Moderne Zeiten

HiKo war damals so etwas wie die gute Seele der Hagener Westfalenpost-Redaktion. Damals, in den 80ern, als ich mir als blutjunger Mitarbeiter während meines Studiums so manche Mark  als freier Mitarbeiter des Lokalteils der Zeitung verdiente.
Sie war Redaktionssekretärin, bediente die zentrale Telefonnummer, nahm Termine entgegen, organisierte den Kalender und kümmerte sich um die Honorare von uns Freien. Von ihr lernte ich viel, wie überhaupt vom gesamten Team in der Redaktion. Doch neben der journalistischen Arbeit wusste HiKo, die vom Lokalchef Herbert P. Reuter nur Fräulein Koslowski genannt wurde, auch, die Redaktion mütterlich zu umsorgen. Auch mit Lebenserfahrungen und gut gemeinten Ratschlägen.
Da war zum Beispiel die Sache mit der Wäsche.

Moderne Zeiten - Wäscheständer in der Rauhnacht

Von ihr, der überzeugten Katholikin, hörte ich das erste Mal, dass das Wäschewaschen zwischen den Jahren, also zwischen Weihnachten und Silvester, Unglück bringe.
Ich schenkte dem wenig Beachtung, empfand das eher als ein skurriles Brauchtum von Menschen, die noch nicht in den modernen Zeiten der Realität angekommen waren. Wissenschaftlich ohne jeden Beleg, Spökenkiekertum und Aberglaube.
Heute wittert die Schnüffelnase dahinter eine Geschichte, eine Story für den Wochenendteil: Alte Bräuche, ihre Wurzeln und ihre Umsetzung in modernen Zeiten. Konkret, hier bei uns…

Rauh, Reif, Nacht - Moderne Zeiten
Die Story gab es nie, vergessen jedoch habe ich ihre Empfehlung nie: Keine Wäsche waschen zwischen Weihnachten und Silvester. Daran gehalten allerdings haben wir uns auch nicht, schon gar nicht, als die Kinder noch klein und die Wäscheberge groß waren. Das prophezeite Unglück blieb aber aus. Zumindest konnte ich keinen kausalen Zusammenhang zwischen einem Kessel Buntem und einem Displaybruch am Handy, einem umgeknickten Knöchel oder einer zahnärztlich zu behandelnden Wurzelentzündung entdecken.

Nicht, dass ich das heute anders sehe, allerdings stoße ich in diesem Jahr auf Twitter mal wieder auf das Thema, ausgelöst von der Bemerkung, kurz vor Weihnachten noch einmal alle Betten abzuziehen und zu waschen. Und schon haben wir sie wieder, die Geschichte von dem Aberglauben, in diesen fünf Tagen auf keinen Fall zu waschen. Ein Hinweis aus dem Hochschwarzwald.
Wäschewaschen zwischen den Jahren bringt Unglück. Dass es auch bedeutet,  dass „Frau 5 Tage Ruhe vor dieser Wahnsinnsarbeit hatte. Also mal mit guten Gewissen 10 min die Füße stillhalten durfte“, ist ein Zusatzeffekt,  wie mir eine andere Twitterbekannte mitteilt. “ Hat mir mal ne seeehr alte Bäuerin erklärt.“
Vielleicht ist es ja auch andersherum, dass der Aberglaube genau diesem Zweck dient und demzufolge besonders geschürt wird, um mal Ruhe zu haben vor den Wäschebergen und den haushaltlichen Pflichten. Wäschewaschen war eben einst eine immense Plackerei.
Wie immer gilt: Cui bono?

Nebel zieht über den Bergen heran. RauhnächteAber wie ist das denn nun?

