Frieden, Frieden, Frieden

„Frieden, Frieden, Frieden!“ krächzte unermüdlich ein Engel vom Weihnachtsbaum. Und das Nicht nur zur Weihnachtszeit, wie es Heinrich Böll in seiner wunderbaren Satire vor rund 70 Jahren schrieb. Eine komisch-böse Geschichte über den weihnachtlichen Familienfrieden, die unerfüllbare Sehnsucht danach und Tante Millas „Weihnachtsbaumtherapie“.

Twitter: Der erste Baum auf Berlins Straßen

In der Tat gilt Weihnachten als Fest der Familie und als Fest des Friedens. Bekanntlich aber klappt es mit dem einen genauso selten wie mit dem anderen. Kein Wunder, wenn da so manch einer Weihnachten ein frühes Ende beschert, manch anderer Fersengeld gibt.
Während die ersten schon in der Heiligen Nacht den Weihnachtsbaum auf die Straße wuppen (so gesehen bei Twitter), weil der ja schon seit Wochen die Wohnstube verstopft, beenden andere Weihnachten gern spätestens am zweiten Feiertag mit einem ausgiebigen Gang an die frische Luft, wobei der Gang mitunter auch ein sportlicher Lauf ist. Andere radeln still vor sich hin zig Kilometer, um dem Terror des Familienfriedens zumindest zeitweilig zu entfliehen. Mitleidig sehen sie diejenigen an, die scharenweise in die Wirtshäuser zum Mittagessen drängen.

Ich gehe schwimmen.
Nicht, um dem Familienfrieden zu entfliehen, denn selbiger ist bei uns mitnichten gefährdet. Alles läuft so ab wie seit Jahren, streng nach Schema mit allseits abgeklärten Erwartungen und Ansprüchen. Und nichts und niemand gefährdet dies durch allzu große Spontanität.

Ich gehe trotzdem schwimmen. Weil es an Bewegung mangelt, dafür nicht an Kalorien und noch weniger an Völlegefühl.
Derweil ich davon ausgegangen bin, eine friedliche Stimmung im Hallenbad vorzufinden, sehe ich mich schon das erste Mal getäuscht, als ich vor verschlossener Tür stehe. Denn man öffnet die Pforten zur feuchten Glückseligkeit erst um 13.00 Uhr. Da bleibt nur auf dem Parkplatz zu warten, was zu lang ist, oder heimzufahren, was sich nicht lohnt.
Ich entscheide mich für einen Abstecher zum nahe gelegenen Weiher, einmal schauen und ein Schoppen Sauerstoff für die Lunge.
Auch hier: viele Weihnachtsflüchtlinge, Frischlufttanker und ein ohrenbetäubender Lärm, denn rund 150 Gänse haben sich auf dem Weiher niedergelassen und lärmen, dass ich unwillkürlich an das verlockende Angebot der Bose Noice Cancelling Headphones 700 denken muss, das Twitter mir unentwegt unterschiebt. Aber rund 300 Euro für den himmlischen Frieden, zumindest akustisch gesehen, sind eine ganz schöne Stange Geld. Dafür kann ich immerhin über 100 mal in unser Schwimmbad gehen.

Frieden am Weiher

Fünf Minuten nach Öffnung bin ich zurück am Hallenbad und eine Viertelstunde später im Wasser. Leider nicht allein, denn die Sportbahn, auf der sonst nur zwei Schwimmer sind, die ich auch schon zig mal getroffen habe, füllt sich schlagartig: Von drei auf fünf, auf acht. Die Neuankömmlinge, allesamt Flüchtlinge vor Kekstellern, Gänsebraten, Schwiegerleuten, Geschwistern… wem auch immer, sind allerdings wenig versiert. Nicht, dass sie zu langsam wären. Aber sie wissen nicht, wann man überholt und wie, dass man nicht auf den Kopfseiten breit herumsteht, dass Rollwenden bei zunehmender Enge schwierig werden, dass man vielleicht nicht unbedingt jemandem mit Kurzflossen bis auf die Fersen aufrückt – schlicht: sie wissen gar nichts.
Außer, sich blöde zu benehmen. Einer pöbelt einen anderen an, er habe ja wohl mit diesem Schneckentempo auf der Sportbahn nichts zu suchen. Der so Abgesprochene nimmt das alles andere als sportlich und pöbelt zurück. Das zu erwartende Handgemenge wird jäh verhindert, weil ein Dritter angeschwommen kommt, weder roll- noch kippwenden kann und und ein energisches „Platz da!“ vor sich her schnaubt. Zurecht übrigens.

Ein anderer steht laut meckernd im Wasser am Beckenrand: „Alle nur Bekloppte hier, nur Bekloppte!“ schüttelt sein wenig weises, kahles Haupt und schwimmt immer exakt dann los, wenn einer kommt und zur Wende ansetzt. Einer versteht das Schwimmen im Kreis nicht und weicht auch als Geisterschwimmer den anderen entgegenkommend, keinen Millimeter aus. Dem freundlichen Hinweis, hier herrsche Kreiverkehr und zwar wie üblich gegen den Uhrzeigersinn, erwidert er pampig: „Kann man machen, muss man aber nicht“ und brüstelt von dannen.
Vermutlich bringen sie alle aufgestaute Aggressionen von den Feiertagen mit. Schon zu Hause war es zu eng, zu voll, atmosphärisch zu gewittrig. Aber am Kaffeetisch „Alles nur Bekloppte“ kommt eben nicht so gut, und Tante Olga anzumaulen eben auch nicht. Das verlagert man(n) dann eben ins Schwimmbad: Und ja: Es waren NUR Männer. Alle im besten Alter, wie man so sagt. Da hätte ich – mal die Wassertemperaturen außer Acht gelassen – auch quer durch den Schwarm Gänse kraulen könnten, das Gezeter wäre kaum anders. „Alles Bekloppte!“ stimmt irgendwie doch.

Das Gute: Kaum 30 Minuten dauert das Ganze, dann sind die Möchtegern-Alpha-Tierchen allesamt wieder raus aus dem Becken zurück in ihrer Herde, handzahm und still. Zum Kaffee sollen sie vermutlich alle wieder gefälligst daheim sein. Denn dann kommen schließlich die lieben Verwandten. „Und komm ja nicht zu spät zurück,“ mag ihnen noch nachgerufen worden sein.

Nun ja: Jedenfalls ist es bald wieder friedlich und wir haben die Bahn wieder für uns. Fast so wie an einem Champions League Abend, wenn die Bayern spielen.

Frieden im Hallenbad
Derweil krächzt der Böll’sche Engel in meinem Kopf unermüdlich: Frieden! Frieden! Frieden!

 


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1 Antwort

  1. Frida sagt:

    Frieden, frieden, frieden, dieses Fernsehspiel hat mir damals schon sehr gut gefallen, ein gutes Stück, sieht man heute nicht mehr, bei dem einheitsbrei der einem im Fernsehen geboten wird
    Ich liebe ja skurrile filme, Heinrich Böll hat da ein Meisterwerk geschrieben. Tante Milla, Ruhe in frieden, frieden, ☮️

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