Als Tourist daheim (18): Die letzte Fünfer Runde, jetzt habe ich sie alle (Teil 1)
Man kann ja so vieles falsch machen: Zum Beispiel an einem Samstag einen der bedeutendsten touristischen Hot Spots Oberbayerns besuchen, dann nämlich, wenn alle hinfahren. Und wenn der Wetterbericht zusätzlich für diesen Samstag „heiter bis wolkig bei angenehmen Temperaturen“ prophezeit, es am Freitag Bindfäden geregnet hat und auch der Sonntag wieder nasskalt zu werden droht, dann drängt es Urlauber:innen wie Ausflügler:innen umso mehr in die Berge und an die Seen; oder beides gleichzeitig. Zum Königssee zum Beispiel.
Und mich auch, denn der Königssee fehlt mir noch in meiner Fotosammlung – und mit ihm der dahinter liegende Obersee. Es soll meine vierte und zugleich letzte Fünf-Seen-Tour sein, die Seen des Regierungsbezirks zu besuchen. Stationen sind zunächst der Königs- und der Obersee, anschließend der Hintersee und auf der Rückfahrt ein kurzer Stopp am Saalachsee bevor ich mit dem Thumsee die Runde abschließe. Dann nämlich, so bilde ich mir ein, habe ich nicht nur die flächenmäßig größten, sondern auch alle bekannten und beliebten Seen abgeklappert, dazu Dutzende weit weniger bekannte Seen und Weiher in Bayern und kann sagen: „Da war ich schon – denn kenn ich schon! Ich hab sie alle!“
Bei den hoffentlich bald anstehenden Sommertouren wird es dann wieder zuerst ums Schwimmen gehen, dann werden es nicht mehr fünf an einem Tag sein, das ist kaum machbar.
1a. Königssee
Fangen wir mit einem Geständnis an: Ich habe mehrfach nachschauen müssen, ob der Königssee nun Königssee heißt oder nur Königsee mit einem s. Ein wenig peinlich ist das schon, oder?
Um wenigstens ein wenig was richtig zu machen, fahre ich samstags in aller Herrgottsfrühe los. Ich möchte eines der ersten Schiffe in Schönau besteigen, noch bevor die große Karawane anrollt: Nicht auf, sondern vor der Welle her surfen sozusagen. Wie gesagt: Samstags kommen gern alle.
Das gelingt mir zwar nicht ganz, aber noch vor zehn Uhr sitze ich in einem der vielen großen Elektroschiffe und lasse mich mit anderen Gästen an der Echowand vorbei Richtung Südspitze des Sees fahren. Noch ist es nicht gesteckt voll an Bord, noch sitzen wir nicht wie die Ölsardinen dicht gequetscht aufeinander. Das wird eine Stunde später sicher ganz anders sein. Irgendwann wird man das Schiff zugewiesen bekommen, das man zu nehmen hat und lange auf die Abfahrt warten müssen. Hier werden sommers Massen durchgeschleust.
Der Trompeter an Bord bläst in sein Instrument und demonstriert beeindruckend die Echowirkung, anschließend geht er mit einer zur Sammelbüchse umfunktionierten Cap durch die Reihen. Ich spende meinen Obolus für ein „Vergelt’s Gott“, obwohl er nicht Bella Ciao gespielt hat, trotzdem etwas für die Kaffeekasse der Crew und hoffe, dass das Gespielte gema-frei ist, da ich es mit dem Handy filme und hier wieder hochlade. Ich bin heute so Touri, ich fass es selbst nicht. Aber es ist mir auch nicht peinlich:
Es ist nicht das erste Mal, dass ich diese Fahrt mache. Aber es liegt mittlerweile mehr als zwanzig Jahre zurück, dass wir als Familie diesen Ausflug gemacht haben. Fotos von damals sind kaum auffindbar und vorzeigbare schon gar nicht. Das macht aber nichts. Denn diese Bootstour werde ich mit rund 450 Bildern abschließen. Dazu gesellen sich noch mal so viele Bilder von den anderen Seen – vollkommen bekloppt, was man hinter der Kamera so treibt.
