eine zarte Berührung sozusagen, nicht viel mehr, aber es war genug, sich mit dem Mordfall ausgiebiger zu beschäftigen.
Und daher ist es wohl nicht verwunderlich, dass ich, mal wieder nach Waidhofen und Gröbern fahre, als ich ohnehin in der Region bin. Der Zufall wollte es so.
Vom Hof oder irgendeiner Bebauung ist natürlich nichts mehr zu sehen, ein ganz flacher Hügel wölbt sich über der Stelle, wo er einst stand und auf der sich heute ein Acker befindet. Trotzdem ist es inspirierend, an einem solchen Ort zu stehen, die einem so merkwürdig vertraut vorkommt, weil man so viel davon gehört und gelesen hat, und den ich selbst in einem eigenen Projekt, wenn auch nur beiläufig erwähnen werde. Und es ist motivierend, die vor über 20 Jahren begonnene und immer wieder in der digitalen Festplattenschublade versenkte Arbeit endlich zu einem guten Ende zu führen.
Heute ist Hinterkaifeck (zumindest war es in der coronalosen Zeit) ein Zielort für allerlei geführte Gruselwanderungen, vorzugsweise des Nachts, wenn man im Licht von Taschenlampen oder Kerzen am Marterl steht und sich die Schauergeschichten von damals vortragen lässt. Pfadfinder, Jugendgruppen, Sportvereine, Betriebsausflüge – man kam und schauderte.
Strahlt der Ort etwas Bedrohliche, Unheimliches aus?
Nein. Zumindest nicht, wenn man von der ganzen Geschichte, die sich vor knapp hundert Jahren ereignete, nichts weiß. Wenn aber doch, dann fröstelt es einen umso schneller. Ein schneller flüchtiger Blick zum Waldrand: Steht da nicht wer und schaut herüber?
Kalt ist es, 2 °C zeigt das Thermometer, selbst wenn die Sonne gelegentlich zwischen den Wolken hervorkommt, wärmt sie nicht wirklich. Der Nordwestwind ist eisig und schneidend, immer wieder weht er Graupel heran, in der Nacht auch Schnee. Sind Fußspuren darin?
Vielen Dank fürs Lesen.
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Hallo Lutz
Ich warte schon lange auf dieses versprochene Buch, war da nicht auch etwas mit dem seligen Josef Nardini ?
Ja, lieber Kurt. Es wird Zeit. Ich weiß.