Beim Bäcker hinterm Hanswurst
Dass die Deutschen eine geradezu aberwitzige Liebe zur Artenvielfalt bei der Brotbackkunst haben, wurde sicher schon oft thematisiert. Das muss ebensowenig wiederholt werden wie die schier grenzenlosen Varianten an regional unterschiedlichen Begriffen für ein und dasselbe Backwerk.
Nun macht es die Riesenauswahl nicht gerade leicht, treffsicher zum Frühstück das Richtige zu kaufen, damit die daheim vor gedecktem Tisch wartenden Lieben auch das bekommen, nach was ihnen gerade gelüstet. Der eine mag die Kaisersemmeln, der andere die Schrippen am liebsten. Besonders Verwegene streichen sich Nutella auf die Breze (ohne Schluss l!) oder garnieren Gurkenscheiben auf das mit Käse belegte Sonnenblumen-Mehrkorn-Vital-Brötchen.
Muggerl, Röggelchen, Wachauer, Knopf, Kartoffelbrötchen, Brezensemme, Milch-, Laugen-, Roggen-, Hafer-, Vollkorn, Hirse-, Dreikorn-, Selen-, Mehrkorn-, Dinkel- und Vitaminbrötchen mit oder ohne Sonnenblumen, Sesam, Mohn, Käse… das Angebot ist riesig. Und da sind die ganzen Backwaren mit Migrationshintergrund noch gar nicht drin: Mazzen, Croissants mit den unterschiedlichsten Füllungen, Baguettes, Cibattas, Foccacia und was nicht sonst noch alles der globalisierte Bäcker bevorratet. Von gluten-, lactose- und sonstwie allergenfreier Nahrung brauchen wir gar nicht zu sprechen.
Diese immense Produktvielfalt hat aber auch erhebliche Nachteile. Dann nämlich, wenn man einen oder mehrere wenig routinierte Sonntagseinkäufer vor sich hat.
Diese Hanswürste kennen sich überhaupt nicht aus und wissen auch nicht, was die Familie daheim am liebsten isst. Oder wenn sie es wissen, aber das Objekt der Begierde bereits ausverkauft ist, wissen sie nicht, was möglichst ähnlich schmeckt und stattdessen gekauft werden soll. Dann stehen sie wie der Ochs vorm Berge vor der Auslage, beten um Erleuchtung und starren das Brot an, derweil die Schlange der Wartenden die nächste Häuserecke erreicht. Und ich steh direkt hinter so einem und komme nicht weiter.
Aber ich muss Verständnis haben: Die Enttäuschung der Daheimgebliebenen bei Fehlkäufen kann nicht nur dafür sorgen, dass das sonntägliche Frühstück zu einem Drama mutiert; sie kann auch den Rest des Tages verhageln. Also zögern die Hanswürste beim Einkauf wie der Bombenentschärfer, ob er nun das rote oder das grüne Kabel durchzwicken muss. Schweißperlen bilden sich auf der Stirn und in den Achselhöhlen. Der Effekt der morgendlichen Dusche ist gleich Null. Gut, dass wenigstens das Deo frisch aufgetragen ist.
Dass es mir den Tag auch verhageln kann, hinter einem dilettierenden Sonntagseinkäufer stehen und warten zu müssen, daran denkt natürlich niemand. Ich habe Hunger, der Tisch ist gedeckt, Kaffee und Ei werden kalt, wenn dieser Vollidiot nicht mal langsam in die Gänge kommt.
Statt vorbereitet zu sein (zur Not mit Einkaufszettel) steht wieder so ein Honk (Hanswurst ohne nennenswerte Kaufbefähigung) vor mir und fängt an, ausgiebig zu überlegen.
„Ich nehme das da,“ murmelt er und drückt mit seinem dicken Fleischwurstfinger von außen auf die Scheibe der Auslage.
„Kartoffel?“ fragt Maria, die Verkäuferin, die natürlich nicht erkennen kann, auf was der Kunde gerade gezeigt hat.
„Wie? Kartoffel?“ fragt der produktunkundige Kunde zurück. „Ich dachte, das wäre ein Selenbrötchen. Dann nicht.“
Er zögert, sie legt die Kartoffelsemmel zurück in die Auslage bleibt aber halb in der Theke hängen, denn jetzt kommt ja endlich die Entscheidung… und die Bestellung.
„Dann lieber das. Davon drei. Und dann noch von denen da…“ Und wieder batscht er auf die Scheibe. Sie krümmt sich, um eine Blick auf das zu erhaschen, wohin er zeigt.
Maria fischt mit der Zange zusammen, was der Hanswurst haben will und stopft es in eine Tüte.
„Und dann noch drei Croissants. Von den gefüllten… nein warten, Sie, die ungefüllten. Und eine Laugenstange. Die mit ohne Käse drauf. Oder doch besser die mit?“
Hätte dieser Hanswurst nicht all das überlegen können, bevor er an der Reihe ist? Schließlich hat der auch geraume Zeit warten müssen.
Nein – hätte er nicht. Ich balle die Faust in der Tasche.
Wie kann man solche Leute nur alleine zum Einkaufen schicken? Eine Zumutung – wenn das so weitergeht, komme ich sogar zur Sendung mit der Maus zu spät. Nicht, dass ich das sehen will, aber das ist so eine sonntägliche Zeitmarke wie abends die Tagesschau.
Geduldig packt Maria alles in die große Tüte und notiert, da es zunehmend unübersichtlich wird, schon mal die Preise.
Als er endlich fertig ist, fragt er sie: „Wie viele Teile habe ich denn jetzt?“
„Acht,“ antwortet sie mit dem Ausdruck größtmöglicher Gelassenheit.