Vom angekündigten „heiter“ ist im Moment wenig zu sehen, vom wolkig schon weitaus mehr, was heißt, dass die Spitze des Watzmanns in selbigen verhüllt liegt. Überall hängen Wolkenfetzen in und an den Bergen, was anzuschauen und zu fotografieren allerdings auch seinen Reiz hat. Das ist schwer mystisch, nur eben ist es nicht der See, aber es kann ja schließlich nicht immer nur um das Eine gehen.
Mein Fotowahn nimmt zu, je weiter wir nach Süden fahren, nicht nur der Meine. St. Bartholomä ist das Motiv schlechthin, mit oder ohne Watzmann im Hintergrund. Der Königssee ist ein absolutes touristisches Schwergewicht in Bayern und die kleine Kirche St. Bartholomä setzt dem Ganzen die Krone auf. Gibt es Reiseführer, Bildbände, Fotobücher der Region ohne Bilder von dieser Kirche? Ich kann es mir nicht vorstellen.
Sie ist ein absoluter A-Promi, wohlan: Ich schiebe das Fenster an Bord auf, halte drauf und ballere Foto um Foto auf die Speicherkarte. Wie alle anderen auch. Das meiste kann ich ja später wieder löschen. Weil es noch früh am Tag ist, habe ich das überaus seltene Glück, ein gänzlich menschenleeres Foto hinzubekommen, das allerdings garniert mit zwei orangefarbenen Bauschuttcontainern. Daher hier der Hinweis: So ist es in der Wirklichkeit nicht. In Wahrheit stapfen dort Hunderte herum. Und einen bildstörenden Baukran gibt es auch.
Am Anleger in St. Bartholomä leert sich der Kahn um weit mehr als die Hälfte der Fahrgäste, die paar Euro Extrakosten für die Weiterfahrt nach Salet wollen wohl viele sparen. Für die aber, die auch zum Obersee wollen, ist die Weiterfahrt alternativlos. Die Wanderwege am Königssee führen durch steiles und sehr kompliziertes Gelände, das ist nichts für uns Ausflügler:innen und Tagestouris.
Nicht ganz so oft wie St. Bartholomä fotografiere ich den Schrainbachwasserfall, als wir ihn passieren. 200 Meter stürzt das Wasser dort in mehreren Kaskaden hinunter in den See. „Das ist Schmelzwasser vom Schnee,“ kalauert der Touriführer an Bord: „Darum ist es auch so weiß!“
Pflichtschuldig schmunzeln einige, andere quietschen ehrlich amüsiert. Ich hänge sofort mein Gesicht hinter der Kamera über die Bordwand und fotografiere. Dann muss ich wenigstens nicht mal meine Mundwinkel verziehen.
2. Obersee
Wo kommen nur all die vielen Menschen her, die sich jetzt schon am Bootsanleger in Salet herumdrücken? Das überrascht mich. Offenbar sind das Leute, die mit sich und dem Ort, der aus nur dem Anleger- und Klohäuschen, einer bewirtschafteten Alm und einer Souvenirbude besteht, wenig anzufangen wissen. Sie wirken wie ausgesetzt im Nirgendwo und wissen jetzt nicht wohin geschweige denn warum…
Nur mal gucken, dann wieder zurück?
Der Biergarten der Alm öffnet gerade erst und die Souvenirverkäuferin stellt auch gerade erst ihre Warenständer nach draußen. Die meisten laufen los.
Im Pulk mit etwa 30 Leuten gehe auch ich Richtung Obersee, 10 Minuten Weg sollten schnell zu schaffen sein – trotzdem zieht sich die Gruppe, die gar keine ist, immer weiter auseinander. Ich gehöre schon fast zur Nachhut, weil ich unermüdlich nach Fotomotiven Ausschau halte. Der Saletbach bietet reichlich davon.
Besonders angetan hat es mir ein Bankerl zum Verweilen am Wegesrand. Das ist ein Bilderbuchmotiv, also zücke ich die Kamera. Ich warte geduldig, bis ein Urlauber seine Frau, die sich, als ich gerade fotografieren will, auf die Bank in Pose gesetzt hat. Hinreichend oft fotografiert er sie, ich schaue das Ganze ungerührt und unaufgeregt dabei zu. Beide haben zwar gesehen, dass ich die Kamera schon auf die Bank gerichtet hatte, aber das hat sie nicht abgehalten, ihre Posing-Pics zu machen. Sollen sie. Das ist ja in Sekundenschnelle geschehen.
