Kein Krieg gegen Kinder! – Zum Weltkindertag
Eigentlich ist die Einschränkung falsch. Keinen Krieg gegen Kinder zu fordern, würde ja auch bedeuten, dass ein Krieg gegen Kinder besonders schlimm, besonders grausam ist, aber im Umkehrschluss könnte man dann fast daraus ableiten, dass ein Krieg gegen Menschen anderen Alters nicht ganz so furchtbar wäre. Krieg ist immer vorbehaltlos furchtbar. In der Dimension eines Krieges fängt es irgendwann an, sinnlos zu werden, über die graduellen Unterschiede zu sinnieren.
Heute ist Weltkindertag. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, auf Kinder als Kriegsopfer und auf ihre Schicksale hinzuweisen. Nicht, um ihnen einen Namen oder ein Gesicht zu geben. Das muss ich nicht. Namen und Gesichter haben sie alle, oder hatten sie. Alle hatten sie Geschichten. Alle hatten sie auch eine Zukunft, Träume, Hoffnungen – bis zu dem Tag, an dem sie im Krieg getötet wurden. Durch Mörserbeschuss, Brandbomben oder Scharfschützen.
Stellvertretend für die Kriege dieser Welt habe ich hier sehr kurze Geschichten von Opfern zusammengestellt, die während der Belagerung von Sarajevo 1992 bis 1995 zu Tode gekommen sind. Das hat mehrere Gründe.
Zum Einen: Es gibt eine gute Quellenlage, auf die ich zugreifen kann. Zum Anderen: Unsere Bosnien-Herzegowina-Reise führte uns im Sommer kreuz und quer durch dieses Land. Alle, die meinen Blog in den vergangenen zwei Monaten besucht haben, werden das mitbekommen haben. Es gibt eine lange Serie dazu. Wir waren auch in Sarajevo, einer Stadt, die mich in all ihrer Vielschichtigkeit vollkommen begeistert hat, ihre Tragik und die Traumata der Belagerung, die heute noch an allen Ecken und Enden zu spüren sind, wie auch die tiefen Narben rühren mich an.
Wie auch die Schicksale der Menschen in der einst belagerten Stadt.
Die folgenden Bilder und Schicksale habe ich dem Twitter/X Account SniperAlleyPhoto entnommen. Hinter dem Account und der Webeite Sniper Alley Photo steckt ein Mann aus Sarajevo. Seine Mission: „Sniper Alley Photo is on a noble mission to collect, archive & preserve photos of world-renowned photo journalists who covered the Siege of Sarajevo 1992-1996.“ Auf seiner Internetseite erzählt Eigentümer Dzemil, Jahrgang 1983, auch seine eigene Geschichte, wie er als Kind Krieg und Belagerung erlebt hat und wie sein Bruder vor seinen Augen von einem Scharfschützen 1995 erschossen wurde.
Dzemil hat es sich zur Aufgabe gemacht, Bilder von Fotojournalisten auf dieser Seite zusammenzutragen, nichts, was geschah, darf vergessen werden
Darüber hinaus aber hat er auf Twitter eine Art Erinnerungswand zusammengestellt mit hunderten Bildern von im Krieg in Sarajevo getöteter Kinder und Jugendlicher. Er hat sich dies von den Angehörigen berichten lassen und in kurze Tweets gefasst, in denen er schildert was passiert ist. Und er hat Bilder der getöteten Kindern von den Familien dafür bekommen. Ich halte es für legitim, hier aus dieser Zusammenstellung einige Beispiele zu zeigen, und damit vielleicht einen winzigen Beitrag zu leisten, das Geschehene im öffentlichen Raum zu halten und daraus zu lernen.
Aus rechtlichen Gründen halte ich es für problematisch, Bilder der Fotojournalisten zu verwenden, das unterlasse ich, ein Klick auf den obigen Link führt in Dzemils sehr beeindruckende Sammlung. Ein lohnenswerter Klick, schon um der Bilder selbst willen.
Zu den Kindern: Wahllos habe ich 10 von ihnen herausgesucht aus dem Twitteraccount. Ich zeige hier die Fotos und habe die Posts übersetzt. Die Auswahl erfolgte zufällig und unsystematisch, die Bilder stehen in keiner geordneten Reihenfolge.
Und das sind die übersetzten Posts zu den Bildern:
ADNAN KUNOVAC wurde am 8. September 1992 getötet. Er half seinem Nachbarn, als die #Serben sie ins Visier nahmen. 6 Menschen wurden getötet: Adnan, seine Mutter Refija, sein Großvater Asim und drei Nachbarn. Viele wurden verletzt, darunter auch Adnans Bruder Mirza.