„Dann tun Sie lieber noch mal eines hiervon und dann noch das da mit rein.“
Sie quetscht ein Dinkel- und ein Mehrkornbrötchen dazu. Der Kerl muss vermutlich daheim eine Kompanie versorgen.
Und dann kommt, was alle befürchtet haben.
„Ich weiß jetzt nicht…“ zögert er. „Können Sie mir schnell noch mal zeigen, was ich alles in der Tüte habe?“
Also schüttet die Verkäuferin stoisch alles wieder aus.
„Ja. Das passt dann so,“ bestätigt der Kunde und fischt nach seinem Geldbeutel.
„Ich glaube, ich hab jetzt alles… Nein halt. Lassen Sie das runde Brötchen weg. Ich nehm lieber ein Längliches. Bitte suchen Sie ein schön knusprig braun gebackenes raus.“
Sie wühlt im Korb, findet eines, hält es ihm vor die Nase und er nickt.
„Wunderbar. Jetzt habe ich wirklich alles.“
„Mitnichten Du Idiot“, denke ich. „Du hast nicht alles. DU! hast SIE nicht alle… NIE“
Wurden Menschen nicht schon für weniger gemeuchelt?
Maria packt alles ein und kassiert. Dann bin ich dran.
„Servus, eine Breze, drei Baguettsemmeln und eine Roggensemmel bitte“, bestelle ich wie aus der Pistole geschossen.
„Also wie immer“, antwortet Maria grinsend. Man kennt sich.
„Ja genau.“
Hinter mir vernehme ich ein kollektives Aufatmen. Der nächste Kunde kann sein Klappmesser wieder schließen.
Keine zwei Minuten später bin ich wieder draußen.
So geht das.
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so ist es – großartig geschrieben :-D Schönen Sonntag und liebe Grüße, Annette :-)
Danke… nicht, dass ich sonntags Eile hätte, aber so ein Verhalten geht doch wirklich zu weit, oder? :)
Genau so ist das mit der Vielfalt. Vor lauter Auswahl weiß man gar nicht, was man kaufen soll, aber die Zeiten als der Nachwuchs frische Brötchen erwartete – bei uns „Weckla“ genannt, die sind vorbei. Deshalb gibt’s bei uns auch meistens sonntags selbst gebackenes Brot, damit das „weg kommt“. Aber der Beitrag ist sehr kurzweilig und amüsant geschrieben. Bei uns gab’s auch immer einheitlich: 4 Brezla, 4 Laugaweckle, 4 Brötla – wie d’r Schwob so schön sagt. Semmeln klingt nach Bayern oder Österreich. Schönen Sonntag!
Wir haben hier eine Eisdiele, die hervorragendes Eis verkauft. Die Schlangen sind an schönen Tagen recht lang, und mit 2 Personen im Verkauf ist der Laden dann schon mal leicht unterbesetzt. D.h. es kann schon mal sein, dass man bzw. die Familie mit den drei Kindern ungefähr 15 Minuten oder auch mehr Zeit hat, sich erstens zu informieren, welche Eissorten heut grad verfügbar sind – das wechselt nämlich – und zweitens auszudiskutieren welches Familienmitglied wieviele Bällchen von welcher Sorte im Becher oder in der Waffel haben soll …
Eigentlich.
Ärgerlich ist doch vor allen Dingen, dass das eine Pseudovielfalt ist. Fast alle Bäcker zwischen Nordsee und Alpen backen die gleichen Teile mit den gleichen Backmischungen. Frisch mit selbst angesetztem Teig wird fast nirgends mehr gebacken. Eine vermeintliche Vielfalt, wenn es bei jedem Bäcker gleich schmeckt.
Unser lokaler Bäcker mit etlichen Filialen rund um den Ort verwendet keine Backmischungen sondern entwickelt alle Brot- und Brötchenrezepte selbst und führt Sauerteige ganz klassisch. Einzig beim Laugengebäck, das nicht ein so großer Umsatzträger bei ihm ist, greift er auf tiefgekühlte Teiglinge zurück. Man kann davon ausgehen, dass im Jahr ein bis zwei neue Brotsorten hinzukommen, und von Zeit zu Zeit auch mal eine wieder aus dem Verkauf genommen wird. Es herrscht also schon echte Vielfalt. Neben wenigen Klassikern, die es ähnlich sicher auch woanders zu kaufen gibt, hat er auch einige Sorten im Programm, die es so oder ähnlich woanders kaum geben dürfte.
Welch ein Luxus in Zeiten von Backshops, Backstationen und Ramschbrötchen beim Lebensmitteldiscounter…
In der Tat… die tiefgekühlten Fabrikteiglinge, die insbesondere in den Backshops im Eingangsbereich von Super- und Lebensmittelmärkten angeboten werden, potentieren die Produktbeliebigkeit ja eigentlich nur noch mehr.
Das Drama ist aber nicht das Angebot.
Das Drama ist, dass die Käufer zunehmend entscheidungsunfreudiger und -fähiger werden nd nicht die Entscheidungsfindung abgeschlossen haben, wenn sie an der Reihe sind. Auch auf die Gefahr hin, mal was Falsches zu kaufen, was eben doch nicht so lecker schmeckt, wie es in der Auslage ausgesehen hat…
Ein Problem, das man auch im Ruhrpott kennt – geht auch mit Wurst!
https://www.youtube.com/watch?v=Ht1nbNtn-BA
Falls der Link nicht funktioniert, einfach bei Youtube „Herbert Knebel Wurstschlange“ eingeben.