Als sie abrücken, mache ich schnell meine Bilder, bevor wieder Leute die Bank für ihre Fotos in Beschlag nehmen. Vielleicht ist sie Bank eine hochbeliebte und oft genutzte Location für Instagram-Bilder, ich habe keine Ahnung.
Da rumort es hinter mir. Der Pulk der Spaziergänger:innen des nächsten Schiffes, das angelandet ist, kommt anmarschiert. Die Menschen schicken sich an, mich zu überholen, als es sich unvermittelt staut und richtig hektisch wird. Alle reden aufgeregt aufeinander ein und zeigen zu Boden. Der Grund ist ein prächtiger Feuersalamander, der aus einem Gebüsch getreten ist und in aller Ruhe den Weg kreuzt. Man weist sich gegenseitig auf das Tier hin, Kameras und Handys werden gezückt, etwa ein Dutzend Leute bildet eine Traube, steht um den Lurch herum und fotografiert wie besessen. Das verursacht einen Stau auf dem Weg. Voller Neugier, was es zu sehen gibt, bleiben immer mehr Leute stehen und machen Fotos.
Einer (nur einer!) geht dafür in die Hocke – ich. Den Salamander interessiert das alles nicht, er scheint Kummer gewohnt und wackelt ungerührt weiter seines Weges ins nächste Gebüsch. Mich machen solch kleine Begegnungen mit besonderen Wildtierarten glücklich.
Der Weg, der zum Obersee führt, ist eine Sackgasse, die in einem wunderschönen, engen Talkessel endet. Man könnte zwar von der Bootshütte am Nordende des Sees weit hinein in das Tal wandern, hinter bis zur Fischunkelalm oder sogar bis zum Röthbachfall.
Das macht aber nur ein Bruchteil der Leute. Die meisten, mich eingenommen, bleiben mehr oder weniger in der Nähe des Bootshauses. Wir alle fotografieren uns vollkommen überwältigt von der Schönheit der Landschaft die Seele aus dem Leib.
Einige Menschen flanieren noch ein paar hundert Meter am Südufer entlang, dann kehren sie wieder um. Es gibt etwas abseits vom Platz an der Bootshütte immerhin die Möglichkeit, nicht vollkommen umringt von Menschen in Ruhe zu fotografieren und es erlaubt vielleicht noch mal einen anderen Blick auf den See und das frische Maiengrün an den Bäumen.
Die wenigsten wären für eine Wanderung mit adäquater Kleidung und Schuhwerk ausgestattet, das wollen sie auch gar nicht, und das ist ihr gutes Recht.
Und so sucht sich ein jede:r ein Plätzchen auf einem Stein oder einer Bank, sitzt in der Sonne, schaut durch oder in die Kamera, packt seine Picknicksachen aus, entledigt sich der warmen Kleidung, denn mittlerweile ist es mehr heiter als wolkig.
Es wäre unehrlich, nicht dies auch zu erzählen und zu zeigen, so selten ich auch Menschen(massen) an den Ufern fotografiere, hier muss es sein. Nicht, dass der Beitrag am Ende ein falsches Bild vermittelt. Die Wahrheit hinter solchen Hot Spots ist eben immer eine andere als das, was die meisten Bilder zeigen. Und sie ist selten so traumhaft, wie es uns die Fotos einreden wollen.
Es ist alles Andere als abgeschieden oder ruhig, es ist ein Kommen und Gehen, ein Stimmengewirr, eine kolossal unruhige Stimmung, weil mit jedem Schwung Menschen ganz schnell eine Art Wettrennen um die besten Fotoplätze entsteht und sofort Ungeduld und leichte Aggressivität aufkommt, wenn einer mal warten muss, bis er selbst auf den Fels klettern und sich fotografieren lassen kann. Immerhin aber ist das Wasser himmlisch smaragdgrün.
Ich schaue eine Weile dem Treiben zu, leere meine mitgebrachte Trinkflasche und mache mich wieder auf den Rückweg zum Anleger. Kaum erhebe ich mich von dem Stein am Ufer, auf dem ich gesessen und von dem aus ich fotografiert habe, nimmt ein anderer Platz. Gerade, dass er mir nicht ein „Na endlich!“ hinterher ruft. Dabei, das gebe ich zu, musste ich schon geraume Zeit warten, bis mal niemand auf dem Steg stand und ich fotografieren konnte.