Es geht in diesem Aberglauben zunächst einmal gar nicht um die Zeitspanne zwischen Weihnachten und Silvester, sondern um die Rauhnächte, und das sind nicht fünf sondern 12, die allerdings regional ganz unterschiedlich im Kalender verortet sind. Sechs vor und sechs Nächte nach der Wintersonnenwende sagen die einen, die anderen datieren sie zwischen Weihnachten und Epiphanias, dem Dreikönigsfest. Gespenster, Kobolde, Geister – alles Mögliche an Gesindel zieht in diesen Nächten umher, auch die Wilden Reiter, die sich einen Sch… um die coronabedingten Ausgangsbeschränkungen scheren. Und wer in dieser Zeit Wäsche wäscht und zum Trocknen aufhängt, läuft Gefahr, dass sich die Wilden Reiter in den Wäscheleinen verfangen, entweder nicht weiterkommen oder so erzürnt sind, dass sie das die Bewohner des Hauses übelst spüren lassen. Und wieder lassen die Spökenkieker grüßen.
Die Berge im Winter - moderne Zeiten

Einer abgewandelten Erzählart zur Folge stehlen die Wilden Reiter die weißen Leinentücher, um sie im Jahr drauf als Leichentücher wieder zurückzubringen.
Und vor allem junge Frauen, die ihre weiße Wäsche zum Trocknen in die Wintersonne aufhängen, seien, so raunt man sich zu, besonders gefährdet, da diese Wäsche erst Recht die Wilden Reiter anlockt, die dann die Wäschestücke stehlen.  Womit man den Wilden Reitern unterstellt, auch noch eine gewissen Wäschefetischismus zu besitzen.  Oder will man(n) nur von sich und seinen eigenen lüsternen Trieben ablenken? Wer weiß schon, wer an der Leine feine Beute gemacht hat…
Wie gesagt: Cui bono?

Und wie löst man sowas?

Heutzutage in den modernen Zeiten ist das Problem des Waschverbots,  das ja eigentlich nur eine folgerichtige Konsequenz des Wäscheaufhängverbots ist, schnell gelöst. Zum Einen dadurch, dass weiße Wäsche nur noch einen gewissen Anteil an der Garderobe hat – und weiße Bettwäsche außer in Hotels und Krankenhäusern wohl auch eher selten verwendet wird. Ein kurzer Blick in die entsprechende Fachabteilung der entsprechenden Händler (momentan nur online) weist da deutlich mehr Buntes auf.
Hat man je gehört, dass sich wilde Reiter an bunter Bettwäsche erzürnt hätten?
Na, sehen Sie!

Zum anderen hängt heute im Winter wohl kaum noch jemand Wäsche auf lange Leinen rings ums Haus auf. Möglich, dass das in Zeiten des Klimawandels in Zukunft wieder öfter passiert, aber wer heute in der Zeit der Rauhnächte wäscht, hat seine Wäsche wohl eher auf dem Ständer irgendwo im Haus, auf dem Speicher oder im Keller zum Trocknen. Und da reiten keine Wilden Horden. Zumindest habe ich noch nie davon gehört. Und ich habe in meinem Leben schon viel Absurdes vernommen.

Wäscheklammern warten auf ihren Einsatz. Moderne Zeiten

Aber selbst wenn: Wie klein möchten diese Reiterlein wohl sein, wenn die sich im Wäscheständer verfangen statt ihn einfach umzutrampeln…

Noch eleganter entgeht man der Gefahr einer Auseinandersetzung mit diesen Gesellen, wenn die tatsächlich den Ringgeistern im Herrn der Ringe ähneln, wenn man die Wäsche gar nicht erst aufhängt sondern gleich in den Trockner stopft. Denn da verfängt sich ganz sicher kein Geist in ihr. Wie auch. Er kommt da nicht rein, passt da nicht rein und einen wilden Ritt kann er auch nicht machen. Eher eine Karrussellfahrt.

Das Einzige, was sich meiner Kenntnis nach im Wäschetrockner verfängt, sind alte Tempotaschentücher, die noch in irgendeiner Hosentasche steckten. Und manchmal ein Euro.
Womit wir uns von diesem Aberglauben verabschieden könnten.
Auch seine Funktion ist sinnlos geworden, denn eine Maschine Feinwäsche wäscht sich ja fast wie von selbst. Plackerei kann man das wohl nicht mehr nennen.
Und die werde ich jetzt mal schnell auf den Ständer hängen.
Oder raus?
Die Sonne scheint gerade so schön.

Oder lieber doch nicht?
Man kann ja nie wissen, ob nicht doch…

 


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Aber… weiß man’s?

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