Adnan war 13 Jahre alt.
AIDA GROZDANIĆ wurde am 12. September 1992 bei der Vorbereitung eines Theaterstücks in ihrer Nachbarschaft getötet. Die serbischen Streitkräfte zielten auf die Menge und sie wurde am Kopf getroffen. Ihr 1983 geborener Freund Eldin Gvožđar wurde bei demselben Angriff getötet.Aida war 11 Jahre alt.
ALMA TOTIĆ wurde am 6. September 1992 getötet, als sie mit ihren Freunden in ihrem Gebäude spielte. Bei diesem Mörserangriff wurden zwölf Kinder verletzt. Während des Krieges wurde ihre Großmutter Zahida getötet, Serben erhängten sie in ihrer Wohnung in Grbavica.
Alma war 12 Jahre alt.
AMIR ŠORLIJA wurde am 10. September 1992 getötet. Er war bei seinem Vater, als die serbischen Streitkräfte sie ins Visier nahmen. Er wurde am Kopf getroffen und starb. Sein Vater Zahir wurde an diesem Tag verletzt und starb 1997 an diesen Verletzungen.
Amir war 18 Jahre alt.
BELMA TABAKOVIĆ wurde am 6. September 1992 getötet. Es war ein Waffenstillstandstag und sie ging mit ihrer Schwester und ihrer Cousine zum Spielen. Sie gerieten ins Visier der serbischen Streitkräfte. Sie wurde am Kopf getroffen, Cousin Benjamin kam ebenfalls ums Leben und Schwester Elma wurde verletzt.
Belma war 9 Jahre alt.
BENJAMIN TABAKOVIĆ wurde am 6. September 1992 getötet. Er spielte mit seinen Cousins, als die serbischen Streitkräfte sie ins Visier nahmen. Er und seine Cousine Belma wurden getötet, ihre Schwester Elma und seine Mutter Azra wurden verletzt.
Benjamin wurde drei Tage nach seinem zweiten Geburtstag getötet.
DAMIR LOKVANČIĆ wurde am 1. August 1992 schwer verwundet. Nachdem er bei einem der vielen serbischen Mörserangriffe verletzt worden war, wurde er zur Behandlung nach Split, Kroatien, verlegt. Leider verstarb er am 28. August an seinen Verletzungen.
Damir war 15 Jahre alt.
EDINA ZUKANOVIĆ wurde am 24. August 1992 getötet. Sie war zu Hause bei ihrer Mutter und ihrem Bruder, als ihr Haus von den serbischen Kräften angegriffen wurde. Sie wurde ins Herz geschossen und starb auf der Stelle. Ihr Bruder wurde verletzt.
Edina war 15 Jahre alt.
ELDIN GVOŽĐAR wurde am 12. September 1992 getötet. Er spielte vor seinem Gebäude, als er während der Belagerung von Sarajevo bei einem der vielen serbischen Mörserangriffe getötet wurde. An diesem Tag wurde auch seine Freundin Aida Grozdanić, geboren 1981, getötet.
ELDINA VELIĆ wurde am 27. August 1992 getötet. Sie wollte sich in einem Schutzraum verstecken, als sie bei dem serbischen Mörserangriff getötet wurde. Eldina wurde vor ihrem Haus ermordet.
Eldina war 11 Jahre alt.
IRHAD BEGIĆ wurde am 8. September 1992 getötet. Irhad stand vor seiner Haustür und sprach mit seinem Nachbarn, als der serbische Scharfschütze ihn erschoss. Er wurde am Kopf getroffen.
Irhad war 12 Jahre alt.
JASNA und SAMIRA RAHMAN wurden am 7. September 1992 getötet. Zwei Schwestern schliefen, als sie bei einem der vielen #serbischen Mörserangriffe getötet wurden. Während der Belagerung von Sarajevo. Auch ihre Cousins, Arif und Nedim Rahman, wurden getötet.
Jasna war 17 und Samira 14 Jahre alt.
LEJLA MUJKANOVIĆ wurde am 8. September 1992 getötet. Sie spielte mit ihren Freunden, als die serbischen Streitkräfte sie ins Visier nahmen. Lejla wurde am Kopf getroffen und starb zwei Stunden nach ihrer Verletzung im Krankenhaus.
Lejla war 13 Jahre alt.
MIRELA & MIRZA HOŽBO wurden am 25. August 1992 getötet. Ihr Gebäude wurde mit Brandgeschossen beschossen. Sie wurden lebendig verbrannt. Auch ihre Großeltern, ihre Tante und ihre Nachbarin wurden getötet. Während des Krieges wurden auch zwei ihrer Cousins getötet.