2a. Königssee
Zurück geht’s, wie ich gekommen bin.
Von Süden her kommend ist die Aussicht auf St. Bartholomä noch viel schöner, was ich mit weiteren Dutzenden von Fotos dokumentiere. Zumindest könnte es so sein, denn jetzt ist der Watzmann zu sehen und bietet eine imposante Kulisse, aber die Menschenmenge am Anleger, vor allem aber die Baustelle und das gelagerte Baumaterial schmälern die Ästhetik der Bilder erheblich. Nur von etwas weiter entfernt sind Menschen und Baumaterial hinter einem Bootschuppen verdeckt.
Wie vor kurzem am Eibsee muss ich mir trotzdem oder gerade deshalb in Erinnerung rufen, dass auch ich nur hergekommen bin, um zu schauen und zu fotografieren. Auch ich bin nur Tagestourist und damit Teil des Massenandrangs auf diese Hot Spots. Und wenn ich durch solche Beiträge, wie ich sie hier im Blog über die Seen verfasse, Menschen neugierig mache und motiviere, dort auch (mal wieder) hinzufahren, trage ich auch ein winziges kleines Bisschen dazu bei, wenn solche Hot Spots noch mehr überrannt werden. Das ist mir durchaus bewusst.
An Land halte ich Ausschau nach einer Bademöglichkeit, wenn denn der See, der einer der kältesten Deutschlands ist, Baden irgendwann mal im Sommer zulässt, momentan liegt die Wassertemperatur bei 6 °C. Selbst im Hochsommer wird es kaum über 15 °C. Also grüble ich, ob ich das wirklich tun will und wenn, ob es nicht sinnvoller ist unterhalb des Malerwinkels mal ein kurzes Ründchen in den See steigen sollte. Das lässt sich nämlich auch ohne Schifffahrt bewerkstelligen.
Am besten grübelt es sich bei einer zünftigen Brotzeit im Biergarten des Restaurants. Der ist, was mich angesichts der vielen Menschen, die hierher geschippert werden überrascht, gar nicht proppenvoll. Es ist aber auch noch relativ früh am Tag. Ich finde einen Tisch, ordere einen Obatzn und alkoholfreies Weißbier.
Bei der Rückfahrt nach Schönau ist das Boot gesteckt voll. Merkwürdige Leute mit sonderlichen Gesprächsthemen und noch sonderbarerem Benehmen drängen sich in die Bänke. Ich will vieles nicht hören und noch viel weniger sehen, aber diese halbe Stunde muss ich aushalten. Dann ist die Rückfahrt erledigt. Der Königssee ist abgehakt und ich bringe genau die Bilder mit nach Hause, die ich haben wollte.
Vielen Dank fürs Lesen.
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Wenn Sie mehr Bilder von mir sehen wollen, dann empfehle ich das Fotobuch Im Süden – Bilder eines guten Jahres, das Sie in meinem Web-Shop aber auch in jeder stationären Buchhandlung bestellen können. Ebenfalls dort erhältlich sind die grantigen Geschichten Renate und das Dienstagsarschloch und das Buch von meinen Schwimmerlebnissen in Frei- und Hallenbädern, in Seen, Weihern, Flüssen und im Meer Bahn frei – Runter vom Sofa, rein ins Wasser. Alle Bücher sind auch über die ISBN in jeder Buchhandlung bestellbar.
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Die Frage ob 1 oder 2 s stellte ich mir auch, als wir vor ein paar Jahren dort unseren Urlaub verbrachten. Zu dieser Jahreszeit mochte ich mir die Massen im Sommer nicht vorstellen.
Der Nachteil von solch einem Massentourismus ist ja, dass sich so manche Geschäftsbesitzer Frechheiten herausnehmen die es in anderen Urlaubsorten nicht gibt. So passiert auf St. Bartolomä und Herrenchiemsee. Natürlich kann man nicht alle über einen Kamm scheren, aber es ist auffällig, da dort die Mehrzahl nur einmal vorbei kommt und mit denen kann man es ja machen.
Ich vermeide es ja hauptsächlich Personen auf den Bildern drauf zuhaben, dies erfordert allerdings Geduld, schlechteres Wetter oder frühe Stunden.
LG, Nati