Mirela 1987
Mirza 1989
MUAMER SMAJLOVIĆ wurde am 3. September 1992 getötet. Er war auf dem Weg nach Hause, als ein serbischer Scharfschütze ihn erschoss.
Muamer war 9 Jahre alt.
NIRVANA ZELJKOVIĆ
Ihr Spitzname war Nina, ein 12-jähriges Mädchen aus Sarajevo, das eines der letzten kindlichen Opfer der Belagerung war. Nina wurde am 27. August 1995 schwer verwundet, starb aber leider am 2. September an ihren Verletzungen.
RADE PERIJA wurde am 7. September 1994 beim Spielen vor seinem Gebäude getötet. #Serbische Streitkräfte zielten auf sein Viertel, bei demselben Mörserangriff wurde sein Bruder Darijo verletzt. Während des Krieges verlor sein Vater Ivan ein Auge.
Rade war 9 Jahre alt.
RIJAD GARBO wurde am 28. August 1995 getötet. Er kam beim zweiten Markale-Massaker ums Leben, als die serbischen Streitkräfte einen Marktplatz unter freiem Himmel angegriffen hatten. An diesem Tag wurden 43 Zivilisten getötet, drei davon waren Kinder, Adanan 1979, Dario 1982 und Rijad.
Rijad war 15 Jahre alt.
Diese Liste ließe sich noch sehr lange weiterführen. Ich belasse es dabei. Es sind nur 20 Namen, 20 Kinder, 20 Schicksale. 20 von Tausenden. Nur in dieser einen Stadt, nur in diesem einen Land, nur in diesem einen, drei Jahre dauernden Krieg.
Eine Stadt von vielen, ein Land von vielen, ein Krieg von vielen.
Wenn ich das hier heute veröffentliche, dann als Dankbarkeit, in welch unglaublichem Privileg wir hierzulande leben, verschont zu sein von solchem Gräuel. Das sollte uns eigentlich Verpflichtung genug sein, uns denen, die dieses Privileg nicht haben, zuzuwenden.
Aber ich schreibe dies auch in tiefer Unruhe, wie leichtfertig übersteigerter Nationalismus, wieder erstarkender Faschismus, und Rassismus in Europa all das aufs Spiel setzen; und mit welcher unfassbaren Arroganz und Ignoranz Menschen anderen Menschen jegliches Recht absprechen, vor Krieg und Mord bei ihnen Schutz zu suchen und sie am liebsten weiß Gott wo verrecken lassen würden, weil sie dann keine gefühlte Bedrohung für den eigenen Wohlstand und die Sofabequemlichkeit darstellen.
So was kommt nämlich von sowas.
Und es trifft immer alle.
Auch die Kinder.
Vor allem die.
Überall in der Welt.
Vielen Dank fürs Lesen.
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Eine Dokumentation, die unter die Haut geht. Bei den Beschreibungen finde ich es kontraproduktiv, dass immer die Nationalität des Täters angegeben wird (Serbe). Sogleich meldet sich die Erinnerung an gleiche ebenso scheußliche Taten, die von Menschen anderer Nationalität, auch von der dieser Opfer, begangen wurden. Ich war Patin für serbische Kinder, deren Familien in Bosnien umgebracht wurden…. Nicht aufrechnen! Keine Nation stigmatisieren! Sondern jedes Schicksal für sich beweinen und schwören, nie nie für Krieg zu stimmen und sich an Waffenlieferungen zu beteiligen.
Schon nach wenigen Bildern in der Galerie hatte ich so viele Tränen in den Augen, dass ich die nächsten Kinder sehr verschwommen sah – da musste ich erst einmal anhalten und warten, bis ich weiter ansehen konnte. – Ich habe vor Jahren als Physiotherapeutin in einem großen Berliner Klinikum gearbeitet und kam dort oft auf die Station, wo Kinder chemotherapiert wurden und nach einiger Zeit gestorben sind – das brachte mich schon oft an meine Grenzen – aber hier, wo es durch so sinnlose Kriege passiert, kann ich es so viel weniger begreifen und akzeptieren. – Ich war fast 20 Jahre lang beim Berliner Großelterndienst als Wunschoma tätig, weil ich Kinder so unglaublich gut finde.
Danke für den Beitrag – trotz aller Traurigkeit.
Hallo Lutz, deine Reise im Sommer hab ich immer mal wieder „begleiten“ können hier im Blog. Mein Like für deinen Artikel: weil ich dir dankbar bin fürs Erinnern und dass du genau hingeschaut hast in Sarajevo.
Wie sind wirklich sehr privilegiert.
LG aus dem Zug
Petra